Bayreuther Festspiele digital:Frischzellenkur für Wagner

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Auf der Jagd nach jungem Publikum gehen die Bayreuther Festspiele neue Wege. Erstmals wird eine Oper in Ton und Bild live übertragen und sogar im Internet ausgestrahlt.

Reinhard J. Brembeck

Oft wird darüber geklagt, dass der (Klassik-)Musikunterricht an Schulen immer mehr zur Marginalie würde. Ob damit aber eine ernsthafte Gefahr für das Musikleben in Deutschland verbunden ist, darf bezweifelt werden. Denn wer selbst musiziert, in Konzerte und Opern geht, der tut das ja in der Regel nicht wegen des Musikunterrichts.

Wollen jetzt auch mit der Zeit gehen: die Bayreuther Festspiele. (Foto: Screenshot: www1.bayreuther-festspiele.de)

Alfred Brendel, Hilary Hahn oder Nikolaus Harnoncourt live erlebt - deren Konzerte besitzen eine überwältigend unmittelbare Überzeugungskraft, die pädagogische Rhetorik in jahrelanger Anstrengung nicht ansatzweise erreichen kann.

Deshalb setzen Orchester und Opernhäuser schon seit Jahren auf Jugendarbeit, locken Kinder und Jugendliche in ihre Veranstaltungen. Dabei geht es durchaus nicht nur um kurzfristige Erfolge, um die unmittelbare Rekrutierung von Abonnenten.

Die Sorge ums Publikum

Martin Schüler, Intendant des Theaters Cottbus, sieht Jugendarbeit als Zukunftssicherung. Er rechnet bei den meisten seiner jungen Besucher mit einer Inkubationszeit von 20, 30 Jahren, bis die frühe Erfahrung zur Sucht führt - dann, wenn die Menschen in ein Alter kommen, das jugendliche Freizeitbeschäftigungen zunehmend ausschließt.

Dann, hofft Schüler, würden sich wenigstens einige an jenes ferne Theaterurerlebnis erinnern und dann den Neueinstieg in die Bühnenwelt wagen.

Mittlerweile hat die Sorge ums Publikum auch Bayreuth erreicht. Katharina Wagner, die vermutlich demnächst zusammen mit ihrer Schwester Eva das Festival leiten wird, bietet dieses Jahr erstmals nicht nur die akustische, sondern auch die visuelle Live-Übertragung einer Festspielaufführung an.

Dieser Schritt in die High-Tech-Moderne ist eine Revolution für das eher den Gepflogenheiten des 19.Jahrhunderts verbundene Haus. Am 27. Juli werden die von Katharina inszenierten "Meistersinger" - der umstritten intelligente Meisterstreich des Vorjahrs - kostenlos live auf den Bayreuther Festplatz übertragen.

Aufgezeichnet wird mit acht Kameras, die von einem Regieraum aus gesteuert werden, und von denen die meisten fürs Publikum nicht zu sehen sind. Wem das Spektakel satte 49 Euro wert ist, kann sich auch im Internet einwählen.

Das Angebot ist auf 10000 Abos beschränkt, und in Bayreuth ist man mit dem Verkauf bisher zufrieden, auch wenn keine Zahlen veröffentlicht werden. Im Herbst kommt die DVD auf den Markt.

Emanzipation auf Fränkisch

Offenbar will sich Bayreuth mit dieser Aktion aus der Abhängigkeit von Fremdfirmen befreien - bisher hat die Unitel alle früheren Bayreuth-Filmmitschnitte angefertigt. Doch diese unter Studiobedingungen erstellten Dokumente sind mittlerweile nicht mehr zu bezahlen - Live-Mitschnitte beherrschen nicht zuletzt deshalb den zudem langsam saturierten Opern-DVD-Markt.

Diese vorerst als singulär geplante Aktion ist finanziell nur durchs Sponsoring einer Firma möglich, die zuletzt vor allem aufgrund ihrer Schmiergeldgeschäfte Schlagzeilen machte. Das wirtschaftliche Risiko für Bayreuth wird damit minimiert, das künstlerische nicht.

Was, wenn Ton und/oder Bild ausfallen wie beim Halbfinale der Fussball-EM? Genügt Internetqualität, selbst wenn sie durch die hauseigene Anlage aufgepeppt wird, in einer Zeit, da die New Yorker Met Opernabende live in Kinos in höchstauflösender Qualität (HD) überträgt?

Aber vermutlich wird das Projekt ein enormer Erfolg - und es wird die Zukunft der Festspiele prägen. Das Label Bayreuth ist derart mythenumrankt einzigartig, dass da niemand allzu ernsthaft auf Inhalte und Qualität sieht.

Und für Katharina Wagner und ihr neues Bayreuth kann es derzeit sowieso nichts Besseres geben als öffentliche Aufmerksamkeit.

© SZ vom 05.07.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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