Autorenfest:Der Abend, an dem sie träumen

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Beim Festival Wortspiele treten 30 Autorinnen und Autoren zum Wettlesen an - wir stellen drei davon vor

Von Eva-Elisabeth Fischer, Antje Weber und Sabine Reithmaier

Was glaubt ihr denn?" heißt das neue Buch des Münchner Autors Björn Bicker, das er bei den "Wortspielen" vorstellen wird. Es geht darum, "wer wir sind. Was wir glauben. Wo wir wohnen. Wo wir schlafen". Und es bezieht sich in diesem Fall auf Gläubige verschiedener Religionen. Was schreibt ihr denn? So könnte man die Frage umformulieren und auf die 30 Autoren münzen, die beim 16. Festival junger Literatur im Ampere auftreten. Von 9. bis 11. März lesen und erzählen sie davon, wer sie sind und an welche Figuren sie glauben. Wir stellen hier stellvertretend zwei der Autorinnen und einen Autor vor, an die man schon einmal getrost glauben kann.

Marjana Gaponenko

Sie ist eine Klimt-Schönheit, und es ist gewiss kein Zufall, dass Marjana Gaponenko einen Teil ihres Lebens in Wien verbringt. Geboren ist die Schriftstellerin mit dem ebenholzfarbenen Haar, den schwarzen Augen und dem Schneewittchen-Teint in Odessa, auf Deutsch zu schreiben begann sie mit 19. Wien - bereits Gaponenkos zweiter Roman "Wer ist Martha?", für den sie 2013 mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichnet wurde, spielte dort, hauptsächlich im Hotel Imperial, wo das alte Kakanien bis heute fortlebt. Auch den Plot ihres jüngsten Romans "Das letzte Rennen" (C.H. Beck Verlag), den sie bei den Wortspielen vorstellt, kann man sich nur in dieser gelegentlich aus der Zeit gefallenen Stadt vorstellen. Ort des Geschehens ist diesmal eine herrschaftliche Villa in der Freudenau.

Ist Gaponenkos sterbenskranker Antiheld Luka Lewadski in "Wer ist Martha?" Ornithologe, so dreht sich beim angejahrten Adam Niéc alles um seine Ponys. Dann erst um die jungen Frauen, die ihm großherzig auch noch die späten Lebensjahre versüßen. Gaponenko, selbst noch jung, hat, zumindest literarisch, ebenfalls ein Faible für alte Männer. Auch besitzt sie selbst Haflinger und hat bereits vor drei Jahren erzählt, wovon "Das letzte Rennen" handeln würde: "Mein nächstes Buch spielt in einer Kutsche . . . ich fahre selbst Kutsche. Ich habe täglich mit Pferden zu tun. Man bekommt von ihnen etwas, was man sonst nicht bekommt - diese sanfte Art, diese Hingabe." Den Pferden, soviel ist gewiss, ergeht es in ihrem neuen Roman besser als den Menschen.

Marjana Gaponenko fällt der Auftritt mit Pferd nicht schwer. (Foto: Martin Krondorfer)

Erzählt wird "Das letzte Rennen" aus der Perspektive des 27-jährigen Kaspar, einem von der Mutter verzärtelten Taugenichts. Die stirbt einen denkbar lächerlichen Tod. Und Kaspar selbst lernt seine Lebenslektion bei einer fatalen Kutschfahrt mit seinem Vater. Doch dieser Ausflug ist keineswegs das im Titel inkriminierte Rennen. Das veranstaltet Adam Niéc anlässlich seines letzten Geburtstags im Park seines Anwesens, eine groteske Veranstaltung mit unerwartetem Ausgang. Man legt das Buch nur ungern aus der Hand, bis sämtliche unberechenbaren Wendungen in diesen eigentlich sanften, aber erschütternden Schluss münden - mit überraschenden Postscriptum anbei. Irgendwie naheliegend, dass einem der Freitod von Gunter Sachs dazu einfällt. (Mittwoch, 21.50 Uhr)

Kristina Schilke

Sie kennt noch niemand im Literaturbetrieb, doch das wird sich bald ändern. Kristina Schilke stellt bei den "Wortspielen" ihr Debüt "Elefanten treffen" (Piper) vor - und tritt damit den Beweis an, dass man nicht nur von Berlin wilde Geschichten erzählen kann, sondern auch aus der niederbayerischen Provinz. Sie ist selbst in Grafenau im Bayerischen Wald aufgewachsen, und jener Jugend, jenem Lebensgefühl spürt sie in ihren Geschichten nach - auch wenn sie, leicht verfremdet, im Kurort Waldesreuth angesiedelt sein mögen. Und auch wenn sie gebrochen sind durch den Blick einer jungen Autorin, die 1986 in Tscheljabinsk in Russland geboren wurde und 1994 mit ihrer Familie nach Deutschland auswanderte.

