Aus dem SZ-Magazin:Die Rabenmutter

Lesezeit: 3 min

Ursula von der Leyen hat sieben Kinder. Und dann auch noch Karriere gemacht. Ausgerechnet als Familienministerin. Das darf doch nicht wahr sein! Hier sind ein paar Einblicke in unsere Neidgesellschaft.

Nina Poelchau

Das Ehepaar F. aus Frankfurt hat drei Kinder. Herr F. ist Filialleiter in einer Drogerie. Frau F. war mit großer Freude Chefsekretärin, beim dritten Kind kündigte sie. Vor kurzem hat sie in einem Internet-Chat ihre Meinung mitgeteilt - aus Zorn. Es ging um die neue Familienministerin: "Kein Wunder, dass die immer so lächelt. Die ist privilegiert. Frau Ministerin kann sich doch zehn Angestellte leisten!", klopfte sie in die Tasten. Gern würde sie Ursula von der Leyen von Mutter zu Mutter sagen: "Sie sollten mal darüber nachdenken, ob es Kindern gut tut, wenn die Mutter nie zu Hause ist."

Sie sollten mal darüber nachdenken, ob es Kindern gut tut, wenn die Mutter nie zu Hause ist. (Foto: Foto: dpa)

Ursula von der Leyen lächelt. Ein gewinnendes Lächeln. Berliner Reichstag, 1. Stock, Konferenzzimmer mit poliertem Holztisch für mindestens zwanzig Teilnehmer. Vor ihr steht ein Pappbecher Caffè Latte, sie ist schmal und blass und wirkt mit den langen, mit Plastikklammern zurückgesteckten Haaren an diesem übergroßen Tisch wie ein Mädchen. Ihre Haltung: aufrecht. Die Stimme: fest. Irgendwas läuft da falsch: Musste sich in der letzten Phase des Wahlkampfs Angela Merkel von Doris Schröder-Köpf noch den Vorwurf gefallen lassen, die jetzige Kanzlerin sei früher allein schon deshalb keine gute Familienministerin gewesen, weil sie als kinderlose Frau zu wenig von den Sorgen und Problemen der Mütter gewusst habe, so haut man Ursula von der Leyen nun genau das Gegenteil um die Ohren: Wozu hat die sich eigentlich sieben Kinder angeschafft, wenn sie als Familienministerin sowieso nie zu Hause ist?

Sie spricht nachsichtig: "Ich verstehe ja die Skepsis, dass sich überhaupt mal was in Deutschland ändert. Aber warum ärgert man sich da über mich? Ich will Wege anbieten und zeigen: Beruf und Familie, das geht." Dass ihr Kritik um die Nase pfeift, ist ihr inzwischen vertraut wie die ewige deutsche Frage: "Wie kriegen Sie das alles bloß hin?" Solange sie - trotz Kindern - als Wissenschaftlerin und Assistenzärztin arbeitete, fiel sie öffentlich nicht auf. 2001 übernahm sie ein Mandat im Gemeinderat ihrer Heimatgemeinde Sehnde - da wurde sie vor allem als Tochter des früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht beachtet. Es dauerte nicht lang und Christian Wulff, der aktuelle Ministerpräsident von Niedersachsen, erkannte den enormen Werbeeffekt der Prominenten-Tochter und herausragenden Rednerin Ursula von der Leyen; 2003 holte er sie als Sozialministerin in sein Kabinett. Der Sturm brach los. Sie hat keine Ahnung mehr, wie oft sie Gesichtern mit gerunzelten Stirnen gegenübersaß und beschreiben musste, wer sich um die Kinder kümmert, wie denn der Alltag bei ihr funktioniert und wie ihr Mann es findet, dass seine Frau nun bekannter ist als er, der Medizinprofessor und Biotech-Unternehmer. Sie antwortete immer und immer wieder, dass sie meist vor 6 Uhr aufstehe, ihre Kinder durchaus auch mal schlechte Noten nach Hause bringen und Kochen alles andere als ihre Lieblingsbeschäftigung sei. Sie ließ sich geduldig mit David, Sophie, Donata, Victoria, Johanna, Egmont, Gracia, den Ponys und dem Hund fotografieren. Im großen, gemieteten Haus. Ja! Ein Mietshaus! Keine eigene Villa. Auch keine Angestellten-Armada.

Dann berief Angela Merkel sie zur Bundesfamilienministerin. Die Interview-Anfragen prasselten. Jeden Tag könnten sie, ihr Mann oder die Kinder irgendwo ein Interview geben oder in einer Sendung auftreten, berichtet Iris Bethge, die Pressesprecherin. Ursula von der Leyen wechselte den Kurs. "Irgendwann habe ich mir gesagt: Mädel, du bist Mitte vierzig - musst du wirklich auf die Frage antworten, was du frühstückst?" Keine Homestorys mehr seitdem. Auch keine Interviews mit anderen Familienmitgliedern. Ihr Mann lehnt alle Anfragen ab ("Das machen wir wie Joachim Sauer"). Vergangenheit. Sie steht ja, sagt sie, mit ganzer Überzeugung hinter dem, was sie tut. Müsse sich nicht rechtfertigen. Und sitzt trotzdem immer wieder in der Rechtfertigungsfalle.

Besonders unfair, findet sie: in der Talksendung des WDR hart aber fair, kurz nachdem Angela Merkel ihr Kabinett präsentiert hatte. Thema: "Kinder oder Karriere - Frauen an der Macht". Schon die vergnügt präsentierte Einleitung des Moderators Frank Plasberg empfand Ursula von der Leyen als "Faustschlag direkt in die Magengrube". Eingeblendet wurde eine fingierte Bild-Schlagzeile neben ihrem - lächelnden - Gesicht: "Mama, wo warst du, als ich klein war?" Gemein, sehr gemein, ärgert sich Ursula von der Leyen. Hat irgendjemand je Wolfgang Clement "Papa, wo warst du?" gefragt, als der Vater von immerhin fünf Töchtern Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen wurde und später Bundeswirtschaftsminister? Natürlich nicht. Hat irgendjemand berücksichtigt, dass sie, wo immer man sie fragte, zu Protokoll gab, wie sie Kinder und Karriere unter einen Hut kriegt? Dass grundsätzlich sie oder ihr Mann oder beide zum Frühstück und zum Abendessen zu Hause sind? Die Familie vormittags eine Haushaltshilfe hat und nachmittags eine pädagogisch fitte Tagesmutter, mit der es den Kindern richtig gut geht? Dass sie sich weigert, als Schmuckstück auf Empfängen ihre Zeit zu verplempern, und stattdessen so viel Arbeit wie nötig mit nach Hause nimmt, um sie am Computer zu erledigen, wenn die Kinder schlafen? Hat eigentlich niemand ihre sehr persönlichen, wöchentlichen Kolumnen in der Bild-Zeitung gelesen, an die hundert waren es, die sie in ihrer Zeit als niedersächsische Sozialministerin schrieb und in denen deutlich wird, wie sehr Mama am Ball ist - dass sie mit den Kindern betet, mit den Älteren über Alcopops diskutiert und manchmal einfach ganz fröhlich mit ihren Töchtern im Wohnzimmer sitzt, alle durcheinander reden und zusammen Schokolade futtern?

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