Bodo Kirchhoff: Krisen-Roman:Das Weichei und der Korkenzieher

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Die Finanzkrise als Roman - eine Ejaculatio praecox: Bodo Kirchhoff schwelgt in "Erinnerungen an meinen Porsche".

Holger Liebs

Was haben Charlotte Roche und Thomas Mann gemeinsam? Der eine liefert die Idee für das Setting, die andere ist Blaupause für eine Hauptperson in Bodo Kirchhoffs neuem Roman "Erinnerungen an meinen Porsche". Nur, dass der "Zauberberg" hier Kurklinik Waldhaus heißt und die Autorin der "Feuchtgebiete" nunmehr Helene (Roches Protagonistin heißt Helen Memel). Sie hat ebenfalls einen "Hämorrhoidenrenner" verfasst. Im Übrigen ist Helene gekleidet wie ein "englisches Fräulein" und notorisch notgeil.

Danny hat sein edelstes Teil nach seinem 911er benannt. Letzterer ist ein Geschoss "mit einem Geräusch wie das Fauchen einer Frau, der es kommt, obwohl sie noch wütend auf einen ist." Seltsam. Aber so steht es geschrieben. (Foto: Foto: dpa)

Auch sonst speist sich Kirchhoffs Sanatoriums-Personal aus hinlänglich bekannten, kaum fiktionalisierten Gestalten der bunten Seiten, VIP-Empfänge und Tagesschau-Meldungen: Klaus Zumwinkel, Elke Heidenreich, Sabine Christiansen, Andrea Ypsilanti leiden allesamt am "Prominentenklimakterium" - und auch ein "Volksschwuchtel" genannter Sänger eher traditionellen Liedguts lässt sich im Waldhaus mental aufmöbeln.

Im Zentrum des Treibens in der Luxus-Reha aber steht Daniel "Danny" Deserno, ein knapp 40-jähriger Schnösel, den es gleich doppelt erwischt hat: Als Investmentbanker, dessen Arbeitgeber vor der Pleite steht, sinnt er den Zeiten des ungebremsten Raubtierkapitalismus nach - und als außer Gefecht gesetzter Liebhaber der Unversehrtheit seines edelsten Teils, welches er "Porsche" nennt ("Mein Porsche ist am Arsch"). Ein irrsinnig origineller Einfall, welchen Kirchhoff, um seinen libidinös gesteuerten Deserno gleich ins rechte Licht zu setzen, flugs für muntere Garagen-Metaphern nutzt, fürs "Ölablassen" in "Hinterhofklitschen" etwa und, ja, auch das, für "Auspuffnummern".

Aber damit, sprich, mit dem "Einfahren", ist es nun vorbei. Denn Daniels Freundin Selma hat dem Zocker am Weihnachtsabend mit einem Schraubkorkenzieher (von Alessi, wie Kirchhoff nicht zu erwähnen vergisst) sein flottes Cabrio arg ramponiert. Weil er keine Kinder will, also auch im Privaten ein rücksichtsloser, jetztfixierter Spekulant ist ("Nee, Selma, nee").

Alle Schwellkörper ruiniert

So wachsen Weltfinanzkollaps und Bankrott des männlichen Lustzentrums nahtlos, aber narbenreich zusammen: ob Aktienkurse oder Männerphantasien, alle Schwellkörper sind ruiniert. All systems down. Von nun an kann Daniel, zum Dauerpatienten mutiert, der nicht einmal mehr zu gehen imstande ist, nur noch melancholisch der vergangenen Größe seiner beiden Lieblingsobsessionen nachhängen. Und das tut er dann auch ausgiebig. So weit, so boulevardesk. Kirchhoff scheint sich spätestens seit dem Erfolg seines "Schundromans" eine Dauerlizenz fürs ironisch kolportierte Triviale, fürs Heftige und Deftige erworben zu haben - es blitzt, zwinkerzwinker, ja in dem aufpolierten Chromglanz dieser gewollten Trash-Stories immer die eigentliche Virtuosität des Autors durch, nicht wahr?

