Benedikt XVI:Der fremde Papst

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Schlau aber hoffnunglos katholisch. Joseph Ratzinger und Deutschland. Eine zerrüttete Beziehung?

Alexander Kissler

Die Wahrheit ist oft paradox. Zu den wahren, scheinbar widersprüchlichen Sätzen zählt der Hinweis, die erste Auslandsreise des Papstes führe in dessen Heimat. Benedikt XVI. stammt aus Bayern, doch tatsächlich ist ihm die Heimat zum Ausland geworden.

Joseph Ratzingers Umzug von München nach Rom vor 24 Jahren besiegelte eine zerrüttete Beziehung. "Sie mögen mich nicht, die Deutschen", seufzte Goethe einst und fügte hinzu, "ich mag sie auch nicht!" Soweit würde sich kein Papst aus dem Fenster lehnen, doch dem Flugzeug, das am kommenden Donnerstag um zwölf Uhr mittags in Köln landen soll, wird ein Pontifex entsteigen, der zurückkehrt ins Land seiner Widersacher.

Und fände der 20. Weltjugendtag nicht in Köln statt, wäre der deutsche Anteil an der katholischen Weltjugend eher gering. Der römische Deutsche und die romkritischen Deutschen leben in parallelen Welten.

Eher amüsiert als verärgert wird Benedikt den Versuchen begegnen, in Köln religionsfreie Zonen zu schaffen. Ein atheistisches Aktionskomitee lädt unter dem Motto "Heidenspaß statt Höllenqual" zur "Enttaufungszeremonie".

Mit dem Slogan "Aufklärung ist sexy" will man Menschen ansprechen, die "keinen archaischen Mythen anhängen". Genau diese vermeintliche Polarität von Vernunft und Glaube hat dazu beigetragen, dass der Papst an seinen Landsleuten zu verzweifeln droht - und diese an ihm.

Zentral für Ratzingers Denken ist die Überzeugung vom Christentum als der "Logos-Religion". Der Logos - das Wort, der Sinn, die Vernunft - sei "der rationale Urgrund alles Wirklichen". Das heißt: Das Wort Gottes schuf die Welt, Jesus ist das Fleisch gewordene Wort und die Schöpfung das bis ins Letzte sinnvolle Reich der moralischen Vernunft.

"Das junge Christentum fand seine Vorläufer nicht so sehr in den anderen Religionen als in der klassischen philosophischen Aufklärung", referierte der Kardinal in Subiaco am Vorabend des Todes von Papst Johannes Paul II. Warum also nur, mag Benedikt sich fragen, halten viele Deutsche so eisern an den alten Feindbildern fest? Warum überwinden sie nicht endlich den Dualismus der Französischen Revolution, als im Namen der Göttin Vernunft Gott bekämpft wurde?

Schon das akademische Wunderkind der sechziger Jahre war von dem Bemühen durchdrungen, fides und ratio - so später auch der Titel einer wichtigen Enzyklika Johannes Pauls II. - zu versöhnen. Doch leichter und dauerhafter konnte man es sich mit dem universitären Establishment nicht verderben als mit dem Beharren auf die, wie er es später formulierte, "notwendige Korrelationalität von Vernunft und Glaube".

Die Genugtuung ließ lange auf sich warten. Beim Streitgespräch mit Jürgen Habermas gab dieser im Januar 2004 dem Kurienkardinal Recht, sprach vom "komplementären Lernprozess" religiöser und weltlicher Mentalitäten. Es war eine Ausnahme von der Regel, wonach deutsche Intellektuelle meist die Nase rümpfen, sobald ein Kirchenmann philosophisch wird. So wuchs Jahr um Jahr eine herzliche Abneigung. Schlau sei er ja, der Ratzinger, hieß es - aber hoffnungslos katholisch.

Arroganz und Psycho-Terror

Die akademische Kränkung hat ihn, den intellektuellen Überflieger, geschmerzt und schmerzt ihn vermutlich bis heute. Zuweilen steigert sich die Enttäuschung zu einem beißenden Antiintellektualismus. Scharf wendet er sich dann gegen die "Arroganz der Intellektuellen". Als Präfekt der Glaubenskongregation habe seine Aufgabe vor allem darin bestanden, den "Glauben der Kleinen" zu schützen.

Das endlose Differenzieren, wie es die Kollegen praktizierten, trage zur Verdunstung des Glaubens bei. Theologie, sagte Ratzinger, müsse wieder zum Bemühen werden, "eine ihr vorausgehende Gabe der Erkenntnis zu verstehen." Pointiert ausgedrückt: Glaubt mehr, seid frommer, redet weniger!

Die ersten Theologen waren bekanntlich die Evangelisten - Glaubenszeugen, nicht Glaubensrelativisten. Die Wurzeln für diese Haltung liegen in Deutschland, genauer: im Deutschland der Jahre 1984 und 1968, als Joseph Ratzinger einmal mehr den Eindruck gewann, alle deutschen Intellektuellen gegen sich zu haben.

Gerade zweieinhalb Jahre waren seit der Berufung des Dogmatikers nach Tübingen vergangen, und schon packte er wieder die Koffer, floh ins beschauliche Regensburg. Er erlebte 1968, so schreibt er rückblickend, den reinen "Psycho-Terror". In Tübingen wurden seine Vorlesungen mit Trillerpfeifen gestört.

