Aris Fioretos:Die Angst vor Schmutz

Ein schwedischer Schriftsteller österreichisch-griechischer Herkunft: Aris Fioretos spricht an diesem Mittwoch bei der Literaturfest-Eröffnung im Gasteig und am Donnerstag, 15. November (19 Uhr), im Literaturhaus. (Foto: David Brandt)

Vor fünfzig Jahren machte die Kulturanthropologin Mary Douglas eine Beobachtung, die klassisch wurde. In fast allen Gesellschaften scheint Schmutz Materie zu sein, die sich am falschen Ort befindet.

Was wir gerade in Europa erleben, ist eine Art sozialer Reinheitswahn. Überall wird gefegt. Menschen, die angeblich nicht dazugehören, sollen raus. Diejenigen, die noch nicht reingekommen sind, müssen mit allen Mitteln, auch unlauteren, ferngehalten werden. Sei es wegen Hautfarbe, Konfession oder bloß Essgewohnheiten: Sie sind fehl am Platz. Der Slogan der Schwedendemokraten bringt es auf den Punkt. Ihr "ordning och reda" bedeutet so viel wie "sein Haus in Ordnung zu bringen". Nichts gegen saubere Ecken und persilduftende Bettwäsche. Aber es geht ihnen eher darum, mutmaßlich körpergewordenen Schmutz loszuwerden.

Menschen sind jedoch nicht Dreck. Und jede Hausfrau weiß, allzu penible Ordnung führt zur Erstarrung. Aus Angst traut man sich nicht, sich zu bewegen. Letztlich wird die Putzkolonne selbst zum Störfaktor.

Die Literatur ist der Ort des Durcheinanders. Auch des Durch-einander. Hier kann alles stören und dennoch in Ordnung sein. Manche nennen es ein schönes Babel.

© SZ vom 14.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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