Der Alltag in der bayerischen Provinz kann für eine Schülerin zum Beispiel so aussehen: Nägel lackieren mit der Freundin, dazwischen über andere Leute und deren Krankheiten tratschen, dann wieder Nägel lackieren, dann ab zum Starkbierfest, sich dort besaufen und im Nachtbus nach Hause jammern "Ich sterbe". So lange, bis der Busfahrer sich umdreht und brüllt: "Herrgott! Du bist nur besoffen. Niemand stirbt jetzt, auch du nicht! Alle sterben später." Doch Kristina Schilke beschreibt nicht nur in feiner Ambivalenz die Nöte und Ängste einer Heranwachsenden, sondern nimmt ganz verschiedene Perspektiven ein und wählt unterschiedliche Schauplätze, bis hin zur psychiatrischen Tagesklinik. Denn heil ist auch in der Provinz natürlich gar nichts, und wenn sich eine der Figuren unsterblich in einen Igel verliebt, ist auch hinter diesem Spleen ein Mangel, eine Sehnsucht spürbar.

Auch Kristina Schilke liest bei dem Festival. (Foto: oh)

Kristina Schilke hat ihrer Sehnsucht nachgegeben - und ist nach der Schulzeit aus Grafenau weggezogen. Sie hat am Literaturinstitut in Leipzig studiert, für die "Spex" und "Verbotene Liebe" getextet, als Forschungsassistentin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie gearbeitet. Ob auch ihr nächstes Buch in der bayerischen Provinz spielt? Das darf als unwahrscheinlich gelten. (Donnerstag, 20.30 Uhr)

Thomas von Steinaecker

Alle vier Jahre wieder: 2012 stellte Thomas Steinaecker während der "Wortspiele" seinen vierten Roman vor, dieses Mal präsentiert er den fünften, der am 10. März erscheint. Seinerzeit bot er mit "Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen" eine subtile und trotzdem sehr unterhaltsame Analyse der modernen Arbeitswelt. Dieses Mal baut er in "Die Verteidigung des Paradieses" ein fiktives Schreckensszenario auf: Deutschland ist zerstört, alles ist verseucht, und eine Handvoll Überlebender versucht, sich in ein Lager nach Frankreich zu retten. Einer der Flüchtlinge, der 15-jährige Ich-Erzähler Heinz, schreibt die Geschichte dieser kleinen Gemeinschaft auf.

"Ich baue lieber Kathedralen als Einfamlienhäuser", sagte Steinaecker in einem Interview auf die Frage, warum er nur Romane schreibe. Er gehört zu den Autoren, die in jedem Buch versuchen, etwas Neues zu machen. Nicht nur inhaltlich, sondern er gehört zu den Schriftstellern, die gern experimentieren, verschiedene Formen und Techniken ausprobieren. So blockte er im vierten Roman Fotos, Zeichnungen, Graffiti ein. Zitierte in seinem dritten Roman "Schutzgebiet" literarische Vorbilder aus der Zeit, in der das Buch spielt (1900 und 1914), und nannte dieses Verfahren "verdeckte Montage".

Bei den "Wortspielen" stellt Thomas Steinaecker sein neuestes Buch vor. (Foto: Jürgen Bauer)

Bereits mit seinem preisgekrönten Erstling "Wallner beginnt zu fliegen" hatte der 1977 in Traunstein geborene und in Augsburg lebende Autor den Sprung in die Öffentlichkeit geschafft. Steinaecker schreibt aber nicht nur Romane, sondern auch Hörspiele. Außerdem dreht er fast schon regelmäßig arbeitsintensive Dokumentarfilme fürs Fernsehen, etwa über die Komponisten Karl Heinz Stockhausen, John Cage oder Richard Strauss. Für den Kultursender 3Sat beschäftigte er sich 2014 in der vierteiligen Serie "Bewegte Republik" mit Kunst und Kultur in Deutschland seit 1945. Zuletzt realisierte er die dreiteilige Dokumentation "Von Dada bis Gaga. 100 Jahre Performancekunst" (2015).

Er engagiert sich auch fürs Digitale: Für das Online-Magazin S. Fischer Hundertvierzehn initiierte er den Mosaik-Roman "Zwei Mädchen im Krieg", an dem zehn Autoren drei Wochen lang schrieben. Dort veröffentlicht er seit Oktober 2015 mit der Zeichnerin Barbara Yelin den Fortsetzungs-Webcomic "Der Sommer ihres Lebens". Recht vielseitig also, dieser Autor. Schon klar, dass ihm Einfamilienhäuser nicht genügen. (Freitag, 21.50 Uhr)

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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