Man verteilte Flugblätter, auf denen zu lesen war, die Darstellung des Gekreuzigten sei eine "sadomasochistische Verherrlichung von Schmerz". Einige Studenten der evangelischen Theologie sollen "Verflucht sei Jesus!" gerufen haben. Die Schuldigen ortete er bei einem "kleinen Kreis von Funktionären, der die Entwicklung in diese Richtung trieb". Eine akademische Elite vermutete Ratzinger hinter der "gewalttätigen Explosion marxistischer Theologie"; der Anreger war der Tübinger Professor Ernst Bloch.

Die Früchte der Studentenrevolte reifen laut Ratzinger bis heute. Wer sonst, wenn nicht die damals inthronisierten säkularen Eliten treiben den von Benedikt so scharf kritisierten Relativismus voran - einen Relativismus, "der zum Dogmatismus wird und sich im Besitz der definitiven Erkenntnis der Vernunft glaubt". Auch das Bild von Kirche bleibt davon nicht unberührt.

Seit 1968 verschieben sich, klagt Ratzinger, die Gewichte, weg von der Kirche als Communio hin zum Consilium, von der Glaubens- und Schicksalsgemeinschaft zur Quasselbude und durchdemokratisierten "Räte-Kirche". Speziell an den deutschen Gremienkatholizismus ist dieser Vorwurf gerichtet.

Dem oft papstkritischen Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), auf dessen Katholikentag es 1968 eine "Katholische Außerparlamentarische Opposition" gab, wurde beschieden: "Die nationale Ebene ist keine ekklesiologische Größe". Und 1995 fragte er in Richtung ZdK: "Ist das System von Mehrheit und Minderheit wirklich ein System der Freiheit?"

Schweigen und Zetern

Zwei Aggregatszustände kennt das Gespräch zwischen römischer Kurie und deutscher Christenheit: das beleidigte Schweigen und das beleidigende Zetern. Die Kritiker stützen sich auf ein in politischen Fragen erprobtes Mittel: auf die Meinungsumfrage.

Tatsächlich gibt es in vielen europäischen Staaten Mehrheiten für eine Abkehr vom Pflichtzölibat und die sonstigen Forderungen, die Ratzinger "Schlagwortpastoral" nennt. Laut ZdK ist es, "um die Mehrheitsverhältnisse der Mitglieder der Kirche entsprechend zu gewichten, unabdingbar, gerade Frauen auch an zentralen Entscheidungen in den Pfarrgemeinden gerecht zu beteiligen". Verheiratete Männer seien zum Priesteramt zuzulassen.

Von dieser Auffassung führt kein Weg zum kirchlichen Demokratiebegriff Ratzingers. Katholisch bedeute, "dass die Kirche der ganzen Welt, allen Kulturen und Zeiten zugehört", bedeute, "dass immer alle - auch die Gestorbenen - leben und die ganze Kirche sind, dass zu einer Mehrheit in der Kirche immer alle gehören."

Wer aber gibt Gläubigen der vergangenen Jahrhunderte eine Stimme? Die um den Papst versammelte Kirche tut es, indem sie die alten Schriften liest, die Traditionen schöpferisch weiterträgt und so auch stellvertretend für die Toten spricht. Einen ähnlichen Schwerpunkt setzen die orthodoxen Kirchen, mit denen ins Gespräch zu kommen ein Hauptanliegen Benedikts XVI. ist.

Als 1984 der Streit um die südamerikanische Befreiungstheologie kulminierte, waren abermals deutsche Theologen, vor allem Jürgen Moltmann und Johann Baptist Metz, auf jener Seite involviert, die Ratzinger bekämpfte. In der Instruktion vom 3. September schrieb der Kardinal, die marxistische Befreiungstheologie sei unvereinbar mit dem Christentum: "Es ist eine Illusion zu glauben, neue Strukturen brächten von sich aus einen ,neuen Menschen' hervor."

Viele lateinamerikanische Aktivisten hatten in Deutschland studiert, was Ratzingers Engagement gesteigert haben dürfte. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben. Bürgerkrieg und Diktatur - und sei es jene des Proletariats - sind christlich kaum zu legitimieren.

Kurios wirken heute die Aufgeregtheiten aus den Tagen nach der Papstwahl. In Deutschland befürchtete man einen Rückfall ins Mittelalter. Dazu wird es nicht kommen. Sein Versprechen aus der ersten Generalaudienz - "Ich stelle mein Petrusamt in den Dienst der Versöhnung" - hat Benedikt bisher gehalten. Wäre es also an der Zeit für bessere Zeiten?

Wird der Papst, wenn er im nächsten Jahr nach Deutschland reist, Heimaterde betreten statt Feindesland?

Vielleicht. Wenn die Zeichen nicht trügen, markiert der Wechsel vom polnischen Charismatiker zum scheuen Beter eine Zeitenwende. Der mönchische Geist, den Benedikt schon durch seinen Namen verkörpert, der Geist des Maßhaltens und der Innerlichkeit, könnte sich als das benötigte Kontrastprogramm herausstellen zum Geist des Machens und der Leistung. Vielleicht gibt es doch noch ein Happy End in dieser Zerrüttungsgeschichte zwischen den Deutschen und ihrem Papst.

© SZ vom 16.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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