Berliner "Designmai":Freischalten am Strand der Dinge

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Gibt es einen Berliner Stil? - Nein, aber der "Designmai" ist trotzdem in die Stadt gekommen

TOBIAS TIMM

Berlin ist nicht so richtig schön und modern - das weiß auch Rafael Horzon. Deswegen hat der Designer neben einem Möbelladen auch noch die "Belfas" gegründet, eine Firma, die einfachste Fassadenverschönerung verspricht. Mit den entsprechenden weißen Platten kann man jedwede missglückte Architektur verdecken; und auch die Verschalung des gesamten Berliner Schlosses - sollte es denn je wieder aufgebaut werden - wäre auf diese Weise einfach und billig zu bewerkstelligen. Horzon hat das schon am Computer simuliert, ausgestellt ist sein Entwurf nun in einer Ausstellung des Vitra Designmuseums, die der Kern einer großen Leistungsschau von Berliner Designern ist. Während des so genannten Designmais präsentieren seit dem Wochenende (und noch bis zum 18. Mai) Gestalter, Institutionen, Büros, Agenturen und Architekturstudios ihre Arbeit in etwa hundert auf den ganzen Stadtraum verteilten Ausstellungen und Interventionen.

SZ v. 06.05.2003 (Foto: N/A)

Mit seinem Fassadenverkleidungssystem hat Rafael Horzon jene Grundprobleme angesprochen, die sich aus der Verbindung der Begriffe "Design" und "Berlin" ergeben: Berlin ist - und das seit Jahrzehnten - eine nicht eben elegante oder wenigstens durchgestylte Stadt. Hier herrscht mehrheitlich ein Notwendigkeitsgeschmack im Bourdieuschen Sinne, ein Geschmack, der als Negativfolie für einen elaborierten Lebensstil dient. Die Berliner sind sich ihrer Wurschtigkeit in Geschmacksfragen durchaus bewusst, manche scheinen sogar stolz darauf zu sein: Man lebe hier halt das "eigentliche", das authentische Leben und nicht den schönen Schein. Distinktion bleibt dem subkulturellen Terrain überlassen, wo man sich aber vor allem um Frisuren, Kleidung, Musik und Drogen kümmert - statt um Inneneinrichtung oder Architektur.

Für ein umfassendes Redesign besteht in der Hauptstadt also durchaus Bedarf, und so liest sich auch das Motto der Ausstellung im Vitra Designmuseum ("Design Berlin!") wie ein Hilfeschrei oder zumindest wie die dringende Aufforderung, bitte ganz schnell etwas zu unternehmen. Das größte Problem jedoch ist, dass es für die Stiloffensive hier kein Geld gibt. Mit Blick auf die Kaufkraft der Einwohner sprechen manche Berliner Designer davon, dass Design ja nicht teuer sein muss. Die Wahrheit ist: In Berlin darf Design gar nichts kosten.

So tummeln sich hier also viele junge Architekten, Industrie- und Grafikdesigner, deren Zahl sich Jahr für Jahr um die Abschlussjahrgänge der zahlreichen Kunsthochschulen vergrößert. Bezahlte Aufträge gibt es aber nicht. Die meisten der Kreativen erfinden sich aus Angst vor Untätigkeit und Stillstand ihre Aufträge selbst. Sie denken sich Projekte aus, experimentieren im virtuellen Raum oder veranstalten einfach nur großartige Parties.

Beispielhaft für den Berliner Typus der jungen Kreativen sind die beiden Produktgestalter, die sich "Wunschforscher" nennen. Sie haben einen "top.table" entworfen, der an ein sehr schlichtes Spielplatz-Möbel erinnert: Auf einem Arbeitstisch ist ein Stuhl angebracht, von dessen Sitzfläche eine Rutsche wieder zum Boden führt. Wenn es also mal wieder keinen Auftrag gibt, dann kann sich der kreative Arbeiter auf seinen Tisch setzen, ein paar mal runter rutschen oder aber die Rutsche als Liege für ein Schläfchen nutzen - ein Möbel, das den Berliner Arbeitsalltag perfekt spiegelt.

Die ökonomische Krise zeigt sich nicht nur in den Konzepten, sie bestimmt auch die Wahl der Materialen: Möbel baut man in Berlin meist nicht aus gutem Holz und Stahl, sondern aus MDF-Platten. Das ist ein Material mit dem Sexappeal von getrockneter Pappmatsche, das zu einer ganz neuen, grau- beigen Ästhetik in der hiesigen Wohnkultur geführt hat: Im Prenzlauerberg, in Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain haben in den letzten Jahren unzählige kleine Läden wie "Möbel Horzon" oder "Redesign Deutschland" aufgemacht, die alle sehr ähnliche "modulare" Einfachstregale aus dem Holzverschnitt herstellen.

Im Kampf gegen fladige Kleinbürgersofas aus schwarzem Fake-Leder oder die in Schwammtechnik bemalten Wände der Studenten-WGs ist der Einzug dieser Neo-Billy-Regale durchaus zu begrüßen. Ein wenig mehr Eleganz im Detail, ein bisschen mehr Marcel Breuer und Mies van der Rohe wünscht man sich dennoch.

Dem Besucher des Designmais, der zwischen den ausstellenden Läden, Galerien und Studios hin und her schlendert und bestickte Turnschuhe, farbige Kerzen und Wäschekörbe in Hosenform bewundert, stellt sich irgendwann die Frage nach einem roten Faden. Gibt es vielleicht so etwas wie einen Berliner Stil? Die Kuratoren des Designmai sagen: "Nein." Vielleicht zeigt sich der Stil aber nicht so sehr in den Objekten - abgesehen von den MDF-Modulen; vielleicht spiegelt sich der Berliner Stil eher in der Lebensweise und dem Produktionsalltag der Kreativen, im experimentellen Umgang mit einer hässlichen und ungemütlichen Stadt. Einer Stadt in der man zwar bisher nicht das große Geld machen kann, in der aber jeder ein Büro, einen Club oder eine Galerie eröffnen darf - in der es sich also sehr gut ausprobieren, spielen und feiern lässt.

Die Weite des Raums, die Experimentier-Möglichkeiten, die sich gerade durch die fehlende Prosperität ergeben, dazu Hässlichkeit und Trash: Die Design-Herausforderung Berlin fasziniert junge Menschen von New York bis Stockholm. Der Modedesigner Hedi Slimane aus Paris hat eine Wohnung in Berlin, gerade weil es hier "so unmodisch" zugehe. Und in der Neuen Schönhauserstraße in Mitte kann man die Hässlichkeit und das Kaputte bereits in Boutiquen kaufen: eine schief genähte Bluse als Atmosphären-Kondensat.

Wenn man einige der gestalterischen Utopien studiert, dann freut man sich über die enorme Freizeit der Gestalter - und hofft beinahe ein wenig, dass sie auch in Zukunft nicht zu viele kommerzielle Aufträge bekommen. Damit sie weiter ausprobieren können und ihre Köpfe frei haben, um sich so Sachen wie das Freiluftbad in einem Spreearm an der Museumsinsel auszudenken. Denn unter dem Asphalt liegt ganz bestimmt der Strand. Die Berliner müssen ihn nur noch ausbuddeln.

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