CD-Kritik:Das Mädchen vom nächsten Wohnwagen

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Auf ihrem Debütalbum "Sprinkled Eyes" modernisiert Dotschy Reinhardt den Gipsy Swing - eine überfällige Osterweiterung der europäischen Popmusik. Erstaunlich, dass das Ergebnis ziemlich brasilianisch klingt.

Christian Kortmann

Wow, aus Berlin kommt jetzt Bossanova! Und zwar dank der dort lebenden Sängerin und Komponistin Dotschy Reinhardt, die, man ahnt es, mit Django Reinhardt, dem Mitbegründer des europäischen Jazz, verwandt ist. Dotschy sieht sich als Sinteza, als Sängerin aus dem Sinti-Volk, und führt diese Tradition selbstbewusst ins 21. Jahrhundert: Vier der 13 Songs auf ihrem Debütalbum "Sprinkled Eyes" singt sie in Sinto, und das klingt toll: "Es gibt nichts Schöneres als auf Reisen zu sein / Bei deiner Familie; beim Lagerfeuer zu sein."

Dotschy Reinhardt verbindet die Sinto-Musik mit brasilianischen Einflüssen und erinnert nicht selten an Astrud Gilberto. Man staunt und freut sich, dass es in Deutschland jetzt ein wunderbar leicht groovendes "Girl from Ipanema" gibt: Gipsy Swing, eine überfällige kulturelle Osterweiterung der europäischen Popmusik.

Dotschy Reinhardt wirkt wie eine Dompteurin ihrer aus sechs Männern bestehenden Band, die ihre sanfte Stimme gezielt einsetzt, um die Instrumentalisten im Griff zu halten. Die gehorchen zwar bestens, haben aber stets genug Raum für Solos auf Gitarre, Geige oder Kontrabass.

Ab und an wirken die brasilianische Coolness und der Samba-Swing epigonal. Doch auf Dauer wird Dotschy Reinhardt als Komponistin wohl eigenständiger werden, und es gibt schlechtere Vorbilder als Antonio Carlos Jobim und João Gilberto, die Bossanova-Genies von der Copacabana.

Geistige Freiheit swingt

In der Nähe von Ravensburg aufgewachsen, kennt Dotschy Reinhardt die Vorurteile, mit denen Zigeuner auch hierzulande leben müssen, nur allzu gut. Sie tut das einzig Richtige und präsentiert die Mobilität des fahrenden Volkes als kulturellen Vorsprung an Freiheit und geistiger Flexibilität: Heimat, sagt sie, das sei weniger ein Ort als ein Geschmack oder "der Klang der Meereswellen".

Als Zugabe singt sie bei Konzerten das Lied, an das man die ganze Zeit denken muss, wenn man sie hört oder sieht: Jobims "Girl from Ipanema", in ihrer eigenen Sinto-Fassung, in der es "Der Junge vom nächsten Wohnwagen" heißt.

© SZ v. 29.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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