Berlin:Event, Event, ein Lichtlein brennt

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Das modernisierte Berliner Olympiastadion wird nach 242 Millionen Euro und etlichen Jahren Sanierung und Modernisierung als Arena "für das große Gefühl" eröffnet. In inszenatorischer Wucht präsentiert sich das neue Stadion mit tiefblauer Laufbahn.

Von Gerhard Matzig

Nena, "Deutschlands Pop-Ikone", kommt. Das ist ja schon mal schön. Ein "Tanz-Guru" hat sich auch angesagt, dazu ein "internationaler Show Act". Fabelhaft. Daniel Barenboim soll außerdem das West Eastern Divan Orchestra dirigieren. Prima. Und Hertha BSC gewinnt vielleicht gegen Besiktas Istanbul. Toll.

Johannes B. Kerner aber wird dieses divaneske und ikonen-guru-act-hafte Sportereignis auf ebenbürtige Weise moderieren. Grandios. Es geht also an diesem Wochenende in Berlin um ein so genanntes superlativistisches Event.

Beziehungsweise um die "Berliner Party des Jahres für die ganze Familie". Zu feiern ist die 242 Millionen Euro teure, nach etlichen Jahren nun endlich vollendete Sanierung und Modernisierung des Berliner Olympiastadions. Und deshalb kommen Nena, Barenboim, halb Istanbul, Kerner und viele mehr. Die Frage ist eigentlich nur: Werden denn die Wasservögel auch kommen?

Nicht, dass sie jemand eingeladen hätte. Aber immerhin spielten die Wasservögel in den zurückliegenden Umbau-Debatten eine gewisse Rolle.

Tiefblaue Laufbahn zur "Corporate Identity"

Vehement - und völlig zu Recht, aber auch völlig vergeblich - hatte sich nämlich der Entwurfsverfasser Volkwin Marg (zusammen mit Hubert Nienhoff, GMP, Architekten von Gerkan, Marg und Partner) gegen die mittlerweile tatsächlich tiefblaue Laufbahn rund um das Spielgrün gewehrt, das sich die Hertha-BSC-Funktionäre als "Corporate Identity" gewünscht hatten.

Falls das noch nicht alle gemerkt haben in Deutschland: Blau ist die Farbe der Herthaner. Und die sind nun mal die Hauptnutzer des ertüchtigten Stadions - wie sich ja auch im Begriff von der Corporate Identity das Hauptwort unserer auch sonst so ertüchtigten Zeit verbirgt.

Zwar hatte sich der Berliner Senat gesorgt, ob nicht etwa Wasservögel beim Überflug über das Stadion auf die Idee kommen könnten, sich wie Fliegerbomben in den Gummibelag der blauen Laufbahn zu bohren - in der närrischen, geradezu wasservogelhaften Vermutung, es handle sich um einen hübschen kleinen Teich inmitten des steinernen Runds.

Experten haben diese Gefahr allerdings verneint. So kam es, wie es kommen musste: Berlin erlebt nun sein blaues Wunder. Blau? - "Wow!", dichtet die Berliner Zeitung. "Super, der blaue Anstrich gehört nun zur schönsten Arena der Welt, wie die Currywurst zu Berlin."

Vermutlich muss man also dankbar sein, dass die Architekten nicht dazu gezwungen wurden, das aus dem Jahr 1936 stammende, bedeutsame Baudenkmal der NS-Zeit, erbaut von Werner March, in Form einer gigantischen Currywurst zu reanimieren. Aus Gründen der städtischen Identität.

Denn Fußball- oder Leichtathletikstadien sind schon längst keine Stadien mehr: es sind suburbane, autonom-eigentümliche, höchst signifikante und höchst problematische Bauten der Event-Kultur. Sie stehen als Stein, Stahl oder Glas gewordene Raum-Chiffren im Dienst jener bizarren Gegenwart, in der sich pseudoarchaische Gemeinschaftsrituale und gnadenlos durchkommerzialisierte Raumzuschreibungen zum Begriff der modernen Arena verknoten.

