Bodo Kirchhoff "Die kleine Garbo":Jeder Desperado findet seine Diva

Lesezeit: 4 min

Bodo Kirchhoff erweist sich auch mit "Die kleine Garbo" als Meister des Schundromans.

Kristina Maidt-Zinke

Einen Schundroman, der sich mit dem Titel ,,Schundroman'' selbst auf die Schippe nimmt, kann man nur einmal schreiben. Das hat Bodo Kirchhoff vor vier Jahren bravourös erledigt. Deshalb heißt sein neues Werk nun geheimnisträchtig-cinephil ,,Die kleine Garbo'', obwohl es nichts anderes ist als eine neue Schundroman-Variante, diesmal jedoch eine, die nicht mit hartschaligen Männermythen ihr Spiel treibt, sondern auf den weichen Kern - um nicht zu sagen Keks - in uns allen zielt.

Zwar fließt auch hier reichlich Blut, und es sind sogar zwei Leichen zu beklagen, aber die trifft es bloß aus Versehen, weil der Held ein solcher Unglücksrabe ist, dass seine Knarre immer im falschen Moment oder in die falsche Richtung losgeht. Ansonsten haben wir es mit einem Märchen zu tun, in dem vom einsamen Wolf bis zum treuen Hund, vom Winterwald bis zum Weihnachtsengel, von der Wahrheit aus Kindermund bis zum gutherzigen Gangster alles nach einer familienfreundlichen Fernsehverfilmung schreit. Dass der Autor auch noch so etwas wie eine Mediensatire mitliefert, darf deshalb als pure Koketterie verbucht werden.

Warum die einen im Dunkeln und die anderen im Licht stehen

Was sich marktanalytisch nicht einkalkulieren ließ, war der jüngste Medien-Hype um die rätselhafte Beziehung zwischen einem Kidnapper und seinem jahrelang bei ihm ausharrenden Opfer. Die Geschichte, die Kirchhoff sich viel früher schon ausgedacht hat, könnte in diesem Zusammenhang allerlei Fantasien freisetzen, kreist sie doch unter anderem um eine komplizierte Form von Anhänglichkeit und Abhängigkeit, die sich zwischen einer Zwölfjährigen und ihrem vier- bis fünfmal so alten Entführer entwickelt.

Zwar ist Kirchhoffs Pechvogel ein Kidnapper wider Willen, und das zufällig in seine Gewalt geratene Mädchen wird nicht erst durch den Kriminalfall berühmt, sondern ist längst ein populärer Fernsehstar. Auch verbringen die beiden nicht Jahre miteinander, sondern nur einen halben Tag und eine Nacht.

Aber an manchen Stellen scheint sich anzudeuten, dass bei weniger effizienter Polizeiarbeit und ohne dramaturgischen Auflösungszwang diese merkwürdige Zweisamkeit sich auf unbestimmte Zeit hätte verlängern lassen. Und wieder haben wir einen schönen Beleg dafür, wie das wirkliche Leben dem imaginativen Furor unserer Erfolgsschriftsteller hinterherhinkt.

Lebensphilosophisch, wenn man denn so hoch greifen will, geht es in dem Roman um die Frage, warum die einen im Dunkeln und die anderen im Licht stehen. Das Mädchen mit dem soap-kompatiblen Namen Marie-Luise März steht routinemäßig im Scheinwerferlicht, kommt aus wohlhabendem Hause und hat keine Probleme außer jenen, die früher Starruhm mit sich bringt.

Klar, in der Schule läuft auch nicht immer alles rund, die Eltern können manchmal nerven (zum Beispiel der Papa, wenn er den Familientisch auf der Terrasse des ,,Gritti'' in Venedig in peinlich schlechtem Italienisch bestellt), und wenn es ganz schlimm kommt, dann wächst einem auch noch ein Pickel auf der Elfenbeinstirn. Sollte Bodo Kirchhoff zu Recherchezwecken Mädchenbücher gelesen haben, dann hat er sie jedenfalls treffsicher ausgewertet.

Näher ist ihm naturgemäß die Gegenfigur, Giacomo Hoederer, ein Mann knapp jenseits der besten Jahre, der äußerlich sogar Merkmale des Autors aufweist, etwa die ,,spitze, aber solide Nase'' und die auffällig wohlgeformten Ohren. Auch die Liebe zum Kino teilt er mit seinem Erfinder, die Affinität zu Italien und noch ein paar generationstypische Sentimentalitäten.

