Charles de Gaulle:Frankreichs Prophet

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Der Mythos um Charles de Gaulle lebt weiter

Cornelius Wüllenkemper

Kein Staatsmann hat den nationalen Grundkonsens und die weltpolitische Orientierung Frankreichs nach 1945 so tief und nachhaltig geprägt wie Charles de Gaulle. Auch fast vier Jahrzehnte nach seinem Tod beruft sich Präsident Jacques Chirac an nationalen Feiertagen und bei außenpolitischen Grundsatzentscheidungen regelmäßig auf den General. In seiner Ansprache zu dessen 25.Todestag sagte er, de Gaulle sei die ,,Mystik der Nation, ihr Prophet''.

Er war nicht nur der "Vater der Franzosen", sondern wurde auch 1962 von den Deutschen in Köln gefeiert. (Foto: Foto: UPI)

So viel nationales Pathos wirkt hierzulande befremdlich. Vor allem wirft es die Frage auf: Was steckt hinter dem Mythos des ,,Vaters der Résistance'', des ,,Propheten'' des Schicksals Frankreichs und des ,,rassembleur'', der großen Symbolfigur der Einheit des französischen Volkes?

,,Vater des Widerstandes''

Diesem sowohl historiografisch als auch gegenwarts- und geschichtspolitisch relevanten Thema hat der Historiker Matthias Waechter eine erste umfangreiche Studie gewidmet. So schillernd das Bild de Gaulles stets in Frankreich war, so zog man ihn auch in Deutschland stets gern heran, um entweder die französische Widerstandsbewegung gegen Hitler und die Anfänge der europäischen Einigung zu rühmen, oder aber um die Traditionen der nationalistischen Großmachtpolitik Frankreichs zu kritisieren.

Waechter hat die Gefahr, sich in derartige Auseinandersetzungen zu verwickeln, geschickt umgangen: Er untersucht in seiner Studie lediglich die Wirkung, die de Gaulle innerhalb Frankreichs entwickeln konnte, und analysiert chronologisch die einzelnen Elemente, die ihn zu einem nationalen Mythos werden ließen.

Es war der berühmte Appell vom 18.Juni 1940, mit dem sich der General aus dem Londoner Exil an die Franzosen wandte und sie zum Widerstand gegen die deutschen Besatzer aufforderte, der den Grundstein zum Mythos legte. Dass die französische Widerstandsbewegung sich später auf de Gaulle als Anführer und Integrationsfigur einschwor, sieht Waechter dabei vor allem als eine Gegenreaktion auf den Personenkult um den Chef der Kollaborationsregierung, Pétain. Als ,,Vater des Widerstandes'' kann man de Gaulle nach Waechter allein deswegen nicht bezeichnen, weil er bis zum Herbst 1941 von den Widerstandstruppen in Frankreich weitgehend ignoriert wurde und diese zudem jeglichen Führerkult in ihrer Bewegung strikt ablehnten.

Die heilige Leidenschaft

Derweil trieb de Gaulle die Mythenbildung um seine Person über gezielte propagandistische Strategien, eine ausgeprägte nationale Symbolik und Verweise auf seine eigene Biografie als ,,Prophet'' des französischen Schicksals und als einziger legitimer Vertreter eines ,,aufrechten und großmütigen'' Frankreichs konsequent voran.

Er stellte sich in eine Reihe mit den großen Namen der französischen Geschichte: die ,,heilige französische Leidenschaft, die Leidenschaft Jeanne d'Arcs, Dantons und Clemenceaus'' zitierte de Gaulle immer dann, wenn er an die Traditionen der Einheit, der Integrität und vor allem der ,,grandeur'' des Vaterlandes appellieren wollte.

Eine triumphale Bestätigung erfuhr der General nach der deutschen Niederlage bei seinem Einzug in Paris. Die kollektive Akzeptanz des Bildes vom glorreichen Retter der nationalen Einheit erlaubte es ihm zunächst, die Leitung der provisorischen Regierung zu übernehmen. Seine konsequente Weigerung, sich den parteipolitischen Grabenkämpfen unterzuordnen, und sein stets diffus wirkendes innenpolitisches Programm führten aber schon 1946 zu seinem Rücktritt.

,,Der Gaullismus ist tot''

Erst als die Vierte Republik durch den Algerienkrieg 1958 in ihren Grundfesten erschüttert wurde, kehrte der General auf die politische Bühne zurück. Der Glaube der Franzosen an den starken Mann an der Spitze Frankreichs, der die Nation erneut vor dem Untergang retten sollte, war noch so ausgeprägt, um ihn per Referendum mit der Regierungsbildung und der Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu beauftragen. Erst als mit den Unruhen vom Mai 1968 das ,,alte Frankreich" zu Grabe getragen werden sollte, schien der Mythos des Gaullismus hinter seiner Zeit zurückgeblieben zu sein.

Waechter am Ende seiner sehr lesenswerten Studie, ,,aber der De-Gaulle-Mythos lebt''. Auch wenn Chirac schon vor Jahren mit der Mär des vereinten Widerstandes aller Franzosen gegen Hitler aufräumte und die gaullistischen Dogmen der nationalen Souveränität und der wirtschaftlichen ,,planification'' lange überholt sind, wirkt der Kult ungemindert fort.

Getragen wird er durch die bewusst vage gehaltene ,,gewisse Idee'' von einem Universalismus im Zeichen von Liberté, Egalité, Fraternité. Dessen Flagge weht auch auf Frankreichs nukleargetriebenem Flugzeugträger, der die Interessen des Landes in der Welt verteidigen soll. Sein Name: Charles de Gaulle.

© SZ-Beilage vom 04.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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