In den USA sagt man konsequent "Super-Dome" zu diesem Typus. Aber auch die neue Kapelle in der Berliner Hertha-Kathedrale lässt sich womöglich religiös motiviert nutzen. In der Arena "auf Schalke", die vor einigen Jahren als erste Spielstätte deutscher WM-Stadien eröffnet worden ist, wurden bereits 120 Menschen getauft: im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Schweißes.

In Berlin kann man den GMP-Architekten, einigen besonnenen Vertretern der Bauherrenschaft, der Baugeschichte und dem Denkmalschutz also nur dankbar sein. Denn den ehrgeizigen, ja bisweilen geradezu geifernd vorgetragenen ökonomischen Interessen der Berliner Olympia-GmbH wurden durchaus Grenzen gesetzt, in Form von Mauern, Stützen - und einem staunenswerten Dach. Und zwar von vorzüglicher baukünstlerischer und - so gut es eben geht - denkmalsensibler Qualität.

Wie im "Mephisto"

Im Internet ist zu erfahren: "Sie wollen eine Veranstaltung, ein Kunden- oder Mitarbeiterevent, eine Produktpräsentation, ein Gala-Dinner oder einen Workshop im exklusiven Ambiente des Berliner Olympiastadions durchführen? Wir würden uns freuen."

Gut, dass Marg und Nienhoff im Gegensatz zu solchem Vermarktungsgebrüll kein "exklusives Ambiente" entworfen haben. Sonst sähe das neue alte Olympiastadion, das am 1. August vor genau 68 Jahren von Adolf Hitler eröffnet wurde, aus wie jene geschichts- und gesichtslosen Ambiente-Delirien aus Spiegelglas und Plastikmarmor, die in der Provinz in der Nähe der Autobahnzubringer herumlungern.

Wer sich bei Dunkelheit dem gewaltigen Stadion, das immerhin 76.000 Sitzplätze bietet, über den leicht ansteigenden Olympischen Platz nähert, der begreift auf Anhieb die bauliche Veränderung: und zwar als chirurgisch präzisen Eingriff in Form einer die machtvolle Attika abermals krönenden Leuchtspur.

Die Fuge zwischen (alter) Rang- und (neuer) Dachkante wird durch die Illumination dramaturgisch geschickt akzentuiert. Auf diese Weise scheint das gigantische neue Dach über dem schweren, dunklen, 1000-jährig gedachten Muschelkalk-Massiv nahezu zu schweben - dabei umfasst es eine Fläche von 42000 Quadratmeter und allein der darin verbaute Stahl wiegt 3500 Tonnen.

Wer dann durch das Haupttor das halb eingegrabene, halb aufragende Stein-Oval durchschreitet, der fühlt sich im Angesicht des sich abgründig auftuenden Raumes wie einst "Mephisto" im gleichnamigen Film über die NS-Sehnsüchte.

Eine derartige inszenatorische Wucht, eine solche fast schon gewalttätig räumliche Suggestionskraft ist sonst nirgendwo zu erleben.

Denkwürdigerweise ist es den Architekten durch ihr ingeniöses, heiter-transparentes Dachkonstrukt gelungen, die einst schon beabsichtige überwältigende Raumwirkung noch zu steigern; zugleich aber nehmen sie dem Ort das dunkle Pathos der Vergangenheit, um es in ein Staunen über die Wunder der Statik zu transformieren.

Und dies alles zumindest halbwegs im Einklang mit den denkmalpflegerischen Auflagen: Das ist keine geringe Baukunst. Denn implantiert ist dem Baukörper tatsächlich all das, was andernorts als unerträglich aggressive Event-Stadion-Architektur firmieren muss: Lichtregie, VIP-Zufahrt, Gastronomie, Bühnenzauber.

Aber: Man sieht und spürt es nicht. Und das ist auch gut so, könnte man in Berlin sagen. Nur über eines wäre noch nachzudenken: Die Geschichte dieses Ortes will erzählt und dokumentiert sein. Wie und wo: Darüber sollte sich die Stadt Berlin Gedanken machen ? Denn das ist womöglich noch wichtiger als die Wasservögel und die Hertha zusammen.

© SZ vom 31.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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