Chor und Orchester:Mit Humor und heiligem Ernst

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Klassiker ungewohnt klingen zu lassen, ist die Spezialität des Dirigenten Teodor Currentzis sowie seines Music Aeterna Chors und Orchesters. Es gibt wohl keinen Dirigenten der jüngeren Generation, an dem sich die Geister so scheiden.

Von Klaus Kalchschmid

Es gibt wohl keinen Dirigenten der jüngeren Generation, an dem sich die Geister - Musikliebhaber wie Kritiker - so scheiden wie an Teodor Currentzis. Einerseits wird der 45-Jährige als "Blender" verachtet, der in CD-Booklets immer wieder betont, dass seine Sicht die einzig selig machende sei, aber mehr Porzellan zerbricht als er Preziosen zum Leuchten bringt. Andererseits vergöttert man den gebürtigen Griechen, der in Russland ausgebildet wurde, als "Messias", der Konventionen aufbricht und neue musikalische Wahrheiten nicht nur entdeckt, sondern sie auch lautstark verkündet. Seine Bedeutung und Wirkungsmacht liegt wohl irgendwo in der Mitte, denn radikal klingt alles, bei dem der schlaksige Mann seine dirigierenden Hände - ohne Stab - im Spiel hat, sei es zeitgenössische Musik oder Henry Purcell, Helmut Lachenmann oder Mozart. Natürlich treibt er auch Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps" so in die Extreme, dass man versteht, warum es 1913 bei der Uraufführung zum Skandal kam. Selbst wer manches kritisch sieht, muss den heiligen Ernst, aber auch die manchmal abgründige Komik, mit der sich Currentzis Musik unterschiedlichster Couleur nähert, respektieren, wenn nicht lieben.

Wer die Einspielungen der Da-Ponte-Opern Wolfgang Amadeus Mozarts, also "Le nozze di Figaro", aufgenommen 2012, "Così fan tutte" von 2013 und "Don Giovanni" (2016) hört, kommt aus dem Staunen und manchmal auch aus dem Kopfschütteln nicht heraus. So wunderbar vielschichtig und elektrisierend unter Strom gesetzt das erotische Verwirrspiel der "Schule der Liebenden" ist, so kalt, kühn und manchmal unfrei klingt sein "Don Giovanni" teilweise, trotz vieler faszinierender Momente, die manches in ganz neuem Licht erscheinen lassen.

Priester der Kunstreligion: Teodor Currentzis. (Foto: Anne Zeuner/Audi Sommerkonzerte)

Currentzis hat mit dem Originalklang-Ensemble Music Aeterna, das er an der Oper in Nowosibirsk gründete und vor sechs Jahren in die russische Stadt Perm mitnahm - wie mit seinem fulminanten Music Aeterna Chor - Musikerinnen und Musiker an der Hand, die alles können. Unvergessen bleiben wird die Aufführung eines so komplexen Stücks wie Luciano Berios "Coro", das mit diesem phänomenalen Chor, der auch wunderbar solistisch agieren kann, unter Currentzis erst kürzlich im Rahmen der Konzertreihe Musica Viva im Prinzregententheater zu erleben war.

Programmatisch zur Eröffnung seines ersten Sommers präsentiert Markus Hinterhäuser, der neue Intendant der Salzburger Festspiele, Teodor Currentzis mit Music Aeterna Chor und Music Aeterna Orchester - und spätem Mozart. Illuster sind die Solisten in Salzburg und Ingolstadt: Neben der als Mozarts Blonde, Susanna und Pamina herausragenden lyrischen Sopranistin Anna Prohaska die beiden Sänger Mauro Peter - nicht zuletzt als Liedsänger erfolgreich - und Tareq Nazmi, ein wunderbarer Sarastro in Mozarts "Zauberflöte" und bis vor Kurzem vielseitiges Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper.

Mit seinem Music Aeterna Chor verkündet er neue musikalische Wahrheiten. (Foto: Caroline Seidel/dpa)

Gerade das Mozart-Requiem würde man sich von Currentzis in der reinen Fragment-Fassung wünschen, also ohne jegliche Ergänzungen, was teilweise zu höchst herben, nackt kontrastierenden Melodien und Harmonien führt, die aber eine große Kraft besitzen. Denn es war Currentzis' Absicht bei seiner Einspielung von 2011 für das Label Alpha, wie er selbst sagt, "nicht schön zu musizieren, um es asketisch und spirituell zu machen".

Genau das ist ihm aber sogar - oder gerade - in der Süßmayr-Fassung des Requiems gelungen. Schon die fast unhörbar leisen ersten sechs Adagio-Takte mit dem vierstimmigen Satz der Bassetthörner und Fagotte verblüffen, weil sie ton- und ausdruckslos wie eine Musik aus dem Jenseits klingen. Das "Dies Irae" fegt in rasanten anderthalb Minuten mit dezidierten, aber luftig gesetzten Akzenten wie ein schneidender Wirbelwind vorbei. Unüberhörbar ist durch die Intensität des Spiels das Schlagen der Bögen auf dem Holz des Korpus. Unendlich zart dagegen haucht Simone Kermes das Sopransolo am Ende des "Tuba mirum" oder später das "Salva me - Rette mich!" am Ende des "Rex Tremendae", dessen punktierte Sechzehntel zu Beginn regelrecht gestanzt werden. Zauberhaft auch das Quartett der vier Solisten (neben Simone Kermes Stéphanie Houtzeel, Markus Brutscher und Arnaud Richard) im "Recordare". Harsch klingen die peitschenden Begleitfiguren der Streicher im "Confutatis", um so ätherischer danach die anfängliche Zweistimmigkeit des Chores ("Voca me cum benedictis") und der unmittelbare Übergang in die überirdisch schöne Melodie des fast unhörbar leise angestimmte "Lacrimosa dies illa". Es sind die letzten Takte des Werks, die Mozart noch selbst komponierte. Wie ein Kondukt schleppt sich dann mit schwerer Betonung auf jeder Zählzeit das "Dona eis requiem". Danach erklingen Eiseskälte verströmende Schellen wie an einem Schlitten oder wie Totenglöckchen. Ein Mozart-fremder kurzer A-capella-Chorsatz in Vokalisen schiebt sich dazwischen, wohl um eine dezidierte Grenze zum folgenden, weitgehend nicht von Mozart, sondern von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr stammenden, mehrteiligen Offertorium zu schaffen.

Insgesamt frappierend ist in diesem Mozart-Requiem immer wieder die geradezu symbiotische Einheit von Orchester und Chor, die etwa dem "Hostias" oder dem "Dona eis requiem" im "Agnus Dei" eine selten gehörte schwebende und doch expressive Innerlichkeit verleiht. Je öfter man diese Aufnahme hört, desto weniger verstört und umso mehr fasziniert sie.

Salzburger Festspiele zu Gast: Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem d-Moll KV 626, Samstag, 29. Juli, 19.30 Uhr, Stadttheater Ingolstadt, Festsaal

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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