Bekenntnis zum Plagiat:Ich lade mir gern Texte ein

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Ein amerikanischer Professor outet sich als Plagiator: Nun sind alle ganz aufgeregt, doch Kevin Kopelson weiß, was er tut. Seine akademische Karriere ist offensichtlich nicht beschädigt.

Lothar Müller

Die London Review of Books ist eine der besten Literaturzeitschriften der Welt. In ihrer jüngsten Ausgabe (Vol. 30, Nr.10, 22 May 2008) hat sie unter dem Titel "Diary" einen autobiographischen Essay veröffentlicht, in dem der Autor, Kevin Kopelson, Professor am English Department der Universität Iowa in den Vereinigten Staaten, sich selbst des chronischen Plagiierens und unausgewiesenen Zitierens bezichtigt.

Kevin Kopelson auf der Website seines Instituts (Foto: Screenshot: University of Iowa)

Während Terry Eagleton, der zum selben Heft einen Artikel über literarische Anonymität beigesteuert hat, als "Professor of English Literature at Manchester" sowie mit seinen jüngsten Büchern vorgestellt wird, steht unter der Selbstbezichtigung seines Nachbarn, die den Untertitel "Confessions of a Plagiarist" trägt, nur der Abspann "Kevin Kopelson, at this point, has nothing else to say about himself".

Das klingt nach einem erschöpften Bekenner, der sich ins Schweigen zurückzieht, nachdem er sich die innere Last von der Seele geschrieben hat. Es klingt nach Rousseau, der in seinen "Confessions" berichtete, wie er seiner Gönnerin, der Madame de Vercellis ein rosa- und silberfarbenes Bändchen stahl, und den Diebstahl, als er entdeckt wurde, nicht nur leugnete, sondern überdies dem Küchenmädchen Marion in die Schuhe schob.

An den Beginn seiner "Confessions" hatte Rousseau die Sätze gestellt: "Ich beginne ein Unternehmen, das ohne Beispiel ist und das niemand nachahmen wird. Ich will meinesgleichen einen Menschen in der ganzen Naturwahrheit zeigen, und dieser Mensch werde ich sein."

Unter der Maske Rousseaus

Rousseaus "Confessions" wurden erst nach seinem Tod gedruckt, sie betrafen seinen Nachruhm bei seinen Bewunderern und Verächtern, in sein Leben eingreifen konnten sie nur als Gerücht.

Kevin Kopelson steht nicht kurz vor der Emeritierung, er ist Jahrgang 1960, er hat eine Stelle zu verlieren, und weil die Redaktion der London Review of Books seinen Essay als frei im Netz zugänglichen Text der Online-Ausgabe zu publizierte, erwartete schon kurz darauf die New Yorker Netz-Postille Gawker, die sich auf "Media Gossip and Pop Culture round the Clock" spezialisiert hat, sein "wahnsinnig vollständiges Bekenntnis" ("insanely complete confessional") werde wahrscheinlich seine akademische Karriere zerstören.

Und nicht ohne Respekt fasste Gawker die Biographie des Plagiators zusammen, als der sich Mr. Kopelson enthüllt. Da ist die Frechheit, mit der er schon im Alter von acht Jahren auf der Public School in Queens (New York) die Abschrift eines zwanzigseitigen Enzyklopädieeintrages über Hernando Cortez als eigenes Referat abgibt (um dafür tatsächlich die Bestnote zu erhalten).

Da ist das dem Bruder Robert Kopelson entwendete Berkeley-Referat über Mozarts "Jeunehomme"-Klavierkonzert, das Kevin Kopelson während seines Klavierstudiums an der Juillard School 1979 einreicht, und später noch einmal verwendet, um Zugang zur Columbia und zur Brown University zu erhalten.

Und da ist schließlich der Henry James gewidmete Aufsatz "The Beast in the Closet" von Eve Kosofsky Sedgwick, mit dem Kopelson als Student brilliert. Und als er später die Autorin kennenlernt, gewinnt er ihre Wertschätzung - die ihm beim Aufstieg hilft - durch Artikel, unter die er auch "The Beast in the Closet" mischt.

Spätestens hier enthüllt sich das Bekenntnis als Camouflage. Aber natürlich gibt es den Bruder Robert Kopelson, er ist ein bekannter Pianist und hat tatsächlich in Berkeley studiert. Und vielleicht hat er sogar ein Referat über Mozarts Jeunehomme-Konzert geschrieben.

