Buchkunst:Frechheit siegt

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Seit 25 Jahren verblüffen die "Tollen Hefte" mit wilden Illustrationen und steiler Prosa. Die Buchreihe ist geprägt von Rotraut Susanne Berner, die nun den Hans-Christian-Andersen-Preis erhält

Von Jürgen Moises

Wie kann das sein, das so etwas Tolles existiert und das seit 25 Jahren? So in etwa hörte sich laut Rotraut Susanne Berger die übliche Besucherreaktion auf die Jubiläumsausstellung "25 Jahre Tolle Hefte" an, die im vergangenen April während der Kinderbuchmesse in Bologna stattfand. Wovon die Leute so begeistert waren? Von den ungewöhnlich frischen und lebendigen Farben, die allesamt im aufwendigen Offset-Verfahren gedruckt sind. Von dem Geruch, der durch die zugehörige, spezielle Farbschichtung entsteht. Vor allem aber dürften sie mit "toll" die originellen, wilden, frechen, eleganten oder humorvollen Illustrationen gemeint haben, die ohne Verlags- oder Autoreneinmischung entstanden sind und denen man diese Freiheit auf fast jeder Seite ansieht.

Geschaffen wurden sie von Künstlern wie Axel Scheffler, der als Zeichner des "Grüffelo" berühmt geworden ist. Christoph Niemann, der als Illustrator unter anderem für den New Yorker zeichnet. Oder der mehrfach preisgekrönten Kinderbuchautorin und -illustratorin Nadia Budde, von der die aktuelle, im Frühjahr erschienene 45. Ausgabe der "Tollen Hefte" stammt. Man könnte noch einige Namen mehr nennen und würde dadurch eine Art "Who's Who" der internationalen Illustratoren-Szene erhalten. Zu dieser zählt auch Rotraut Susanne Berner, die bisher sechs Ausgaben gestaltet hat und diese seit dem Tod ihres Mannes Armin Abmeier im Jahr 2012 herausgibt. An diesem Samstag wird ihr in Auckland/Neuseeland der Hans-Christian-Andersen-Preis verliehen, die wichtigste internationale Auszeichnung für Kinderbuchillustratoren.

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(Foto: Die Tollen Hefte)

Jedes Heft eine Wundertüte: Die Reihe überrascht immer wieder. Im Bild: Kurzgeschichten von T.C. Boyle.

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(Foto: Die Tollen Hefte)

Die Nummer 1 von Walter Serner aus dem Jahr 1991 mit der Kriminalgeschichte "Wong Fun" auf dem Cover.

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(Foto: Die Tollen Hefte)

Illustrationen von Rotraut Susanne Berner. Sie gibt die "Tollen Hefte" seit 2013 heraus.

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(Foto: Die Tollen Hefte)

Zweiunddreißig Seiten mit Fadenheftung, als Original-Flachdruckgrafik gedruckt,...

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(Foto: Die Tollen Hefte)

...mit Schutzumschlag und einem Plakat als Beilage. So sehen die "Tollen Hefte" aus.

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(Foto: Die Tollen Hefte)

Seit 2001 erscheinen sie zweimal im Jahr in einer Auflage bis zu 3500 Stück bei der Büchergilde Gutenberg.

Ihre Rolle als Herausgeberin findet die Münchnerin immer noch "gewöhnungsbedürftig", weil sie sich damit "plötzlich auf der anderen Seite" sieht. Die Jahre davor lag diese Arbeit, das Herausgeben, das Organisieren, bei Armin Abmeier, der die Heft-Reihe 1991 ins Leben gerufen hat. Abmaier war ein Buch- und Bilder-Narr, jemand der für und durch die Literatur und Kunst lebte. Zuerst als Buchhändler, dann bei Verlagen wie Suhrkamp oder S. Fischer in den verschiedensten Positionen, zuletzt für viele Jahre als selbstständiger Verlagsvertreter. Von 2005 an widmete er sich neben Vorträgen, dem Besuch von Ausstellungen und Messen, wo er nach neuen Zeichnern und Autoren Ausschau hielt, fast ausschließlich den "Tollen Heften".