Doch unter der zweifellos windschnittigen Karosserie dieses Romans kreischt der Motor doch ziemlich übertourig. Von Lehman bis zur hessischen SPD wird kaum etwas ausgelassen, was die Nachrichtenticker im vergangenen Dreivierteljahr ausgespuckt haben. Ständig wird im Speisesaal des Sanatoriums dazu das Menü des gehobenen Bildungsbürgertums heruntergebetet, meist gibt's erlesen Italienisches, etwa Morchelrisotto oder Fichi Secchi Ripieni, also getrocknete Feigen, ein Gericht, dessen korrekte Aussprache gleich wieder eindeutige Assoziationen weckt.

Um zu erklären, wie Deserno zum geldgeilen Erotomanen wurde, wird mit freudianischem Bildungsgut nicht gegeizt: Sein "Erzeuger", ein Hippie-Weichei namens Gunther, kam irgendwie abhanden, die Mutter, Ursel, war wie weiland Joschka Fischer in Frankfurt mit Radau und Krawall unterwegs und lebt heute in einer altlinken Frauen-WG - bei der Hausgeburt war von den Feministinnen eigentlich ein Mädchen erwartet worden, aber "bei meinem termingerechten Ausscheiden aus der rein weiblichen Sphäre" war die Enttäuschung dann groß - zumal der kleine Daniel, so wird angedeutet, schon mit einer Mini-Erektion das Licht der Welt erblickte. Immer, wenn man denkt, noch dicker kann es nicht mehr kommen, jagt ein weiteres Herrenwitz-Detail aus der "Porsche"-Historie um die Kurve.

Nun sitzt Deserno jedenfalls im Rollstuhl, seinen "Vorständer" in Mull verpackt, gibt Auskunft über sichere Geldanlagen an seine verunsicherten Mitpatienten - der Roman ist auch eine Art Finanzratgeber - und erwartet Besuch von seiner Korkenzieher-Attentäterin Selma sowie von Ursel. Und zwar zu dem Zeitpunkt, als auch eine Lesung in der Schwarzwaldklinik naht, mit dem Schriftsteller Ruprecht Truchseß, der einen Roman über Goethes Amalia-Affäre verfasst hat, begleitet von einem Kritiker mit dem Nabokov-Namen Dr. Humbert. Wie gewohnt spart Kirchhoff nicht mit Seitenhieben auf den Literaturbetrieb - auch Deserno selbst schreibt seine Erinnerungen an potentere Zeiten nieder und wird nicht mal müde, nebenbei Regeln fürs richtige Romanverfassen aufzustellen. Selbstreflexiv ist das "Porsche"-Buch also auch noch.

Schnell, zu schnell hat Kirchhoff, offenbar von der Börsen-Hysterie gepackt, die Jetztzeit in Romanform bündeln wollen - doch zerfasert die ironische Story zwischen Finanzcrash, Impotenz, Italianità, Promi-Groteske und Autorenworkshop in allenfalls amüsantem Klein-Klein. Das "Pulp Fiction"-Label allein rechtfertigt jedenfalls nicht jede abgegriffene Schlüpfrigkeit. Gerade als aus Truchseß' Roman die Stelle vorgelesen wird, wo Johann einen "Strom, weißer als ihre Haut und stärker als der Sonnenstrahl" auf Amalia entlädt, erlebt auch Deserno, im Gartenhaus der Klinik mit Selma und Helene vereint, die Wiederauferstehung und damit einen neuerlichen Triumph seines Flitzers: "Ich jagte die verdammte Ladung Unglück als Glück in das Sonnenlichtbündel."

Und siehe, er konnte wieder gehen - und flitzt ab, mit dem Flieger, in die Sonne. Ein Wunder? Leider nein. Nicht mal wunderlich. Aber vielleicht interessiert sich ja das Fernsehen für den Stoff?

BODO KIRCHHOFF: Erinnerungen an meinen Porsche. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 240 Seiten, 18,50 Euro.

© SZ vom 3.4.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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