CD: Mediengruppe Telekommander "Näher am Menschen":Es rummst am Wohlstands-Strand

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Die halbstarken Gesellschaftskritiker sind wieder zurück. Näher am Menschen, diesmal. Lärmend, immer. Nervend, manchmal. Aber langweilig - nie.

Frederic Huwendiek

Gerald Mandl und Florian Zwietnig sind nicht die deutschen Beastie Boys. Das lassen sie uns gleich zu Anfang wissen. In einem Song, der verdammt nach Beastie Boys klingt, natürlich. So sind sie. Dafür liebt man sie, die Mediengruppe Telekommander. Diese ironisch-zynischen deutschen Beastie Boys mit diesem grandiosen Brett aus HipHop, Punk, Elektro. Die mit ihrem 2004er Debüt "Die ganze Kraft einer Kultur" den Slogan zurück in Musik-TV und Tanzhallen getragen haben. Die der globalisierten Wunderwarenwelt den Spiegel vorhalten, multimedialen Marketing-Sprech für ihre Zwecke zu nutzen wissen - und dabei immer tanzbar bleiben.

Immer schräg, immer kritisch: Gerald Mandl und Florian Zwietnig. (Foto: Foto: MTK)

Und auch "Näher am Menschen", das neue glänzende Ding der Telekommander, ist wieder voller toller T-Shirt-Logo-Lyrik. Denn sie haben ihn, den Powerstoff mit Sauerstoff. Da werden wieder eifrig hohle Phrasen gedroschen und vermeintlich sinnfreie Sprüche geklopft. Und dabei wummert es wie eh und je.

Titten für den Hit im Sommer?

Gleich der erste Song - ein Aufschlag mit Ansage. Sprechender Name: "Bild dir deine Meinung". Alle Klischees, Meinungen und Gerüchte, die man wohl von Mandl und Zwietnig haben kann, werden da von den Kommandern kurzerhand selbst skandiert: "Ich bin der Meinung, die brauchen einen Drummer, und ein Video mit Titten für den Hit im Sommer". Mit der Szene-Polizei spielt man Pingpong: "Früher waren die beiden noch die Underground-Killer, heute hört sich das schon fast so an wie Sportfreunde Stiller". Und vom Mädchen aus der zweiten Reihe will man gehört haben: "Die Musik ist mir egal, ich find den Linken süß. Aber den Rechten mag ich nicht, weil der so selten grüßt". Ob es ein solch selbstreferenzielles Liedchen braucht? Nein, wäre es nicht so verdammt tanzbar. Ein Floorfiller, der Deutschland nach vorne bringt. Kundennah. Zielgruppenorientiert.

Und sonst: Vertrauen in Deutschland? Fehlanzeige! Denn das Herz ist "schwarz wie eine Coca-Cola" - verkündet die Mediengruppe in "Mein Herz". Um dann in "Ein kleiner Widerstand" Revoluzzertum in Zeiten von Großer Koalition, Fußball-Hysterie und RTL-Tanzshow zu besingen: "Du willst noch ein Zeichen setzen, läufst nackt durch die Nacht". Zum Schluss wird dann noch kurz Reinhard Mey zitiert. So schmeckt zuhause. In "Loft oder Liebe" kollidieren Telenovela und das wahre Leben - und das ist "eine Baustelle". Wie wahr. Koks, Glück, Catwalk-Models und großartig-krude Sätze wie "Flamingos tanzen Mambo auf dem Kokain-Olymp" finden sich im schnellen "Gekleckert". Die beiden Laut-Sprecher fragen: "Wer hat da gekleckert auf die bunten Seiten des Lebens?"

Das Gänsehautstaunen und die CSU

In textlich absoluter Hochform zeigt sich Mediengruppe Telekommander in "Komm lass doch die Sonne rein", musikalisch einem eher rauen Punkrocker. Anklagend klingen sie da, gar richtig wütend. Keifen über die "tausend Seelchen grau in grau", die sich den "Sonnenbrand am Wohlstands-Strand" holen. Die es sich bequem machen im "DIN-Norm-System", im "Genügsamkeitsschaum". Die den Regelverstoß gegen die "gezüchtigte Ordnung im Schlaraffenland" mit "Gänsehautstaunen" strafen.

Nach neun Songs und kaum mehr als einer halben Stunde ist alles vorbei. Das Album endet mit "Jedem sein Disco", einem überaus tanzbaren Lied über zwischenmenschliche Party-Befindlichkeiten. Die rosa Kraft, die glänzend sauber schafft.

Unbekümmert wird auf "Näher am Menschen" skandiert, gerummst, gesprungen. Laut will das gehört werden. Wenn das kongeniale Duo die Slogans durch seinen Elektro-Fleischwolf jagt. Auch wenn die Telekommander'sche Intonation stellenweise auf die Nerven gehen mag: Dieses Album funktioniert, macht Spaß. Und Mandl und Zwietnig sind diesmal wirklich näher am Menschen und weiter weg von gesellschaftskritischen Tönen.

Und für den Einfall, ihr Album nach einem gruselig-schmierigen CSU-Slogan aus dem Wahlkampf von 1994 zu benennen, mag man die Beiden einfach drücken. Und sich dann ganz schnell den Genügsamkeitsschaum abschrubben.

Mediengruppe Telekommander: "Näher am Menschen"(Mute/EMI)

1. Bild dir deine Meinung 2. Sprengkörper 3. Mein Herz 4. Ein kleiner Widerstand 5. Loft oder Liebe 6. Gekleckert 7. Mach das leiser 8. Komm lass doch die Sonne rein 9. Jedem sein Disco

Offizielle Website der Mediengruppe Telekommander http://www.mediengruppe-telekommander.de/ Reinhören und Telekommander-Freund werden kann man hier http://www.myspace.com/mediengruppetelekommander

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