Ausstellung: Vivienne Westwood:Wie tief sank Punk?

Lesezeit: 4 min

Vom Bildersturm zur Museumsplünderung: Düsseldorf zeigt eine hingebungsvolle Retrospektive der britischen Designerin Vivienne Westwood. / Mit Klamottenparade

Manfred Schwarz

Heroinen begegnen uns selten in der englischen Geschichte. Ganz anders als in Frankreich, wo die Ahnengalerie mit Jeanne D"Arc beginnt und mit Charlotte Corday längst noch nicht endet. Deswegen auch ist der zum Spektakulären neigende Chic, den die französischen Frauen seit Jahrhunderten kultivieren, den Engländerinnen immer fremd und suspekt geblieben. Die Eleganz der englischen Frau, dies hat einmal Nancy Mitford bemerkt, beruht dagegen auf Missachtung der aktuellen Mode und des Mondänen - und auf grenzenlosem Selbstvertrauen. In der Rolle der schrulligen, wenn nicht exzentrischen, unbedingt älteren Dame entfaltet sie ihre ganze und eigentliche Meisterschaft: von Elisabeth I. bis zu Margaret Thatcher, von Queen Victoria bis zu Miss Marple.

Die Inszenierungsformen des Punk speisten sich maßgeblich aus Posen, Utensilien und Kleidungsstücken, die in der Boutique ¸¸Seditionaries" angeboten wurden. (Foto: Foto: afp)

Die englische Modeschöpferin Vivienne Westwood, die einmal als Revolutionärin und Bilderstürmerin, als Heroine des Tabubruchs begann, hat sich längst nahtlos eingefügt in diese famose Reihe der Grand old Ladies aus Cool Britannia. Es ist dies kein kokettes Rollenspiel, sondern ein schwer verdientes Qualitätsprädikat. Und es hätte - wie übrigens auch bei Queen Victoria - durchaus ganz anders kommen können. Der Weg zum Evergreen ist äußerst lang, besonders in England. Statt heute unangefochten als Grande Dame der Modeszene höchsten Respekt bei Kritikern und internationalen Ruhm zu genießen, hätte sich Vivienne Westwood auch irgendwann in den Achtzigern leise zurückziehen können.

Denn einerseits besaß sie damals schon längst, was nur den wenigsten Mode-Designern jemals erreichbar ist: einen sicheren Platz in der Geschichte der Alltagskultur. Hatte sie doch, gemeinsam mit ihrem zweiten Mann Malcolm McLaren, in der Mitte der siebziger Jahre von der Londoner Kings Road aus einen entscheidenden Beitrag zu einem historischen Stilbruch geleistet. Die Inszenierungsformen des Punk, der in jenen Jahren noch einmal die große, mittlerweile klassische Erzählung von rebellischer Jugend und heldenhafter Verweigerung, von abgrundtiefem Ennui und antibürgerlichem Furor reanimierte, speisten sich maßgeblich aus den Posen, den Utensilien und Kleidungsstücken, die in ihrer Boutique ¸¸Seditionaries" angeboten wurden. An diesem heute mythischen Ort auf der Londoner Kings Road, Nr. 430, konnte man all die Ingredienzen dieses neuen Stils finden, der ja wirklich das modische Erscheinungsbild revolutionierte: vom Rattenkäfig auf der Ladentheke über die Fetisch-Artikel aus den Arsenalen des Abseitigen und Obszönen bis zum selbstgenähten Weltanschauungs-T-Shirt mit griffiger Parole - ¸¸Destroy".

Diese moderne Ästhetik des Erhabenen mit all ihrer Ruinenromantik suchte vor allem eins: den heroischen Auftritt. Anders aber als die mythischen Helden, die gegen übermächtige, überirdische Gegner zu kämpfen haben und an ihnen wachsen müssen, litt der Stil der Punk-Bewegung an der Mediokrität seines Gegenübers, der müden und ausgelaugten Geschmackskultur der bürgerlichen Mittelschicht. Deshalb war sein Triumph so mühelos, und deshalb musste er fast zwangsläufig - im bürgerlichen Mainstream enden. Vivienne Westwood aber, die bis dahin nicht viel mehr gemacht hatte als in einer kleinen Boutique selbstgenähte T-Shirts zu verkaufen und ¸¸wie eine wandelnde Verkehrsampel" (McLaren) über die Kings Road zu schreiten, war Anfang der achtziger Jahre schon eine Legende und wesentlich folgenreicher in der Modewelt als die großen Couturiers aus Paris. Kaum einer aus der neuen Riege der jungen Designer von Jean-Paul Gaultier bis Gianni Versace, von Claude Montana bis Rei Kawakubo ging am Stil der Londoner Punks und an Vivienne Westwoods Ideen vorüber.

