Auferstehungsspiel:Am helllichten Grab

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In Aschau im Chiemgau steht nach 70 Jahren wieder eines der größten Heiligen Gräber Bayerns

Von Yvonne Poppek

Klein geht es nicht. Der Gedanke drängt sich spätestens auf dem Kirchplatz in Aschau auf. Hinter der barocken Pfarrkirche drückt mächtig der Gipfelkamm der Kampenwand ins Bild. Das macht ordentlich was her, besser kann man das nicht inszenieren: Der Mensch ist klein, Gottes Schöpfung groß. In der Kirche "Darstellung des Herrn" selbst geht es naturgemäß klein dann auch nicht. Das war vor 200 Jahren schon offensichtlich. Damals erhielt die Chiemgau-Gemeinde ein neues "Heiliges Grab": eine zehn Meter hohe, acht Meter breite, neun Meter tiefe, barocke Kulisse für ein "Theatrum Sacrum", ein heiliges Theater. 70 Jahre ist es her, dass das Heilige Grab in der Kirche zuletzt aufgebaut war. Nun ist es gerade aufwendig restauriert worden, zwei Aschauer schrieben ein neues "Auferstehungsspiel", seit Oktober wurde geprobt. Premiere ist nun an diesem Samstag.

"Es ist ein überwältigender Eindruck, wenn man aus der fröhlichen Märzensonne in das verdunkelte Gotteshaus tritt und an der Stelle des Hochaltars die große Szenerie des Heiligen Grabes schier bis zur Decke des gewiss nicht niedrigen Presbyteriums aufragen sieht", schrieb vor gut 100 Jahren ein Zeitgenosse. Der Eindruck ist heute kein anderer. Mehr als 100 bunte Glaskugeln leuchten von der Kulisse im Altarraum. Grün, blau, gelb, rot, weiß. Sie fassen das Grabgewölbe ein, glänzen auf die Propheten herab, umstrahlen Gottvater. Schon die Lichtdramaturgie macht offensichtlich: Hier wurde vor mehr als 200 Jahren nicht gekleckert, sondern geklotzt. Der dreigeschossige Bau ist auf allen drei Ebenen bespielbar. Der untere Bereich stellt die Unterwelt dar, das Reich der Toten. Auf der Ebene darüber befindet sich zentral die Grabstelle, die je nach Fortgang der Karwoche leer oder mit dem Leichnam Christi belegt ist. Oben ist Gottvater, die Monstranz oder der auferstandene Jesus zu sehen. Mit einer Kurbel können die Elemente bewegt werden. Alles in allem ein umfangreiches Werk.

Das ist aus heutiger Perspektive ein Glück. Denn ohne eine historisch wertvolle Ausstattung hätte es vermutlich keine Restaurierung gegeben, keinen Wiederaufbau und auch kein neues Auferstehungsspiel. Seit den Fünfzigerjahren lagerte die Kulisse auf dem Dachboden der Kirche, in die neue Osterliturgie sollte das Spiel damals nicht mehr hineinpassen, die Tradition in der Karwoche erstarb. Als 2010 eine Dachsanierung anstand, holte man erstmals alle Teile wieder herab. Und wäre dieses Grab nicht etwas Besonderes, wäre die aufwendige Sanierung damals nicht in Gang gekommen.

Heilige Gräber sind im katholisch geprägten Oberbayern nichts Außergewöhnliches. Sie sollten prinzipiell an den Tod und die Auferstehung Jesu erinnern. Schon im frühen Mittelalter wurden Grabeskirchen errichtet und Kulissen gebaut, die nur in der vorösterlichen Zeit aufgestellt wurden. In der Pfarrkirche in Niederaschau ist ein solches Grab 1618 erstmals erwähnt. Es wurde im Laufe der Jahrhunderte ergänzt und erneuert. Und vor allem vergrößert. Ende des 18. Jahrhunderts war dies zuletzt der Fall: Sebastian Furtner, Kistler in Hohenaschau, und der nicht unbedeutende Kunstmaler Sebastian Rechenauer der Ältere wurden mit dem "Heiligen Grab" beauftragt, das sie nach römischem Vorbild schufen. Es entstand eines der größten und - wie Hans Rohrmann, Fachreferent für kirchliche Kunstpflege im Erzbischöflichen Ordinariat München sagt - eines der typologisch bedeutendsten Heiligen Gräber in Bayern.

Dabei ist schon der Zeitpunkt der Entstehung des Aschauer Werkes interessant. Die Darstellung in den Heiligen Gräbern und auch die Passionsspiele waren - mit Ausnahmen wie beispielsweise in Oberammergau - zu dem Zeitpunkt nicht mehr erlaubt. Trotzdem erhielt die Chiemgau-Gemeinde einen Neubau und die Freigabe für das Spiel. Hans Rohrmann vermutet, dass die Aschauer auf ihrer Tradition bestanden, beeinflusst vom nah gelegenen Tirol. Dort hielt man an dem Brauch in der Karwoche fest. "Das schwappte dann rüber", sagt Rohrmann.

