Bären-Vergabe bei der 55. Berlinale:Gold für afrikanische Carmen, Silber an Julia Jentsch

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Die südafrikanische Adaption des Opern-Klassikers hat überraschend den Hauptpreis gewonnen. Zwei silberne Auszeichnungen gingen an den deutschen Wettbewerbsbeitrag "Sophie Scholl - Die letzten Tage".

Erstmals geht der Goldene Bär nach Afrika: Mit "U-Carmen eKhayelitsha - Carmen in Khayelitsha" hat sich die Berlinale-Jury für einen künstlerisch anspruchsvollen und originellen Film entschieden.

Der Sieg der Adaption der Bizet-Oper "Carmen", die in dem südafrikanischen Township Khayelitsha spielt, kam völlig überraschend - der Silberne Bär für Julia Jentsch in "Sophie Scholl - Die letzten Tage" hingegen nicht.

Jury-Präsident Roland Emmerich sagte dazu: "Das war selbstverständlich." Einige Buhrufe gab es, als der Silberne Bär für die beste Regie an "Sophie Scholl"-Regisseur Marc Rothemund verkündet wurde.

Beim Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele, der von Kritik und Publikum als eher mäßig eingestuft wurde und an Star-Glamour diesmal viel vermissen ließ, hatte die "Carmen"-Verfilmung viel Applaus bekommen, galt aber noch nicht einmal als Insider-Tipp.

Der in Südafrika lebende britische Regisseur Marc Dornford-May erzählt in seinem Debütfilm pointiert die Geschichte der Oper, eingebettet in den Alltag in dem Township, gesungen wird in Xhosa.

Beifall für schrille Taucherburleske

Hauptdarstellerin Pauline Malefane, eine ausgesprochen üppige Carmen, überzeugt wie das gesamte Ensemble. Die Produktion basiert auf einer Bühnenfassung, die der Regisseur zuvor erfolgreich aufgeführt hatte. Im vergangenen Jahr gewann bereits die südafrikanische Schauspielerin Charlize Theron ("Monster") einen Silbernen Bären als beste Darstellerin.

Diesmal war Julia Jentsch bei den Frauen der große Star. Während des Festivals wurde sie für ihre feinnervige, dabei sehr kraftvolle Darstellung der Widerstandskämpferin Sophie Scholl gefeiert. Bei der Verleihung am Samstagabend konnte sie aber nicht dabei sein, weil sie in den Münchner Kammerspielen auf der Bühne stehen sollte.

Die Auszeichnung für den 19 Jahre alten Amerikaner Lou Taylor Pucci, der in dem komödiantischen Pubertätsdrama "Thumbsucker" einen chronischen Daumenlutscher spielt, hatte kaum jemand erwartet.

Die zwei anderen deutschen Wettbewerbsbeiträge, "Gespenster" und "One Day in Europe", wurden wohlwollend aufgenommen, bekamen aber keinen Bären.

Mit dem Großen Preis der Jury für den chinesischen Beitrag "Peacock" ("Der Pfau") setzte die Berlinale ein eindeutiges Votum für den künstlerischen Anspruch. "Es geht um die kleinen Leute", so hatte Regisseur Gu Changwei sein Erstlingswerk kommentiert.

Sein Kollege Tsai Ming-Liang (Taiwan) bot in seinem Film "The Wayward Cloud" bizarre Sexszenen mit Wassermelonen und schuf die Gattung des "Porno-Musicals", wie Kritiker spotteten. Die Jury sprach ihm einen Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung zu.

Kritik an "Stars um jeden Preis"

Der Regisseur Hany Abu-Assad, der den großen Favoriten "Paradise Now" über zwei palästinensische Selbstmordattentäter gedreht hatte, bekam den mit 25.000 Euro dotierten "Blauen Engel" der Berlinale. Der Ruanda-Film "Sometimes Ain pril - Jedes Jahr im April" ging leer aus.

"Fußball, Sex und Politik", hatte Festivalchef Dieter Kosslick diesmal angekündigt. Damit gelangen ihm allerdings nur wenige Treffer: Zu den Highlights gehörten zum Abschluss des offiziellen Wettbewerbs "Kinsey", in dem Liam Neeson den legendären amerikanischen Sexualforscher spielt, und ansonsten für viele Fotografen die freizügigen Auftritte von Jury-Mitglied Bai Ling.

Einhelligen Beifall des Publikums fand der Mainstream, wie etwa die schrille Taucherburleske "The Life Aquatic - Die Tiefseetaucher" (USA) mit Bill Murray und "In Good Company - Reine Chefsache" (USA) mit Dennis Quaid und Scarlett Johansson.

Viele Kritiker bemängelten die Entscheidung der Filmfestspiele, Stars um jeden Preis im Wettbewerb zu haben, egal, ob die Filme qualitativ überzeugen oder nicht.

Zu den Enttäuschungen gehörten der Eröffnungsfilm "Man to Man" (Frankreich) mit Kristin Scott Thomas und Joseph Fiennes sowie "Les temps qui changent - Changing Times" (Frankreich) mit Catherine Deneuve und Gérard Depardieu.

Im Vergleich zu den Vorjahren gab es in diesem Berlinale-Jahrgang wenige durch eine besondere künstlerische Handschrift auffallende Filme, darunter "Solnze - Die Sonne" aus Russland.

© Von Peter Claus und Caroline Bock, dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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