Bilder-Analogie:Fritten den Hütten!

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Der Vergleich zwischen Historiengemälde und aktuellem Agenturfoto verdeutlicht: Der Versuch, die Vergangenheit auszulöschen, bereitet nur deren machtvolle Wiederkehr vor.

CHRISTOPHER SCHMIDT

Im Jahr 1894 führte Anton von Werner sein Gemälde "Im Etappenquartier" (Abb.: Staatliche Museen zu Berlin/ Nationalgalerie) aus. Das Bild geht zurück auf eine Reiseimpression, die der Berliner Maler während des Deutsch-Französischen Krieges festgehalten hatte. Dort war er unterwegs mit einem Trainkommando. In Brunoy hatten sich die Reisenden in einem verlassenen Schlösschen einquartiert, das von der allein mit ihrer kleinen Tochter zurück gebliebenen Concierge bewacht wurde.

Die schlammverspritzten Stiefel und das verstreute Brennholz veranschaulichen, dass man sich nicht einschüchtern lässt vom kostbaren Rokoko-Interieur. (Foto: SZ v. 09.04.2003)

Das Gemälde zeigt die Soldaten, wie sie es sich im requirierten Schloss gut gehen lassen. Die Szene verströmt biedere Behaglichkeit und eher gusseisernes wilhelminisches savoir vivre. Die schlammverspritzten Stiefel und das verstreute Brennholz veranschaulichen, dass man sich nicht einschüchtern lässt vom kostbaren Rokoko-Interieur. Ein Ulan hat Pickelhaube und Seitengewehr abgelegt; eine Hand salopp in der Hosentasche, die Wangen gerötet vom Genuss des edlen Tropfens, von dem man einige Bouteillen aus dem Weinkeller geholt hat, bringt er ein Ständchen zu Gehör, wobei er von einem Kameraden am Flügel akkompagniert wird. Im bequemen Fauteuil des Hausherrn lümmelt sich ein respektloser Offizier. Lässig lässt er ein Bein über die Armlehne baumeln. Zwei andere Kameraden haben ihre Porzellanpfeifen angesteckt und rauchen.

Nur wenige Details in diesem Bild einer freundlichen Übernahme deuten auf die weniger freundlichen Züge von Besatzern hin. Einer der Ulanen fraternisiert mit der von der Musik angelockten Concierge, ein anderer untersucht die Lampe nach Docht und Petroleum, rar geworden Ressourcen, ohne ein Auge zu haben für die kostbare Pendeluhr auf dem Kaminsims, die wertvollen Vasen, Gemälde und andere Preziosen. Mit größter Natürlichkeit bewegen sich die Troupiers in diesem luxuriösen Ambiente, brave deutsche Soldaten nach dem Zapfenstreich. Ihrer hemdsärmeligen Nonchalance und der ostentativen Laxheit ihrer Manieren eignet nichts von der triumphalen Arroganz der Macht; sie bringt vielmehr die Gleichgültigkeit des deutschen Soldaten zum Ausdruck, den Pomp und Verschwendungssucht unbeeindruckt lassen und der die schlichten Genüsse trauten Musizierens bei Kaminfeuer und einem kräftigen Schluck aus der Flasche französischem Raffinement vorzieht.

Ganz anders als das populäre Genrebild von Werners das Foto amerikanischer Soldaten des 7. Infanterieregiments (Foto: AP), die nach der Besetzung des Hauptpalastes von Saddam Hussein souveräne Lässigkeit zur Schau tragen. Auch sie rauchen die Zigarette danach und fläzen sich in zierlichen Sesseln. Während von Werners Gemälde sorgfältig komponiert ist, handelt es sich hier um ein tableau vivant, arrangiert von den Befehlshabern der amerikanischen Streitkräfte selbst.

Genauso wie das Vorrücken der amerikanischen und britischen Truppen auf die strategisch bedeutungslosen Paläste Saddams Akte der symbolischen Entmachtung darstellen, sind die Bilder der Soldaten im Ameublement des Diktators Dokumente einer Thronbesteigung von großem inszenatorischen Aplomb. Immer wieder sind die Aufnahmen eines BBC-Reporters gezeigt worden, der die Fernsehzuschauer wie ein Cicerone durch die Säle des Präsidentenpalastes in Basra führt, die Aufmerksamkeit auf die Deckenschnitzereien lenkt, auf die Marmorintarsien und Wasserhähne mit 24-Karat-Goldauflage in den Badezimmern - all das um den Luxus zu zeigen, in dem Saddam auf Kosten seines Volkes schwelgte, den sybaritischen Pomp und die Verschwendungssucht als Insignien eines zynischen Sonnenkönigs.

Ironischerweise zeigen beide Bilder Rokoko-Interieurs, ausgestaltet in einem Stil, der geradezu emblematisch für Dekadenz und Marasmus steht. Das Rokoko ist aber auch die Epoche, mit der man den Topos der Verwechslung, des Maskenscherzes assoziiert, jenes Quidproquos, das etwa Arthur Schnitzler in seiner Revolutionskomödie "Der grüne Kakadu" zitiert. Dort spielen die citoyens von Paris den Aristokraten des Ancien régime ihre Entmachtung vor, welche nicht ahnen, dass die Bühnenillusion von der Wirklichkeit längst eingeholt wurde. In Ödön von Horvàths Beaumarchais- Fortschreibung "Figaro lässt sich scheiden" gewährt der vormalige Kammerdiener nach der Revolution seinem einstigen Herrn Aufnahme in dem in ein Kinderheim umgewandelten Schloss mit den Worten, die wahre Revolution wäre die, die es "nicht mehr nötig hat, Menschen in den Keller zu sperren, die nichts dafür können, ihre Feinde zu sein".

Beide Stücke zitieren die Rokoko-Motive des Rollentauschs von Herr und Diener, der verkehrten Welt mit einer Ahnung darum, dass die Auslöschung der Vergangenheit deren machtvolle Wiederkehr vorbereitet. Auch unsere beiden Bilder verdanken ihren Reiz dem Kontrast von Bühnen- und Kostümbild, dem Aufeinanderprallen verschiedener Jahrhunderte und ihrer Mentalitäten. Während die Soldaten des Deutsch-Französischen Krieges sich zwanglos gehen lassen, sind die GIs sichtlich verunsichert, weil sie wissen, dass sie beobachtet werden. Nur einer von ihnen scheint seine historische Rolle zu genießen und sich dessen bewusst zu sein, dass die Zigarre aus dem Humidor des Hausherrn ein wichtiges Requisit der psychologischen Kriegsführung ist. Es soll die Irakis auf den Geschmack von Freiheit und Abenteuer bringen.

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