Vor allem aber gibt es Eve Kosofsky Sedgwick und ihren Aufsatz, der in das Buch "Epistemology of the Closet" (1991) eingegangen ist. Auszuschließen ist es nicht, dass Mr. Kopelson ihn an der Brown University eingereicht hat. Aber höchst unwahrscheinlich ist, dass Mrs. Kosofsky Sedgwick nun ungehalten ist. Wahrscheinlich ist eher, dass sie die "Confessions" gegengelesen hat.

Denn sie gehört, wie Mr. Kopelson selbst, zu jenen Kritikern, die exemplarisch die Spannung zwischen der juristischen Verfolgung des Plagiats in der bürgerlichen Öffentlichkeit und seiner ästhetischen Aufwertung bei Literaten und Literaturtheoretikern repräsentieren. Plagiatvorwürfe lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Plagiatsprozesse gibt es erst in der Moderne.

Copyright und Urheberrecht waren, seit sie sich ab dem 18. Jahrhundert als Reaktion auf die grassierenden Nachdrucke herausbildeten, auf die Figur des freien, schöpferischen Autors bezogen, den die Aura des "Originalgenies" auch dort umgab, wo er sich an die Tradition anlehnte.

Längst sind die Readymades der bildenden Kunst zu Anregungen auch der modernen Literatur geworden. Aber auch wenn sie vorgefundene Texte collagiert, wenn sie wie in den Essays von Raymond Federman die Unvermeidlichkeit des Plagiats postuliert und den "playgiarism" propagiert oder wenn sie, wie in den Romanen Péter Esterházys, "Gasttexte" in sich aufnimmt, ohne sie durch Anführungszeichen zu markieren, bleibt das Urheberrecht streng, wie es ist.

Es verlangt bei Übernahmen den erkennbaren schöpferischen Eigenanteil. Das gilt auch für die Wissenschaft - auch dort, wo sie vom Gewisper der Bücher untereinander schwärmt, das als "Gewebe der Intertextualität" eher durch die Autoren hindurchgeht, als dass es in ihrer Verfügung stünde. Ausdrücklich schützt das deutsche Recht das "Gewebe" eines wissenschaftlichen Textes als individuelle Leistung seines Autors.

Kopelsons Text setzt die Schere zwischen der juristischen Belangbarkeit des Plagiats und seiner Unbelangbarkeit in der Literaturtheorie voraus. Seine Apologie des Plagiats sagt: Ich plagiiere die Texte derjenigen Kollegen, mit denen ich mich identifiziere. Ich identifiziere mich so sehr, dass ich mit ihrer Stimme spreche.

So ist sein Text unter der Rousseau-Maske ein launiges Spiel mit dem Tabu: nahezu alle Kollegen, die er ausgeschlachtet zu haben behauptet, gehören zum engeren Freundeskreis, der sich ohnehin dauernd wechselseitig zitiert. Es ist der Freundeskreis der "queer studies", deren Texte von Anspielungen auf die eigene (männliche oder weibliche) Homosexualität durchsetzt sind.

Das "Diary" der London Review of Books überführt das Selbst-Outing des bekennenden "gay critic" Kopelson in das ultimative Outing eines Literaturkritikers: das Bekenntnis zum Plagiat. Es steigert das Outing allerdings nur dann, wenn es kein Nullsummenspiel ist.

Wohl darum hat Kopelson abschließend behauptet, in seinen Büchern Proust und für seine Universitätsvorlesungen nicht nur Texte aus dem Freundeskreis, sondern auch die Vorlesungen von Vladimir Nabokov plagiiert zu haben.

Wer will, mag das nachprüfen. Wenn man bei Mr. Kopelson nachfragt, ob sein Bekenntnis-Artikel berufliche Folgen für ihn hatte und ob er wirklich nichts mehr zu sagen habe, antwortet er: "Nein, es hat keine Konsequenzen gegeben. Und es dürfte nach meiner Rechtsauffassung auch keine geben.

Im Übrigen freut es mich, dass Sie hoffen, ich hätte noch etwas zu sagen. In der Tat ist der Beitrag 'Diary' (dessen Titel nicht von mir stammt) das erste Kapitel eines Buches (es soll ,Confessions of a Plagiarist' heißen), für das ich einen Verleger zu finden hoffe."

Die London Review of Books ist eine exzellente Literaturzeitschrift.

© SZ vom 23.05.2008/gdo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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