Aufgesexte Multimedia-Präsentationen:Die Kunst, keine Ahnung zu haben

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Schon mal von Powerpoint-Karaoke gehört? Ist ein klasse Zeitvertreib: Einfach die letzte verwirrende Grafik aus der Präsentation des Chefs an die Wand projizieren und ihr endlich mal einen geistreichen Text verpassen.

Ingo Petz

Es gibt viele Arten, in Berlin einen überraschenden Kulturabend zu verbringen. Und einer führte unlängst in den Beton- und Glaskasten "Radialsystem" an der kanalisierten Spree des Ostens. Geboten wurde: Powerpoint-Karaoke.

Eingeweihte wissen, dass das Dia- und Projektionsprogramm sehr nützlich sein kann, wenn man etwas zu sagen hat und weiß, wie man es einsetzt. Sie wissen aber auch, dass Powerpoint der Teilchenbeschleuniger unter den Wissensverwirrern ist. Denn mit gigantischen Balkendiagrammen und romanhaften Folientexten verhüllt mancher Redner nur Inhaltsleere. Kommunikationswissenschaftler haben Powerpoint längst den Krieg erklärt.

All das lässt genug Raum für subversive Metaspielchen und war wohl deshalb ein Fall für die Zentrale Intelligenzagentur, kurz ZIA. Das sind die Berliner Supernerds, die sich als kapitalistisch-sozialistisches Unternehmen verstehen und deren Frontfrau Kathrin Passig in diesem Jahr den Ingeborg Bachmann-Preis erhielt.

Neben Passig ist Holm Friebe ein weiteres Zugpferd der ZIA. Er trägt einen wirren Blixa Bargeld-Scheitel, und hat ein Buch geschrieben über die "digitale Boheme". Typisch für ZIA sind Projekte, die Kunst, Spaß und eine etwas angestrengte Cleverness verbinden, und die ZIA im Bionaden-Bürgertum einen der vorderen Plätze gesichert haben. Eines davon ist das Powerpoint-Karaoke, von Friebe erfunden, in vielen Städten imitiert und unlängst in Berlin zum zweiten Mal präsentiert.

Symbiose von Folieninhalt und Redetalent

Die Regeln: Der Proband wählt spontan eine der 15 Präsentationen, die Friebe aus dem Internet gefischt und nach Schwierigkeitsstufen unterteilt hat. Also etwa "Chinakontakte der IHK Bochum" (Stufe 10), "Brotkultur in Europa" (Stufe 4) oder "Messen der Totzeit des Systems" (Stufe 10). Dann trinkt man zur Lockerung einen Wodka und versucht, das Publikum und die Jury in fünf Minuten anhand der Folien mit einem überzeugenden Vortrag im besten Fall zu unterhalten.

Dringend notwendig sind Mut, Spontaneität, Exhibitionismus und ein schlagendes Selbstbewusstsein, um darüber hinwegzutäuschen, dass man keinen blassen Schimmer hat. Die Wahrheit ist der beste Bluff.

Zwei Erfolgskonzepte wurden nun in Berlin deutlich: Es gab die einen, die nur vorlasen, was auf den Folien stand und sich bemühten, die Performance mit schrägen Pointen und absurden Bildern "aufzusexen" (Friebe). Und die anderen, die sich komplett von den Folien lösten und ein eigenes absurdes Inhaltskonstrukt errichteten. So erzählte ein Redner statt vom Wert einer Support-Software über einen Granada-Urlaub. Überraschenderweise entwickelten Folien wie jene zum Thema "LAN-Party durch die Brille des Jugendschutzes" durchaus eine absurde Ästhetik.

Nun stellt sich die Frage: Was soll das? Abgesehen von dem großen Spaß und der grotesken Unterhaltung? Friebe hat in einem Interview mal gesagt, dass er Powerpoint für Pop halte. Gut. Er sprach von einer eigenen Form-, Bild- und Textsprache, die sich auftue. Schön. Und er sagte: "Leute machen eine Kunst daraus, von Dingen zu reden, von denen sie keine Ahnung haben." Kann Powerpoint-Karaoke also Kunst sein?

Die klare Antwort: Jein. Zwar ist die satirische Entlarvung der grassierenden Powerpointeritis als Generator von Nicht-Wissen eine Idee mit künstlerischem Potential. Ob aber im Vortrag Kunst entsteht, hängt davon ab, ob Folieninhalt und Redetalent eine glückliche Symbiose eingehen. Das aber blieb eher die Ausnahme. Selbst in Berlin.

© SZ v. 5.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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