Blitzaktion:Der Nutzen vom Putzen

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Die Internationale Jugendbibliothek in der Blutenburg saniert 80 000 Bücher

Von Antje Weber, München

Saugen und wischen, saugen und wischen. Ein Buch aus dem Karton nehmen, den Schnitt mit einem Handstaubsauger und mit einem Schwamm reinigen, oben, seitlich, unten. Dann das Buch öffnen, erst vorne, dann hinten, das Vorsatzpapier absaugen und wischen, das Buch schließen, fertig, wieder ab in den Karton. Saugt und bläst da der Heinzelmann? Nein, es sind junge Frauen und Männer, die seit fast vier Wochen auf Schloss Blutenburg in einem Kellerraum und Containern sitzen und Bücher putzen müssen. Was sie leisten, ist jedenfalls keine Augenwischerei.

Die Internationale Jugendbibliothek bewältigt derzeit ein Projekt der besonderen Art. Eines, bei dem es einmal nicht um die schöngeistige Auseinandersetzung mit Ideen geht, sondern um die tätige Arbeit am Buche selbst. Ganz kurzfristig hat die Bibliothek in diesem Herbst 150 000 Euro vom Bund erhalten, um 80 000 Bücher zu sanieren - was aber bitte bis Jahresende geschehen sollte. Dabei hatten die IJB-Leiterin Christiane Raabe und ihr Team in diesem Jahr ohnehin schon einiges auf die Beine gestellt, vor allem mit jugendlichen Geflüchteten: einen dreiwöchigen Sommer-Workshop, finanziert von der Binette-Schroeder-Stiftung. Ein Poetry-Slam-Projekt mit dem Autor Jaromir Konecny, finanziert vom Deutschen Literaturfonds. Und ein aufwendiges Tandem-Schreibprojekt, das unter Anleitung von Autoren wie Lena Gorelik Gymnasiasten und Schüler aus Übergangsklassen zusammenbrachte, finanziert vom Deutschen Übersetzerfonds. Und nun also kurz vor Jahresschluss auch noch der große Bücherputz?

"Ein Gewaltakt", sagt Raabe, während sie treppab und treppauf durch Kellermagazin, Schlosshof und Container auf der Wiese führt, aber vor allem: "ein großes Geschenk". Denn ein immenses Problem, das sie seit Jahren beschäftigt, wird damit bald bewältigt sein. Ein Problem, das 1983 vor ihrer Amtszeit seinen Anfang nahm, als die meisten der damals 400 000 Kinderbücher - also "richtig viele" - in einem Kellermagazin unter dem Schlosshof eingelagert wurden. Konservatorisch war der Keller jedoch schlecht geeignet: zu feucht, zu kalt im Winter, "das tat den Büchern auf Dauer nicht gut". Zur Pest kam sozusagen die Cholera: Die Bücher, darunter historische Bestände, wurden über die Jahre nie gereinigt. Ein Versäumnis, denn eigentlich gehen Bibliotheken immer wieder nach und nach ihre Bestände durch.

Warum man Bücher überhaupt sanieren muss? Das kann man sich ja schon mal kurz fragen, wenn man den Arbeitern beim flinken Saugen und Wischen zusieht. Zwar ziehen im IJB-Keller nirgendwo Spinnen ihre Fäden von Buch zu Buch, wie Raabe glaubhaft versichert, doch Staub und zum Teil unsichtbare Schmutzpartikel gefährden im Laufe der Zeit die Substanz. Neben klimatisch ungünstigen Bedingungen spiele dabei auch die Papierqualität eine Rolle, sagt Raabe. Insbesondere Kinderbücher aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, zumal aus Osteuropa oder Lateinamerika, seien auf billigem, stark säurehaltigem Papier gedruckt worden - "mittelalterliche Handschriften haben eine bessere Qualität!"

Gefahr erkannt, Gefahr noch nicht gebannt; seit 2009 jedoch begann man auf Abhilfe zu sinnen. Der Keller erhielt endlich ein Belüftungssystem, einige Bestände verlegte man in Außenlager. Man schickte einige historische Bestände zur Sanierung ins renommierte Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig. Und man entwickelte ein Modellprojekt zur Reinigung der "Genfer Sammlung" von Jean Piaget aus den Zwanzigerjahren in München selbst - "das funktionierte gut", erinnert sich Raabe an diesen ersten Test. Schritt für Schritt ging es weiter: Der Freistaat Bayern gab Geld, um einen sauberen "Weißbereich" des Magazins mittels Schleusen vom schmutzigen "Schwarzbereich" zu trennen, unter anderem bezuschusste auch die Stadt München die Sanierung. Doch es reichte nicht ganz: Vor einem Jahr war alles Geld ausgegeben, 80 000 von insgesamt mehr als 400 000 Büchern waren jedoch noch Schwarz-Ware. Schließlich galt es, insgesamt 7600 Regalmeter abzuarbeiten: "Wenn man alle Regale nebeneinanderstellt, reicht das ungefähr von hier bis zum Marienplatz", sagt Raabe.

Dann kam das Geschenk vom Bund. Und der Zeitdruck. Und die Idee des Hausmeisters, doch einfach Container neben die Schlossmauer zu stellen. Die LKW versackten zwar beim Abladen in der Wiese, ein Kran musste ran. Doch jetzt sitzen hier acht junge Arbeiter und blitzsaugen, drei Mitarbeiter schleppen ausschließlich Kartons hin und her, sechs weitere räumen im Akkord Regale ein, und drei Tester überprüfen, ob die Bücher auch sauber sind - andernfalls wird gleich noch einmal gesaugt. "Eine schöne Herausforderung", sagt Einsatzleiter Günsev Serkan von der Münchner Sanierungs-Firma Polygonvatro lächelnd, "das ist nicht alltäglich - richtig schöne Feinarbeit!"

Ende dieser Woche sollen alle Bücher und auch das Magazin geputzt sein. Im kommenden Jahr steht noch ein letztes großes Räumen bevor: Alle Bücher müssen neu geordnet werden, bevor auch das Publikum wieder bei Führungen in den Keller darf. Ein einziger Blick auf die frisch sanierten Bücher aus aller Welt macht jedenfalls klar, dass sich der Aufwand gelohnt haben muss. Vielleicht haben ja auch Bücher eine Seele: Denn sie glänzen nicht nur - sie strahlen.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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