Welche Ressourcenverschwendung eine von Grenzen sortierte Welt ist, zeigt die Abstinenz des iranischen Cembalisten Mahan Esfahani beim ersten Münchner "Progressive Chamber Music Festival" in der Milla. Wegen Visa-Problemen entfällt nämlich sein geplantes Konzert mit dem New Yorker Sirius Quartet, das aber auch ohne Esfahani die Möglichkeiten einer progressiven Kammermusik aufzeigt.
In acht Konzerten an zwei Abenden öffnen dort neben dem Sirius Quartet Münchner Musiker eine Klangwelt, die ohne Grenzen ins Himmelshaus geleitet. Spätestens mit der vom Munich Composer Collective dargebotenen Neuinterpretation von Bachs Choral "Es ist genug" ist man gegen Ende des Festivals tatsächlich im darin erwähnten Himmelshaus angekommen. Das Komponisten-Kollektiv eint aktive und ehemalige Studierende des Jazzinstituts und der Klassikabteilung der Hochschule für Musik und Theater München unter der Leitung von Professor Gregor Hübner, der im Übrigen nicht nur beim Sirius Quartet mitwirkt, sondern auch für die erhabene Jazz-Auslegung des Bachchorals verantwortlich ist. Für seine Neuinterpretation kann man getrost alle Weihnachtsalben in die Tonne hauen.
Beim Festival in der Milla ziehen sich die Highlights wie eine einzige Linie durchs Programm. Ein Programm, in dem sich die spannenden Pop-Visionen des Sextetts Lovebrain and Diskotäschchen mit den fordernd frechen Streichquartetten des Paranormal String Quartet oder der elektronisch beeinflussten Musik des Duos Ruzicka/Turbant wunderbar ergänzen und das die Jazz-Erscheinung der zum Klavier und Gesangsduo geschrumpften Band Madsiusovanda wie ein berührend intensives Gebet offenbart. Oder das mit Ark Noir ein Ensemble auf die Bühne schickt, das selbst überholte Formen des Fusion Jazz als Startrampe für spektakulärere Höhenflüge einer zeitgenössischen Tanzmusik nutzt.
Interessiert lauscht Ron Lawrence, Bratschist des Sirius Quartets, den Konzerten. Ihm schwebt bereits eine Vernetzung seines New Yorker Kammermusikfestivals mit dem neuen, von Gerd Baumann und Gregor Hübner geleiteten Münchner Pendants vor. "Wir sollten diese großartigen Musiker aus München auch in New York spielen lassen", sagt Lawrence tief beeindruckt von deren Qualität.
Wobei die beiden Auftritte seines Sirius Quartets mit den Eigenkompositionen am ersten Tag und mit einem Strauß aus Henry Purcell-, Manuel de Falla- und Radiohead-Kompositionen am zweiten Tag zweifellos das Herz des Festivals sind. Erheblichen Anteil daran hat natürlich auch die Opernsängerin und Sopranistin Marlis Petersen, deren Begeisterung für die Pop- und Jazzmusik mit jedem gesungenen Ton zu hören ist. Schon bei seiner ersten Auflage zeigt das Progressive Chamber Music Festival damit, dass es die Musik aus der Schublade befreit, in der sie all zu oft vereinsamt.