Berlinale:Der Bär bleibt hier

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Fatih Akins Film "Gegen die Wand" gewinnt den Wettbewerb des Filmfestivals und beschert dem deutschen Film erstmals seit 1986 wieder einen Goldenen Bären. Von Susan Vahabzadeh.

Langsam möchte man wirklich glauben, dass etwas dran ist an der These vom reanimierten deutschen Film. Ein Oscar für "Nirgendwo in Afrika" und ein Europäischer Filmpreis für "Good Bye, Lenin!", und nun ein Goldener Bär für Fatih Akins "Gegen die Wand" - das spricht dafür, dass die Dichte ernstzunehmender deutscher Filme deutlich gestiegen ist.

Regisseur Fatih Akin herzt seine Hauptdarsteller Sibel Kekilli und Birol Ünel. (Foto: Foto: AP)

Akin hat den trüben diesjährigen Wettbewerbsalltag jedenfalls tüchtig aufgemischt mit seinem amour fou zwischen Hamburger Kiez und Istanbul: Zwei verhinderte Selbstmörder gehen eine Zweckehe ein und verlieben sich ineinander, und sie treiben alles, was sie tun, mit Verve.

Sie rebelliert gegen die Moralvorschriften ihrer Eltern, er gegen jeden bürgerlichen Lebensentwurf, die Liebe endet im Eifersuchtsdrama, die Auseinandersetzungen eskalieren in rohe Gewalt. Akin hat dabei zwei fantastische Hauptdarsteller an seiner Seite gehabt, die Newcomerin Sibel Kikelli, und Birol Ünel, der vorher viel Fernsehen und noch mehr Theater gemacht hat.

Und ohne es mit dem Patriotismus zu übertreiben: Ünel hätte den Darstellerbären wesentlich redlicher verdient als der süße Daniel Hendler aus "Lost Embrace", der ihn bekommen hat.

Die Nacht war voller Sterne

Eine Frage muss aber noch sein, bevor sie in der Begeisterung untergeht: Ob die Behauptung, die da herumgeistert, "Gegen die Wand" sei so "dicht am Leben", wirklich berechtigt ist. An wessen Leben eigentlich? Exemplarisch für die zweite Generation türkischer Immigranten mögen ja die Probleme mit der Übertragbarkeit von Traditionen in eine andere Kultur sein; aber dass kinotauglich überhöhte Brutalschlägereien, Vollräusche und Rumvögeln die Markenzeichen einer Generation von Deutschtürken sind, will uns doch hoffentlich keiner weismachen. Das aber nur am Rande.

Fatih Akin hat mit "Gegen die Wand" ein konsequentes Melodram gedreht, und Melodramen leben davon, dass man sie auf die Spitze treibt, und nicht von der naturgetreuen Abbildung der Wirklichkeit. Fatih Akin hat mit "Gegen die Wand" den ersten Goldenen Bären in Deutschland festgehalten seit 1986, als Reinhard Hauffs "Stammheim" gewann - das ist, für den deutschen Film, eine große Sache.

Kratzer in der Projektionsfläche

Damit wären wir dann aber auch schon beim weniger tröstlichen Teil angekommen. Zu wenig Glamour, nicht genug Promiauftritte, wurde zehn Tage lang geklagt, hätte diese Berlinale. Festivals sind tatsächlich kein Filmabspielbetrieb, die Stars am roten Teppich gehören dazu, nicht nur aus Respekt, sondern weil sie Teil der großen Projektionsfläche der Sehnsüchte und Träume und Hoffnungen sind, für die wir das Kino lieben.

Nur Stars, deren Filme nicht laufen - Claudia Cardinale als Ersatz-Kidman zum Abschluss? - sind keine wirklich überzeugende Lösung; es würde sonst eine Projektionsfläche für sinnentleerte Träume draus werden. Die Berlinale sucht den Superstar.