Aber die Geschichte hätte, wie gesagt, damit auch bereits zu Ende sein können. In der großen und exquisit inszenierten Ausstellung, die nun das NRW-Forum Kultur und Wirtschaft zum bisherigen Mode-Schaffen Westwoods veranstaltet, von den mit Hühnerknochen dekorierten T-Shirts der frühen Punk-Jahre bis zu den jüngsten Entwürfen, wird dies nur allzu deutlich. Mehr als 150 Damen-Ensembles aus über drei Jahrzehnten, sie stammen aus der Kostüm-Sammlung des Victoria and Albert-Museum und aus Westwoods privatem Archiv, führen in chronologischer Folge vor, wie schwierig es für die souveräne Zeremonienmeisterin der Londoner Sub-Kultur war, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten in den achtziger Jahren einen Standort, eine Haltung zu finden. Denn gleich mit den ersten eigentlichen Mode-Kollektionen, die sie ab 1981, zunächst noch mit Malcolm McLaren, zu lancieren versuchte, landet sie im Abseits. Grandios scheitern ihre Versuche, ¸¸Mode" zu machen. Mag man, mit viel Wohlwollen und in Verkennung der damaligen Entwicklungslinien, noch die ¸¸Piraten"-Kollektion im Zusammenhang mit dem New Romantic-Movement der frühen Achtziger sehen, als, nicht nur für Pop-Stars, der Lippenstift obligatorisch und das Rüschenhemd, die Uniform-Jacke eine zweite Haut war, so sind diese Entwürfe nach historischen Kostümen, dies lässt sich in Düsseldorf jetzt noch einmal mit Schrecken feststellen, in Wirklichkeit einfach nur Abklatsch. Weder cool, noch smart, noch sexy - elaboriert statt authentisch. Boutiquenmode, die einen Trend bedienen will, den sie selbst niemals kreieren kann, weil er immer nur in den Clubs, auf den Straßen, im subkulturellen Milieu entsteht. Mit ihrer eigenen - gewiss mythischen und gewiss überbewerteten - Erfolgsgeschichte als Stil-Ikone der Punkbewegung, als Erfinderin eines ganz neuen Stils in der Popkultur, hatte Vievienne Westwood einen Standard gesetzt, der nicht nur für ihre eigene Entwicklung zum grundlegenden Dilemma wurde, sondern für das gesamte Metier der Modeschöpfer ab den achtziger Jahren. Man meinte nun, mehr anbieten zu können, zu müssen als zeitgemäße, mehr oder weniger gute Kleidung: ein Zeichensystem, ein kulturelles Ereignis, eine Botschaft.

Der Modeschöpfer kann aber immer nur, bestenfalls, auf die Alltagskultur reagieren. Ein sinnfälliges Monument dieses fatalen Missverständnisses ist auch in der Düsseldorfer Ausstellung zu sehen: die ¸¸Designer-Turnschuhe", die Westwood in den frühen Achtzigern entworfen hat, die den Auftakt geben zum ewigen Reigen der hilflosen Adidas-Zitate in den Kollektionen der Modedesigner der letzten zwanzig Jahre.

Aber weil Vivienne Westwood eine große und zudem eine englische Dame ist, hat sie, viel früher als andere Modeschöpfer, einen Ausweg aus diesem Dilemma gefunden. Statt auf die unerreichbare Straße zu schielen, hat sie sich aufgemacht ins Museum, in die Kostümgeschichte der letzten fünfhundert Jahre. In die stilistische Gegenwelt der schrulligen englischen Ladies vor allem, mit steifem Tweed und keuschem Tartanmuster. Seit den späten Achtzigern, seit den legendären Kollektionen ¸¸Harris Tweed" und ¸¸Time Machine", feiert sie damit wahre und große Triumphe - mit Kostümen wie für Miss Marple und pompösen Abendroben wie für die fêtes galantes von Watteau. Famose Beutezüge in den Gefilden einer überaus versierten, versunkenen Geschmackskultur. Und gewiss alles andere als eigentlich Mode. Aber die hat eine englische Dame noch nie interessiert.

Die Ausstellung ¸¸Vivienne Westwood - Die Retrospektive" läuft bis zum 14. Mai im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft. Tel.: 0221-8926690. Der Katalog kostet 34,90 Euro.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.30, Montag, den 06. Februar 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: