Bowie tourt:We can be Pantoffelheroes, just for one day.

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Nur noch Zähneputzen, dann ab ins Bett: Bowie enttäuscht bitterst bei seinem Tour-Auftakt in Hamburg. Von Karl Bruckmaier

Der Heilige Augustinus nun wieder: Kunst sei, was große Künstler machen. Und dass David Bowie ein großer Künstler ist, daran besteht eigentlich kein Zweifel. Also, Scholastika, die Post ist da, war das Kunst, was David Bowie in Hamburg einer gut gefüllten "Color Line Arena" angeboten hat zum Beginn seines welttourneetechnisch fälligen Abstechers nach Deutschland.

Ganz verspannt im Hier und Jetzt, sieht dabei aber gut aus: Bowie schaut man gerne zu. Wenn nur nicht dieser Krach wäre, den sie Musik nennen. (Foto: Foto: dpa)

Sieben Monate wird der Tross von Halle zu Halle fliegen, wird weiß getünchte Birkenreiser kopfunter von der Decke baumeln lassen, einen langen Catwalk ums Bühnengeviert errichten. Sieben Monate lang wird David Bowie sein Cheshire-Cat-Lächeln nicht absetzen, sieben lange Monate wird er mit dieser fünfköpfigen Band zwei Dutzend Bowie-Der-Mann-für-alle-Jahreszeiten-Songs vom Himmel fallen lassen: Nach einer guten Stunde beginnt man, Mitleid mit ihm zu haben. Denn das alles muss sehr schnell besser werden, sonst wird es zur Tortur.

Selbst ein halb so intelligenter Mensch wie Bowie, stünde er an dessen Stelle auf der Bühne, hätte bemerkt, dass es einige Passagen im Konzert gab, an denen Daniel Küblböck zu weinen angefangen hätte. Tosender Applaus, Arenen-typische Begeisterungsstürme regten sich ganze zwei Mal, nach "Heroes" und "Suffragette City", sonst reckte sich kaum die Hand zum Mitklatschen, während leiser Passagen und launig gemeinter Ansagen schälte sich aus dem lauten Stimmengewirr schon mal deutlich vernehmbares Pfeifen und herzlich-hanseatische Anfeuerungsrufe wie "Gib mal Gas, Du alte Tunte!".

Und Bowie hätte liebend gerne Gas gegeben, aber er konnte nicht.

Nach einem schnellen Stück war er sichtlich außer Atem und brauchte zwei oder drei Balladen, um sich zu erholen. Bei "Let's Dance" stand er stocksteif auf dem Laufsteg über den Köpfen des Publikums, zu fertig, um mit den Zehen zu wippen.

Als "fiese und richtig harte und schnelle Nummer" kündigte er nach zehn Minuten Richard-Tauber-haften Tenorgedöns' wie "Loving the Alien" oder "The Motel" dann den etwas aufgebohrten Midtempo-Song "I'm Afraid of Americans" an: Nicht gerade die Vorstellung eines jeden Publikums von einem "Ruck, der durch das Konzert gehen soll": eine halb vergessene Nummer aus einer halb vergessenen LP der fast vergessenen Neunziger Jahre.

Zu Konzertbeginn ließ uns Bowie wissen, er habe gut gegessen, sei aber hundemüde. So mag das Hamburg-Desaster ein Ausrutscher gewesen sein, aber man muss befürchten, dass es sich um ein grundsätzliches Problem handelt. Wer die Rolling Stones gesehen hat, weiß, dass Alter keine Entschuldigung für ein schlechtes Konzert ist, weil sich ein Mindestlevel von Show und Musik auf diesem hohen Ausgangsniveau durch so unangenehme wie unverzichtbare Dinge wie körperliche Fitness, Choreographie, innere Dramaturgie erreichen lässt.

Bowie hat sich einmal über die Stones lustig gemacht, sie würden ja immer nur den einen Song spielen. Das ist im Kern wahr, aber wir wären sehr froh gewesen, David Bowie hätte seine Band diesen einen Song richtig einstudieren lassen. Und nicht viele Songs ein wenig, und den Rest erledigt der Mann am Mischpult mit Zuspielungen. Überhaupt die Band: Sie schien sich noch mehr nach den Hotelbetten zu sehnen als ihr Chef. Einen jeden Song tunkten sie in geschmäcklerischen Hausfrauenrock, wie er auch ein Chris DeBurgh- oder Tina Turner-Konzert verschönern hilft.

Die als Vorgruppe angeheuerten und alles andere als großartigen Dandy Warhols wirkten da rückblickend wie warme, menschliche, sympathische Wesen mit einem Anliegen und einem mehr als nur tanzkapellenhaften Verhältnis zu ihren Songs und zum Publikum.

Der Heilige Augustinus lässt nun fragen, ob es denn nichts Positives zu berichten gibt. Doch: David Bowie sieht gut aus. Er sieht so gut aus, dass man ihn zwei Stunden lang einfach nur anschauen mag, gern auch gegen Eintritt. Nur die Musik stört halt.

© SZ v. 18./19.10.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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