Die Idee für diese trug Armin Abmeier schon viele Jahre lang mit sich herum. Ihr Name stammt von den "Tollen Büchern", die in den Zwanzigerjahren im Elena-Gottschalk-Verlag herauskamen. Ansonsten stehen die "Tollen Hefte" aber vor allem für Armin Abmeiers Versuch, dieses "Bauchgefühl" wiederzubeleben, das ihn erfasste, als er in seiner Kindheit Comic-und Abenteuerhefte wie "Nick der Weltraumfahrer" oder "Prinz Eisenherz" verschlang. "Nach dem Krieg, als kleiner Junge, da waren diese Heftchen für ihn wie ein Türöffner", so erklärt Rotraut Susanne Berner die Begeisterung. Über die Hefte fand Abmeier zur Literatur, zu Schriftstellern wie dem Dadaisten Walter Serner, seinem Lieblingsautor, dessen Kriminalgeschichte "Wong Fun" als Nummer 1 der "Tollen Hefte" erschien.

Rotraut Susanne Berner ist Illustratorin und seit 2013 auch Herausgeberin. (Foto: Manu Theobald)

"Das gefällt mir. Das will ich. Das mach ich." Nach dieser Maxime hat, so Berner, ihr Mann auch danach als Herausgeber verfahren, hat Autoren wie Oskar Pastior, Charles Bukowski oder T.C. Boyle deswegen ausgewählt, weil er sie mochte. Mit T.C. Boyle verband ihn zudem eine enge Freundschaft. Manchmal brachten auch die Zeichner eigene Text-Ideen mit, wie etwa Jens Bonnke, der 36 "Versicherungsblüten" illustriert hat. Oder Atak, der Getrude Steins Kurzgeschichte "Ada" selbst als Text vorschlug. Andere Zeichner wie Blexbolex oder Nadia Budde illustrieren nicht, sondern erzählen eigene Geschichten. Mit einer großen künstlerischen Freiheit, die wie so oft auf klaren Vorgaben beruht.

Zweiunddreißig Seiten mit Fadenheftung, als Original-Flachdruckgrafik gedruckt, mit Schutzumschlag und einem Plakat als Beilage. So sehen die "Tollen Hefte" aus, die seit 2001 zweimal im Jahr in einer Auflage bis zu 3500 Stück bei der Büchergilde Gutenberg erscheinen. Und im selben Format kam auch schon das vom Leipziger Illustrator und Bühnenbildner Volker Pfüller gestaltete erste Heft heraus. Nur wurde es damals noch Blatt für Blatt von Benno Käsmayr im Augsburger Maro-Verlag gedruckt. Von jedem Heft gibt es zudem eine limitierte "Vorzugsausgabe", der in der Regel eine handsignierte Originalgrafik beiliegt. Früher gab es oftmals auch ein Spiel. "Einmal habe ich 20 Servietten bestickt", erzählt Berner.

Aber auch ohne solche "Gimmicks" ist jede Ausgabe ein Unikat, weil jeder Künstler die 32 Seiten nicht nur frei gestalten, sondern auch sein eigenes Farbspektrum aussuchen kann. Dieser gestalterische "Luxus" lockt nicht nur alte Hasen an wie Axel Scheffler, sondern auch viele junge Illustratoren. "Es ist unglaublich, welche Anziehungskraft diese Hefte ausüben", so Berner. Was für Münchner Museen und Ausstellungshäusern aber nur bedingt gilt. Denn einigen davon hat Berner die Jubiläums-Ausstellung aus Bologna angeboten. Aber die Schau, die auf sehr schöne Weise die Entstehung, Geschichte und Drucktechnik der Hefte schildert, will bisher keiner haben. Für die Kulturstadt München fast schon eine Blamage. Dafür kann man sich zumindest schon auf eine andere Entstehungsgeschichte freuen, nämlich: die zweite Schöpfungsgeschichte aus der Bibel. Berner hat sie für die nächste, für den September geplante Ausgabe der "Tollen Heft" illustriert.

© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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