Ausgezeichnete Belanglosigkeiten

Schwerer wiegt aber, dass man über die Bärenverteilung streiten kann. Dass Charlize Therons Auftritt als Serienmörderin in "Monster", ein Musterbeispiel, wie man sich Darstellerpreise bäckt, honoriert wurde, ist nicht weiter verwunderlich - sie bekommt für die sehr kalkulierte Performance sicherlich auch noch einen Oscar.

Aber auf dem zweiten Platz mit einem Silbernen Bären landete die niedliche argentinische Wettbewerbsbelanglosigkeit "Lost Embrace", an die auch noch der Darstellerpreis ging - eine jüdische Familie in Buenos Aires, Mama ist sehr jiddisch, Papa ist in Israel, und nachdem man zwei Stunden durchgeplaudert hat, wird alles gut.

Es kann eigentlich nicht sein, dass es im Wettbewerb darum geht, wie gefällig ein Film ist - denn davon handelt bereits der alltägliche Kinobetrieb. Die Festivals sind das wichtigste Forum für jene Filme, die mit Sehgewohnheiten brechen, ihr Publikum fordern, und wenn man das Kino ernst nehmen soll, muss es solche Foren auch geben: An "Lost Embrace" ist nichts verwerflich, die Platzierung aber ist kontraproduktiv, denn Filme wie dieser bringen weder ihr Publikum noch die Kunst des Filmemachens einen Millimeter weiter.

Man kann an den Wettbewerbsbeiträgen herummäkeln, behaupten, dass es sich Richard Linklater mit "After Sunrise" zu leicht macht, dass "Monster" von Patty Jenkins zu unkonzentriert ist und Kim Ki-Duk, der für "Samaritan Girl" den Regiepreis bekam, für seine Verhältnisse zu harmlos. Aber "Lost Embrace" liefert einfach keinen Ansatz zu irgendwas, worüber man nach dem Kino noch nachdenken könnte.

Skandalöse Agression

Filme, über die man sich richtig hätte aufregen können, waren nicht dabei; und der einzige Skandal war keiner: Romuald Karmakar wurde bei seiner Pressekonferenz ein bisschen unwirsch, was zum Eklat aufgebauscht wurde. Da müssen schon sehr empfindliche Mächte am Werk gewesen sein: Tatsache ist, dass Karmakar nicht erklären mochte, ob und an welchen Stellen man in "Die Nacht singt ihre Lieder" lachen darf.

Er hat aber sogar erläutert, warum er die Frage nicht beantworten kann: Weil nun mal jeder selber wissen muss, was er empfindet. Der eigentliche Skandal ist die Aggression, die ihm entgegenschlägt. Man kann auch niemandem vorschreiben, dass er sich von "Die Nacht singt ihre Lieder" bewegen lassen muss oder sich von den Fragen, die Karmakar stellt, um den Nachtschlaf bringen lassen.

Gesichert ist aber, dass der Film mehr mit Cassavetes' "Frau unter Einfluss" zu tun hat als mit deutschen Beziehungsfilmen. "Die Nacht singt ihre Lieder" ist nicht bewusst schwer zugänglich, der Film erzählt einfach von unzugänglichen Problemen und der Unfähigkeit zur Kommunikation. Die unsichtbare Wand, die wir den Figuren gegenüber zu spüren scheinen und die Figuren untereinander, ist genau jene, die uns von Menschen trennt, die im Begriff sind, sich selbst, den Verstand und den Lebenswillen zu verlieren. Die Schuldfragen - wieviel Selbstaufgabe schuldet man einem anderen? - muss jeder für sich selbst klären. Es geht aber darum, sie zu stellen.

Im Gegensatz zu den meisten anderen, düsteren Filmen im Wettbewerb hat Karmakar bewusst eine Form gewählt, daraus einen Film zu machen - und nicht einfach draufloserzählt. Das gehört selbstverständlich in den Wettbewerb der Berlinale. Genau genommen war das eine der Sternstunden.

© SZ vom 16.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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