"Das Grab aufzustellen ist schon beeindruckend genug", sagt er. "Es reicht aber nicht allein." Es sei eines der wenigen, das die theatrale Umsetzung erfordere, betont er. So knüpfte das Ordinariat die Restaurierung der Kulisse an die Bedingung, dass sie in Aschau auch dauerhaft für ein "Theatrum Sacrum" genutzt werde. Und so, wie vor 200 Jahren die Aschauer der Obrigkeit ihr Heiliges Grab und die Spielerlaubnis abtrotzten, so schien auch diesmal das Engagement der Gemeinde auf. Heinz Bude vom Heimat- und Geschichtsverein Aschau entwickelte ein Konzept und er sprach Theater- und Musikbegeisterte im Ort an. Werner und Julia Hofmann schrieben ein zweiteiliges Stück. Der erste Teil. "Vom Leben Jesu", ende dort, wo die üblichen Passionsspiele beginnen, so formuliert es Bude. Der zweite, "Die Auferstehung Jesu", beginne dort, wo sie aufhören. "Wir haben keine Passionsspiel-Tradition in Aschau", erklärt Werner Hofmann. Ihr Stück sei etwas Neues und Moderneres.

Im Oktober begannen die Proben für die rund 30 Darsteller. Mit dem Aufbau des Heiligen Grabes im Altarraum Anfang März übten die Laienschauspieler ihre Rollen dann erstmals gemeinsam in der Kirche. Was Hofmann mit neu und modern meint, lässt sich seitdem hier beobachten. Ein zweifelnder, suchender Jesus steht dort in der Kulisse, spricht mit Johannes, dem Täufer, sogar mit Gottvater. Er hat die Rolle des Erlösers noch lange nicht begriffen, findet erst noch seinen Weg dahin. Beobachten lässt sich während der Probe auch, wie die Aschauer sich für ihr Auferstehungsspiel engagieren: Kalt ist es nämlich dort um diese Jahreszeit, die meisten tragen mehrere Schichten unter ihren von den Passionsspielen Erl inspirierten Kostümen, viele sind erkältet. Trotzdem sind sie alle da, wärmen sich höchstens an heißen Getränken. Zu Beginn der Probe fassen sich alle an den Händen, bilden einen Kreis. Dann wird gebetet. Auch eine Besonderheit, eben ein Theatrum Sacrum.

Dabei muss man erwähnen, dass es im Verlauf der Geschichte des Aschauer Grabes immer wieder Einwände gab, dass dieses Schauspiel nicht so heilig ausfällt, wie es ausfallen sollte. Von Ellenbogenkämpfen und Schienenbeintritten im Publikum im Gerangel um die besten Plätze ist die Rede, von bengalischem Feuer in der Kulisse, von einem Treiben wie in einer "Oktoberfestbude", von kleineren Sabotageakten und Prügeleien vor der Kirche. Gleichzeitig zeugen alle Berichte davon, was für ein Publikumsmagnet dieses Grab gewesen ist, welche Präsenz es in der Gemeinde hatte und - wie es aussieht - immer noch hat. Das Heilige Grab scheint generell eine große Anziehungskraft zu entfalten. Auch die Restauratoren der Firma Wiegerling in Gaißach bekamen sie zu spüren. "Sechs Jahre war das Heilige Grab nun bei uns aufgebaut, wir haben uns schwer davon getrennt", schreibt Kirchenmalerein Eva Wiegerling-Hundbiß in ihrer Abschlussdokumentation. 2013 wurden die Teile nach Gaißach gebracht - und stellten die Restauratoren vor die Aufgabe, das Gerüst samt Kulisse erst einmal aufzubauen. Zeitzeugen, die sich an die Konstruktion erinnerten, gab es nicht mehr. So standen die Experten vor einer Art riesigem 3-D-Puzzle mit um die 130 Kulissenteilen. Glücklicherweise hatte das Team Erfahrung: Sechs Heilige Gräber wurden in den Werkstätten zuvor schon wieder instand gesetzt. Das Aschauer setzte allerdings neue Maßstäbe: "Das war das größte, das wir gemacht haben", sagt Wiegerling-Hundbiß.

Zehn Gewerke seien an der Restaurierung beteiligt gewesen, erklärt sie. Vom Kunstschreiner über den Gerüstbauer bis zum Innenarchitekten. Parallel zur Restaurierung bauten die Fachleute das "Heilige Grab" als Modell nach. Es soll den Aschauern künftig als Orientierung dienen, wenn sie die Kulisse in der Kirche aufbauen. Alle drei Jahre solle dies ungefähr der Fall sein, sagt Bude. Etwa alle sechs Jahre solle es bespielt werden. Ob das Programm jedoch so umfangreich wird wie 2019 mit zwei Auferstehungsspielen, Konzerten und Führungen, sei einmal dahingestellt. Allerdings: Klein geht es sicher nicht.

© SZ vom 30.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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