Céline Dions Abschied aus Las Vegas:Die Frau mit dem Kawumm

Lesezeit: 4 min

Als Gott um die Stimmbänder herum noch Céline Dion schaffen musste, ging es drunter und drüber. Jetzt verlässt sie Las Vegas - und geht auf Welttournee. Ein letzter Ortstermin im Caesars Palace.

Alexander Gorkow

Man sitzt gemeinsam mit anderen Journalisten aus Germany in einer Suite auf dem Dach des Caesars Palace in Las Vegas. 18 Zimmer (Küchen, Pools, Bäder und Pipapo nicht mitgezählt). 35 000 Dollar pro Nacht für Normalbekloppte. Die Deko wie eine Sex-mit-Möbeln-Phantasie von Nicolae Ceausescu. Das Essen von "Rao's" dampft in silbernen Särgen: Huhn an Zitronensauce, Krustentiere an kochenden Tomaten. Ganz, ganz lecker. Gegenüber am Tisch - was für eine Freude, denn wer hätte diesen Termin je für möglich gehalten - der Spatz von Québec: Céline Dion. Pass auf dich auf, sagten die Kollegen daheim. Als gehe es in den Irak.

Céline Dion. Vogelartiger Muppet von kubistischer Schönheit. (Foto: Foto: ap)

Als Gott mit den absolut unglaublichen Stimmbändern von Céline Dion fertig war, ist er aus der Puste gewesen. Diese Stimmbänder waren zweifelsfrei sein Meisterstück geworden. Lauter als eine Trompete. Fünf Oktaven in fünf Sekunden. Total fertig hing Gott in den Seilen. Als er nun um die Stimmbänder herum noch Céline schaffen musste, ging es drunter und drüber.

Am Ende kam etwas Reizendes von Jim Henson und Frank Oz heraus: ein etwas vogelartiger Muppet von kubistischer Schönheit, grazil, liebenswert und vor allem vertikal. Alles ist hoch, die hohe Stirn, die langen Haare, die langen Finger, die langen Beine, die hohen Wangen. Wenn sie aufsteht, möchte man sofort auch aufstehen und sie leiten, damit sie sich nicht irgendwo verhakt. Vor allem aber und immer wieder: starrt man auf den Nasenrücken, wann je hat man einen so sehr langen, nicht endenden und dabei linealgraden Nasenrücken gesehen. Dies ist ein allemal anrührender Nasenrücken.

Céline Dion in Missoni sitzt mit durchgedrücktem Kreuz an einem Tisch aus Mahagoni, darauf ein Glas Wasser, sie mit smokey eyes, in der Tiefe mächtig donnernde Pupillen, mit denen sie einen anscheinwerfert. Ärger will man mit der also gerne wirklich keinen. Damals, als das Hochwasser über New Orleans kam, saß sie auch hier und fuchtelte mit diesen Pupillen Richtung Kamera, sie war live bei Larry King zugeschaltet. Zwanzig Minuten vor ihrem Auftritt im Colosseum heulte sie dann wie Disneys Schneewittchen via TV ins Land hinaus, fasste es nicht, dass seit Tagen Amerikaner auf Dächern sitzen und das Militär nicht in der Lage, die da runterzuholen, wo amerikanische Soldaten doch in fernen Ländern noch zu ganz anderen Sachen in der Lage sind.

Es gibt politische Analysten in den USA, die sagen, dieser Auftritt habe George W. Bush mehr geschadet als Monica Lewinsky Bill Clinton. "Ich? Politisch? Mein Gott: Nein! Ich dachte doch nur: Wir bringen innerhalb von zwei Sekunden Menschen um, wieso holen wir dann innerhalb von zwei Tagen nicht die Leute vom Dach in New Orleans!" Sie ruft das jetzt mehr, als dass sie es sagt, und auf andere Fragen antwortet sie sogar singend! Singende Antworten in einem Interview! Wie die Suite, in der sie sitzt, ist sie ein bisschen too much. Das weiß sie auch und lacht über den Pomp, den sie vorgibt und der sie umgibt, und wenn sie jetzt Deutsch spräche, würde sie rufen: "Gottchen, Junge, ja, krieg dich ein, das ist Vegas, was willst du machen."

Hier ein paar erstaunliche Zahlen: Sie hat in diesen Wochen ihre letzten Auftritte in Las Vegas und wird von Februar an auf eine Tournee gehen durch 25 Länder und in mehr als 100 Städte. Sie hat fünf Jahre lang im für sie gebauten Colosseum im Caesars Palace gespielt, en suite fünf Abende die Woche, insgesamt vor drei Millionen Zuschauern. Es gab fünf Jahre lang keinen Abend in dem großen Theater, der nicht ausverkauft war.