Ein Roadmovie, das sich selbst ad absurdum führt

Aber er ist eben kein Erfolgsschriftsteller mit Zweithaus am Gardasee, sondern ein Loser, wie er im Buche steht: Wegen gesellschaftsfeindlicher Umtriebe hat man ihm einst den Lehrerberuf verweigert, als Redakteur eines Stadtmagazins taugt er aus Altersgründen nicht mehr, und bei einem Limousinenservice ist er rausgeflogen, weil er seinen Fahrerjob für kleine Nebengeschäfte mit vertraulichen Informationen missbraucht hat.

Spätestens in diesem Stadium des anschwellenden Elends pflegt die Ehefrau mit ihrem Therapeuten durchzubrennen. Um die seinige (Männer!!) mit einer Luxuskreuzfahrt zurückzuködern, will Hoederer eine Bankfiliale ausrauben, aber einer wie er erwischt nur kleine Scheine, erschießt versehentlich eine greise Kundin und verunglückt auf der Flucht mit dem Motorrad.

So kommt es zur schicksalhaften Begegnung zwischen dem ewigen Verlierer und dem Jaguar Daimler (Vollausstattung), in dessen Fond das Glückskind Marie-Luise hockt, mit einer zotteligen Promenadenmischung namens Lorca im Arm und, weil auf dem Weg zum familienfreundlichen Filmdreh im verschneiten Wald, mit Engelsflügeln am Rücken.

Leider muss nun auch noch, wir befinden uns ja in einem Schundroman, der nette Chauffeur das Zeitliche segnen - ebenfalls unbeabsichtigt, weil der enervierte Held die Beretta Brigadier, die aus der Waffensammlung seines polnischen Zahnarztes stammt, nicht richtig im Griff hat.

In einem letzten Versuch, die Situation zu seinen Gunsten zu wenden, mutiert Hoederer zum Geiselnehmer, fordert über das Mobiltelefon des Mädchens einige Millionen Euro Lösegeld und lenkt seine kostbare Beute immer tiefer hinein in den Wald, den literarischen Ort für Verdunkelung und Wirrnis, aber auch Erkenntnis und Katharsis seit undenklichen Zeiten.

So beginnt ein Roadmovie, das sich selbst ad absurdum führt, weil die Bewegung immer langsamer wird und schließlich zum Stillstand kommt. Wohingegen sich im Inneren des Wagens, um ihn herum (man muss ja mal pinkeln) und später auch noch in einer finsteren Höhle die Auseinandersetzung und Annäherung zwischen dem selbstmitleidigen Desperado und dem altklugen Kind heftig menschelnd, keineswegs kitschfrei, doch überwiegend niveauvoll zum dramatischen Ende hin beschleunigt.

Unterdessen zieht es den possierlichen Hund Lorca mit aller Macht zu einer läufigen Wölfin, die unerlaubt im deutschen Wald herumstreunt, und was sich derweil im aufgescheuchten Fernseh-Produktionsteam, im Polizeiapparat und in der Familie der entführten Kleindiva abspielt, wird ein wenig harmlos, aber jederzeit unterhaltsam kolportiert.

Zuweilen gehen die Männermythen wieder mit dem Autor durch, etwa wenn er, bei einer Befreiungsoffensive der Polizei, eines der wohlgestalteten Helden-Ohren derart schlachtreif schießen lässt, dass dessen Besitzer es sich wenig später mit van Goghschem Märtyrer-Heroismus abschneiden muss. Das liegt vielleicht, mit Blick auf die ,,Tatort''-Version, die wir irgendwann gern sehen möchten, schon jenseits der Geschmacksgrenze.

Ansonsten muss man Kirchhoff lassen, dass er virtuoser auf der Klaviatur des Trivialromans spielt als viele, die ausschließlich in dieser Ecke siedeln - und unter seinen ,,seriösen'' Kollegen, die sich in diesem Genre nur halbherzig-berechnend versuchen, kann ihm ohnehin keiner das Wasser reichen.

© SZ-Beilage vom 04.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: