Buch-Kritik:Warum nicht mal ´nen Neger?

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Menschenfresser und barbusige Mädchen: Ein ZDF-Film und ein Buch verkitschen und verharmlosen den deutschen Kolonialismus in skandalöser Weise.

JÜRGEN ZIMMERER

Die geballte Macht einer dreiteiligen TV-Dokumentation und eines aufwendig gestalteten und reich bebilderten Begleitbuches ist ein formidables vergangenheitspolitisches Instrument. Es vermag Geschichtsbilder zu zertrümmern und neue zu schaffen. Filmemacher sind die nationalstiftenden Historiker unserer Tage und schärfen das veröffentlichte Bild von der Vergangenheit weit stärker als jede akademische Historie, zumal wenn sie sich dank professoraler Ratgeber noch wissenschaftliche Seriosität ans Revers zu heften vermögen.

Die kolonialen Verbrechen erscheinen als Gewaltexzesse Einzelner, als Unfälle in einer an sich positiven oder doch wohlmeinenden Kolonialpolitik. - Askari-Trompeter aus Deutsch-Ostafrika. (Foto: N/A)

Nun wurden auch dem deutschen Kolonialismus Fernseh-Ehren zuteil. Allein diese Tatsache zeigt, dass sich die koloniale Amnesie, welche die deutsche Öffentlichkeit spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges befallen hat, allmählich zu lichten beginnt. Zunehmend erkennt man den deutschen Kolonialismus als exemplarisch und prägend für die deutsche Geschichte, wobei man unter Kolonialismus weit mehr versteht als bloße politische Beherrschung oder ökonomische Ausbeutung. Es geht um Mentalitäten und Diskurse, um die Exotisierung von Menschen und Landschaft, letztlich um die diskursive Erfindung des "Anderen", oftmals als Vorstufe seiner Unterdrückung und Versklavung.

Gerade postkoloniale Theoretiker wie Edward Said haben auf den Zusammenhang zwischen Wissen und Macht aufmerksam gemacht. Sie haben darauf hingewiesen, dass, wie man den "anderen" sieht, wie man ihn konstruiert, dessen Behandlung prädisponiert. Die Aufteilung und Beherrschung Afrikas etwa steht in diesem Sinne in einer Tradition des Afrikadiskurses, die spätestens seit Hegel Afrika jegliche Geschichtsmächtigkeit abspricht, dort nur den "schwarzen Kontinent", das "Herz der Finsternis" sieht, in dem nur Chaos herrscht.

In diesem Zusammenhang ist die dreiteilige TV-Dokumentation "Deutsche Kolonien", die bis vorgestern im ZDF zu sehen war, ein Skandal. Denn was die Filmemacher um Gisela Graichen boten, war wenig mehr als kolonialer Kitsch, der alle negativen Klischees über die "Wilden" bediente. Der Exotismus der Bildersprache bestätigt das koloniale Wahrnehmungsmuster des wilden Afrikaners als des zu zivilisierenden "Anderen". Lustig tanzende, barbusige afrikanische Mädchen und wild schreiende Jünglinge faszinierten schon das Wilhelminische Bürgertum. Und sieht man die "Menschenfresser" aus der Südsee durchs Bild hüpfen, kann man sich eines wohligen Schauers nicht erwehren. Aber Gott sei Dank kamen ja die deutschen Kolonialherren und brachten Ordnung.

Es wäre nun unfair, den Filmemachern zu unterstellen, sie hätten nicht um die dunklen Seiten des deutschen Kolonialismus gewusst oder diese völlig verschwiegen. Brav erzählten sie von den deutschen Kolonialverbrechern, vom "Hänge-Peter" Carl Peters bis zum genozidalen Massenmörder Lothar von Trotha. Was hilft das jedoch, wenn das Bildmaterial die binäre Codierung, den Gegensatz der "Wilden" und "Zivilisierten" zementiert?

Dem Film - der im März 2006 vom Sender 3sat wiederholt wird - wie auch dem reich bebilderten Begleitbuch ist ein weiterer Vorwurf zu machen. Subtil wird eine Ehrenrettung des deutschen Kolonialismus betrieben, indem man die (wenigen) Verbrecher vom guten Rest absondert. Die kolonialen Verbrechen erscheinen als Gewaltexzesse Einzelner, als Unfälle in einer an sich positiven oder doch wohlmeinenden Kolonialpolitik - eine Sichtweise, die durch die personalisierende Darstellung des Genres, das sich schwer tut mit der Darstellung struktureller Faktoren, gefördert wird. Alle Übel werden sozial deklassierten Psychopathen zugeschrieben, oder man verweist, wie Horst Gründer im Film, darauf, es seien ja nicht die Angehörigen der besseren Schichten in die Kolonien gegangen. Wären diese gekommen, so der sich aufdrängende Umkehrschluss, wäre alles zum Wohle der "Eingeborenen" verlaufen. Besser kann man koloniale Ideologie nicht wiedergeben. Zu welchen Kulturleistungen Deutschlands bessere Kreise in der Lage waren, sah man ja eine Generation später.

Diese Frage aber, wie es um den Zusammenhang zwischen kolonialer Vernichtungs-, Ausbeutungs- oder Rassenpolitik und der Politik der Nazis bestellt sei - eine Frage, die Hannah Arendt schon vor über 50 Jahren aufwarf -, darf nach Ansicht der Autoren gar nicht gestellt werden. Es wäre "sicherlich irreführend", aus dem 1912 auf Samoa erlassenen "Mischehenverbot" den Schluss zu ziehen, "im deutschen Kolonialreich habe es ,Nürnberger' Gesetze" gegeben, denn zum einen sei eine Verordnung kein Gesetz, und zum anderen habe es ähnliche Vorschriften auch in den Kolonien anderer Kolonialreiche gegeben. So einfach ist das: Man hätte auch damit argumentieren können, dass die Verordnung nicht in Nürnberg erlassen worden ist.

Warum aber weisen die Autoren im Buch und Horst Gründer im Film wider besseres Wissen jegliche mögliche Verbindung zurück, wieso argumentiert dieser mit der absurden Unterscheidung, im Falle des Hererokrieges habe es sich um keinen "geplanten" Genozid gehandelt, als gäbe es einen ungeplanten - um nur sofort daraus die These abzuleiten, dass kein Weg von Windhoek nach Auschwitz führe? Weil sich dann rassistische Politik und genozidale Praxis in der deutschen Geschichte nicht mehr auf zwölf Jahre NS-Herrschaft beschränken ließen? Weil dann der deutsche Kolonialismus als positives Identifikationsobjekt endgültig passé wäre?

Stehen deshalb auch zwanzig Seiten zur Verfügung, um den militärisch unsinnigen, für den Tod von bis zu einer Million Menschen verantwortlichen Kampf Lettow-Vorbecks im Ersten Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika zu schildern, während der auf erschreckende Art in die Zukunft weisende Rassenstaat in Südwestafrika wesentlich kürzer abgetan wird? Und auch das nur im Hinblick auf die dort lebenden "Weißen", wie überhaupt die Afrikaner fast vollständig als handelnde Subjekte fehlen. Aber ist die Geschichte des Kolonialismus nicht auch ihre Geschichte? "Traum und Trauma" lautet der Untertitel der Serie und des Buches. Waren denn nicht vor allem die Kolonisierten traumatisiert?

Schwer erträglich sind auch die terminologischen Fehlgriffe, die sich die Autoren des öfteren leisten, etwa wenn es von der samoastämmigen Pflanzerin "Queen Emma" heißt, sie bewohne in der Nähe des Gouvernementspalastes ein größeres Anwesen, "wo sie im Kreis ihrer zahlreichen Mischlingskinder Hof hielt". Warum ist es von Bedeutung, dass ihre Kinder "Mischlinge" waren, oder warum halten es die Autoren für erwähnenswert, dass die Rehabilitation von Carl Peters 1935 von seinem "jüdischen" Freund betrieben wurde. Soll es heißen, dass Juden besondere Rassisten waren, oder Mörder deckten?

"Kolonialpionier oder kolonialer Herrenmensch", lautet ein Kapitel zu Carl Peters. Es ist das analytische Gegensatzpaar, dem das ganze Buch verpflichtet ist. Auch hier liegt die Vorstellung zugrunde, dass man nur die Herrenmenschen, die "weißen" Schafe aussondern muss, um die heldentauglichen Pioniere zu finden. Aber worin unterscheidet sich ein Kolonialpionier denn genau von einem Herrenmenschen? Was, wenn nicht die Überzeugung der eigenen Überlegenheit, führte denn die Leute, zumindest die Pioniere, in die Kolonien, es sei denn, sie waren ehrlich genug, gleich zuzugeben, dass sie es aus dem Streben nach Geld oder Reichtum taten?

Graichen und Gründer versuchen - wie viele andere in der Debatte um den deutschen Kolonialismus - diesen als positive Epoche in die deutsche Nationalgeschichte zurückzuholen. Zu heftige Kritik am deutschen Kolonialismus steht diesem Unterfangen im Wege. Deshalb muss jede ideelle Beziehung zur nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungspolitik geleugnet werden, deshalb wird mantrahaft darauf hingewiesen, dass auch andere Kolonialmächte Verbrechen begangen hätten. Wer wollte das bezweifeln? Nur macht das den deutschen Kolonialismus um keinen Deut besser und sagt nichts über seinen historischen Ort in der deutschen Geschichte aus. "Deutsche Kolonien", als Film und als Buch, das wäre die Chance gewesen, Deutschlands koloniales Erbe aufzuzeigen und den Kolonialismus im Kopf zu beseitigen. Stattdessen hat man ihn bestätigt.

GISELA GRAICHEN, HORST GRÜNDER: Deutsche Kolonien. Traum und Trauma. Ullstein Verlag, Berlin 2005. 480 Seiten, 22 Euro.

© SZ v. 24.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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