Buch: "Kritik der reinen Toleranz":Freund und Feind

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Jemanden wie Henryk M. Broder möchte man nicht zum Feind haben. Nun richtet er sich gegen die islamische Welt - beziehungsweise gegen eine angeblich zu große Toleranz.

Michael Angele

Der Publizist Henryk M. Broder sucht ja öfter mal die gerichtliche Auseinandersetzung, und er scheut sich auch nicht, Menschen unter der Gürtellinie anzugreifen. Mit anderen Worten: Man möchte ihn nicht unbedingt zum Feind haben. Beruhigend also, dass das neue Broder-Buch einige Passagen enthält, hinter die der Rezensent gerne sein zustimmendes Häkchen gesetzt hat.

Henryk M. Broder mit Fes. Er trug ihn in Berlin, um die Toleranz der Berliner zu testen. (Foto: Foto: dpa)

Wenn Broder den milden Umgang mit Wiederholungstätern oder die Verschleierung des Migrationshintergrunds in der Kriminalstatistik anprangert, schreibt er an einer Chronik des Wegschauens und Kleinredens, die zu ignorieren töricht wäre - was allerdings die wenigsten Leser vollständig getan haben dürften: Die Fälle standen ja in der Zeitung. Broder will freilich mehr sein als Chronist.

Und die Fälle sind mehr als nur Einzelerscheinungen; sie ähneln Indizien in einem gewaltigen Prozess. Das neue Buch hat eine These, die den Leser seines letzten Traktats - "Hurra, wir kapitulieren" - nicht überraschen kann. Sie ist schlicht und prägnant und lautet: Toleranz gegenüber Menschen und Kulturen, die ihrerseits nichts von Toleranz halten, ist nicht in Ordnung. Wer möchte da widersprechen?

Rasch wird klar, dass das brodersche Intoleranzedikt primär gegen die Welt des Islams gerichtet ist (marginal auch gegen den Rechtsextremismus). Was soll man sagen? Der Rezensent fürchtet sich ja nicht nur ein wenig vor diesem Autor, das Fürchten lehren ihn vor allem Ereignisse wie der "Karikaturenstreit" und seine monströsen Folgen - es gibt weiß Gott Angenehmeres als eine ganze Weltgegend im Zustand erhöhter Reizbarkeit.

Als Laie will man deshalb gerne glauben, dass der Islam nicht ausschließlich zivilisationsschwach, fanatisch und frauenfeindlich ist, und es findet sich leicht entlastendes Material in der Presse. Wer sein Islam-Bild primär aus Organen wie dem "Feuilleton der Süddeutschen Zeitung" (Broder) hat, dem unterstellt Broder allerdings wenig "Vorstellungskraft" in diesen Dingen. Aber ist einer wirklich schon ein naiv-gefährlicher "Kulturrelativist", wenn er schlicht und einfach nur ratlos ist?

Das Buch wirbt mit einem Zitat von Helmut Markwort, es stammt aus der Begründung für den Ludwig-Börne-Preisträger Broder. "Oft polemisch und ohne Rücksicht auf Political Correctness, aber immer unabhängig und überraschend" sei der Autor. Rücksichtslos gegen die politische Korrektheit wirkt er allerdings nur so lange, wie es gegen den "Gutmenschen" geht; gegen eine in den achtziger Jahren geborene Gestalt also, von der man langsam glaubt, dass sie als Popanz einer gewissen Publizistik eher alt wird als in der rauen Wirklichkeit.

Keine Widerrede

Wenn es gegen eigene Bequemlichkeiten geht, ist die "Kritik der reinen Toleranz" leider weniger rücksichtslos. Aber Polemiker sind nun einmal selbstgerecht, beleidigend und aggressiv, und wären sie es nicht, wären sie keine Polemiker. Und sie müssen die Menschen ja bloßstellen, weil nur so die nackte Wahrheit ans Licht kommt, was für ein Scheißjob eigentlich, und doch machen sie ihn freiwillig und, wie es scheint, nicht ohne Vergnügen.

Vergnügt sich auch der Leser? Zum Teil sicher, etwa wenn der Irakreisende Jürgen Todenhöfer abgewatscht wird. "Mit Todenhöfer zu argumentieren, ist so mühsam, als wollte man Graf Dracula die Schönheit des Sonnenlichts erklären." An anderen Stellen würde man allerdings schon lieber ein paar mühsam errungene, überzeugende Argumente lesen als wohlfeile Polemik. Das Buch scheint schnell geschrieben zu sein; der Fall des Sportwissenschaftlers Arnd Krüger wird darin schon verhandelt. Krüger hatte sich in diesem Sommer bekanntlich mit kühnen Thesen zum Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972 um Kopf und Kragen geredet, das Wort vom "Opfer-Tod" stand im Raum.

Aber war wirklich alles so abstrus, wie im Kapitel "Toleranz ist, wenn gebrannte Kinder das Feuer suchen" unterstellt wird? "Der Gedanke, dass Israel in sechs Jahrzehnten der Selbstverteidigung möglicherweise doch ein Ethos ausgebildet hat, in dem Töten und Sterben anders gewogen werden als in friedlicheren Weltgegenden, soll nicht ausgesprochen werden dürfen", bemerkte Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen zu dem Fall. Doch Broder lässt sich auf solche Gegenrede leider nicht ein.

Wie im Gerichtssaal

"Krüger wird nun jeden verfolgen, der behauptet, er sei ein ,wissenschaftlicher Antisemit'", endet das Kapitel, weil jener vom Vorwurf der "antisemitischen Einstellung bei der Thesenbildung" unterdessen von seiner Uni freigesprochen wurde. Aber vielleicht wird Professor Krüger auch gar keinen "verfolgen"? Kann Broder wirklich nur in den Kategorien von Freund und Feind denken? Graustufen, Zwischentöne: nichts davon. Gerne würde man - wie es das Markwort-Zitat verspricht - bei der Lektüre dieses Buches auch mal überrascht werden, eine unerwartete Wendung oder einem unerhörten Gedanken finden - immerhin trägt das Buch mit "Kritik der reinen Toleranz" ja einen Titel, der nichts weniger als ein philosophisches Hauptwerk vermuten lassen könnte.

Stattdessen geht es in diesem Traktat eben wirklich ein wenig zu wie in einem Gerichtssaal. Der Täter ist bekannt, die Anklage haut Beweisstück an Beweisstück auf den Tisch, die Verteidigung kann man vergessen. Da, das Palästinenserkind mit der Bombenattrappe, die ihm der Vater für die Berliner Demo umgehängt hat, da die Hasstexte des angeblich so harmlosen Rappers Muhabbet, und da und da die Bombenpläne des Iran, der die ganze westliche Welt narrt, die das, siehe da, da und da, auch noch willfährig hinnimmt! Gefühlte fünf Phoenix-Ereigniskanal-Stunden geht das so.

Das muss so sein, der Feind ist gefährlich, hören wir den Autor, er bedroht auch Dich, Rezensent, hast Du es denn immer noch nicht begriffen? Und schon packt er uns am Kragen. Doch, doch, rufen wir, aber bitte nicht so stark schütteln, wir sind doch Zauderer, geschwächt von einem Leben in relativem Frieden und Wohlstand, aber wir wollen ja nicht klagen.

HENRYK M. BRODER: Kritik der reinen Toleranz. wjs Verlag, Berlin 2008. 214 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 25.9.2008/sst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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