Aufarbeitung der Vergangenheit: ein Problem:Das Warten auf die Folterzelle

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Das Leben in der ehemaligen DDR: ein einziges Warten auf die Stasi-Folterzelle oder ein unbeschwertes Dasein in der Diktatur? Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit stößt auf das Problem der Historisierung.

Cornerlius Wüllenkemper

Im Frühjahr 2005 beauftragte die Kulturstaatsministerin der rot-grünen Koalition, Christina Weiß, eine zehnköpfige Expertenkommission damit, einen dezentral organisierten"Geschichtsverbund zur Aufarbeitung der SED-Diktatur'' zu konzipieren. Hier sollte, von staatlicher Seite gelenkt, endlich der "Wildwuchs'' der Erinnerungskultur an die untergegangene DDR in geordnete Bahnen gelenkt werden. Gesagt, getan: Ein Jahr später stellte die Kommission unter Leitung des Potsdamer Historikers Martin Sabrow ihre Vorschläge zur institutionellen und inhaltlichen Zukunft des Gedenkens an die zweite deutsche Diktatur vor.

Die Reaktionen, die der Kommissionsbericht unter Historikern, Zeitzeugen und in den Medien hervorriefen, erinnerten in ihrer Intensität und ihrem politischen Spannungspotential an den Historikerstreit um die wissenschaftliche Einordnung der Judenvernichtung unter den Nationalsozialisten. Welche Ausmaße die Diskussion hatte, ist nun eindrucksvoll im soeben bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienenen Band"Wohin treibt die DDR-Erinnerung - Dokumentation einer Debatte'' nachzulesen.

Besonders umstritten war die Feststellung der Kommission, dass die DDR nicht allein über das Bild des geheimpolizeilichen Überwachungsstaates dargestellt werden könne, sondern in Zukunft der Alltag der DDR-Bürger stärker in die Erinnerungskultur aufgenommen werden müsse. Der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, sprach daraufhin von"staatlich verordneter Ostalgie'', während der kulturpolitische Sprecher der Berliner CDU, Uwe Lehmann-Brauns, der Kommission gar eine"Weichspülung der harten Fakten'' vorwarf. Die Debatte kam dann spätestens am Ende der rot-grünen Legislaturperiode zum Erliegen: die Untersuchungsergebnisse der Kommission lagern seither in den Schubladen des christdemokratischen Staatsministers Neumann, der den"Vorschlag'' der Experten als"nicht der Weisheit letzter Schluss'' bezeichnet.

Kriminell und subversiv

Jenseits der politischen Sensibilitäten steht die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit vor einem grundsätzlicheren Problem, nämlich dem der Historisierung der Gegenwart. Wer wollte bestreiten, dass vierzig Jahre DDR-Diktatur in der heutigen Bundesrepublik politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell noch äußerst präsent sind? So gab der Berliner Verfassungsschutz erst kürzlich bekannt, dass er die zahlreichen Vereine ehemaliger Stasi-Kader nicht überwachen werde, obwohl sie als"feindlich gegenüber der bundesrepublikanischen Justiz'' einzuschätzen sein. Anlass für die Prüfung war eine Diskussionsveranstaltung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen im März 2006, auf der alte Stasi-Veteranen und SED-Kader die Opfer des Unrechtregimes als"Kriminelle'' und"subversive Elemente'' beschimpft hatten.

Der damalige Berliner Kultursenator Flierl (PDS), selbst ehemaliges SED-Mitglied, schritt nicht ein. Bei der jetzigen Entscheidung sah sich Innensenator Körting (SPD) denn auch sogleich dem Verdacht ausgesetzt, nur aus Rücksicht auf den Koalitionspartner im rot-roten Senat gehandelt zu haben. Die unlängst auf Bundesebene angekündigte Fusion der SED-Nachfolgepartei mit der WASG zur drittgrößten Partei der Bundesrepublik ist dabei nur ein weiteres Beispiel für die tagespolitische Virulenz der sozialistischen Vergangenheit.

Ebenso präsent ist die untergegangene DDR in der zentralen Behörde zur Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit. Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, Marianne Birthler, musste kürzlich bestätigen, dass über fünfzig ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi heute vertragliche Angestellte ihrer Behörde sind. So leitete ein ehemaliger DDR-Auslandsspion an der Seite eines MfS-Oberst die Arbeitsgruppe, die die Recherchen zu den politisch hochbrisanten Verdachtsfällen Manfred Stolpe, Lothar de Maizière und Gregor Gysi betrieb.

Warteschlange zur Folterzelle

In diesem Klima über die Historisierung der DDR zu debattieren ist problematisch. Befinden wir uns doch erst am Anfang eines Prozesses, der aus den unmittelbaren realpolitischen Nachwirkungen der sozialistischen Diktatur zu einem nur vorsichtig sich abzeichnenden Erinnerungskonsens führt. Viele DDR-Gedenkstätten zeigen bis heute, dass es bis dahin noch ein langer Weg ist. Während im ehemaligen Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen mit frisierten"Fakten'' über die Geheimpolizei die ostdeutsche Vergangenheit einzig als Warteschlange zur Folterzelle präsentiert wird, zeigen massentouristische Ausstellungen wie am Checkpoint Charlie ein zu unbeschwertes Bild des Lebens in der Diktatur.

Die engagierte politische Aufarbeitung und historische Untersuchung der sozialistischen Vergangenheit in Deutschland sind unter anderem eine Spätfolge des Schweigekonsens nach 1945 und müssen im Vergleich mit Russland oder Ungarn als vorbildlich gelten. Dennoch ist es bei weitem zu früh, von Historisierung zu sprechen, denn historisieren kann man per se nur Dinge, die der Vergangenheit angehören.

Die Expertenkommission unter Martin Sabrow hat einen ersten Schritt getan, in dem sie sich explizit gegen jegliche Politisierung der Aufarbeitung aussprach und ein"faires, aber nicht einheitliches'' Gedächtnis an die DDR forderte. Ob diese Anregungen zum Tragen kommen, ist ungewiss. Wir müssen uns derweil daran gewöhnen, dass Deutschland ein geteiltes Land war und in vieler Hinsicht noch heute ist und folglich auch die Erinnerung an die gemeinsame Geschichte noch lange eine geteilte sein wird.

© SZ vom 04.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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