Engel, Harlekins und fliegende Klaviere

Das sind sogar für Las Vegas neue Dimensionen, denn bisher wurden hier Shows mit linkischem Blick über die Schulter langsam abgesetzt, wenn die Ticketverkäufe rückläufig waren - und sogar die Shows von Leuten, die zwar nicht besser singen können als Céline Dion - wer kann das schon -, deren Ruf dafür aber unantastbar ist. Man wollte jetzt, dass sie weitermacht hier in Las Vegas, aber sie ist durch mit allem: "Ich musste mir beweisen, dass ich die lange Strecke schaffe, dass ich ein long-term-girl bin und kein hit girl, das habe ich mir bewiesen. Nun ist es gut."

Das Image: Nimmt man an, dass die unantastbare Barbra Streisand ein kleines bisschen überschätzt wird, so wurde Céline Dion zügig in der Abteilung Nebelkrähe für Sekretärinnen zwischengestapelt und dergestalt ein kleines bisschen unterschätzt. Das hat ihr nicht geschadet, denn sie hat bis heute fast 200 Millionen Platten verkauft, und sie verdiente allein von Sommer 2006 bis Sommer 2007 in Vegas 45 Millionen Dollar. Und es spricht ja nicht gegen Sekretärinnen, dass die gerne jemandem zuhören, der singen kann.

Nur Kult ist sie halt nicht, sondern der Titanic-Arien- oder auch DiscofoxKonsens all' jener Heterodamen, die da im Caesars Palace ihren rundherum wertkonservativen Kuhjungen weinend über den Handrücken streicheln während einer Show, die lustigerweise schwuler gar nicht sein könnte.

Cirque-du-Soleil-Erfinder Franco Dragone sorgt insgesamt für Engel, Harlekins, fliegende Klaviere, eingebettet in ein irgendwie postnuklear, jedenfalls post-nine-eleven-anmutendes Bühnenbild aus untergehenden Städten, untergehenden Schiffen - und wie an Seilen schwebt dann Céline herbei und trällert, dass einem aber Hören und Sehen vergeht. Wer das kitschig findet, wundert sich wahrscheinlich auch, dass es abends dunkel wird. Und zu sagen wäre noch, dass man ja bei einem dieser schlimmen Lieder von, sagen wir, Silbermond, sogar bei Radiokonserven mitbangt, ob die Sängerin das unfallfrei bis zum Ende schafft.

Einmalig beiläufige Meisterschaft

Von rein handwerklichen Sorgen aber ist man vermutlich nirgendwo befreiter als bei einem Abend mit Céline Dion: Während an diesem Abend in Las Vegas einige hundert Meter weiter das hit girl Britney Spears ihren White-Trash-Regentanz bei den MTV-Awards im Palms Hotel zum Vortrag bringt (ein Vorfall, zu dem sich Mrs. Dion anschließend nicht äußern möchte, haha, sie ist ja nicht doof), schnurrt Céline Dion im Caesars so sicher durch ihr Repertoire wie ein Mercedes-Kombi über eine französische Landstraße.

Für ihre Tournee hat sich die 39-Jährige nun eine Platte mit Stadionrock gebastelt, die ihre Fans nicht verschrecken und andere dafür etwas überraschen wird. "Taking Chances" wird am 9. November veröffentlicht und zielt auf ein insgesamt weit ausholendes Kawummm ab mit drei Bratgitarren gleichzeitig statt Geigen. Dass "That's Just The Woman In Me" eines der schönsten von einer Frau vorgetragenen Lieder seit Janis Joplin ist, glaubt nicht nur Dions Konzertagent Marek Lieberberg. Eine solch rohe Rhythm-and-Blues-Nummer lässt Céline Dion mit einmalig beiläufiger Meisterschaft aus der Tasche fallen, und man wird sehen, ob es das ist, was sie nach fünf Jahren Las Vegas den Leuten draußen um die Ohren hauen will statt Pomp & Gloria.

Im Juni und Juli 2008 wird sie in Deutschland auftreten (in Hamburg, Berlin, Frankfurt, Stuttgart, Köln und München). Der Vorverkauf beginnt Anfang November. Die Konzerte werden schon bald ausverkauft sein. Der Rest der Nation wird die Augen verdrehen und glauben, an jenen Abenden Besseres vorzuhaben. Möglich, dass sich dieser Rest dabei täuscht.

© SZ vom 4.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: