Archivierung:Zu viel, zu flüchtig

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Bisher hat die US-Kogressbibliothek alles aufbewahrt, was auf Twitter geschrieben wurde. Wirklich alles. Damit soll nun Schluß sein.

Von Christian Zaschke

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wird sagenhaft viel Unsinn verbreitet. Erstaunlich viele Menschen haben zum Beispiel das Bedürfnis, Bilder von ihrem Essen oder ihren Getränken in die Welt zu senden. Millionen und Abermillionen dieser Fotos gibt es, halb aufgegessene Käseteller, schaumlose Riesenbiere, Schirmchencocktails. Ungefähr genauso viele Bilder dürfte es von Katzen geben, die Sachen machen. Das nervt, ist aber längst nicht so schlimm wie die Heerschar von Leuten, die vermeintlich witzige Tweets absetzen, so etwas wie: "Egal, wie albern du bist - jeder, der in Tirana geboren ist, ist Albaner." Und als Antwort darauf schreibt jemand: "So geil dein Humor, echt klasse!"

Es ist gut zu wissen, dass solche Dialoge vom 1. Januar des neuen Jahres an nicht mehr in der amerikanischen Kongressbibliothek archiviert werden. Die hat bisher nämlich alles, wirklich alles aufbewahrt, was je auf Twitter geschrieben wurde.

"Das Wesen von Twitter hat sich über die Jahre verändert", so die Begründung der Archivare

Im Jahr 2010 hatte die Kongressbibliothek ein Abkommen mit Twitter geschlossen. Darin wurde geregelt, dass das Unternehmen der Bibliothek sämtliche Tweets seit 2006, dem Geburtsjahr des Mediums, zur Verfügung stellt. Seither sammelte die Bibliothek alle neuen Tweets, um für die Nachwelt ein umfassendes Bild von den Debatten zu erhalten. In dieser Woche teilte sie mit, dass das ein Ende hat. Hauptbegründung: "Das Wesen von Twitter hat sich über die Jahre verändert." Damit sind nicht nur die dummen Witze gemeint, sondern auch die Tatsache, dass die Kommunikation auf Twitter zunehmend visuell verläuft. Die Bibliothek archiviert aber nur Text und keine Bilder.

Die amerikanische Kongressbibliothek in Washington ist in puncto Bücherbestand die größte der Welt, was den Medienbestand angeht die zweitgrößte (in diesem Punkt wird sie von der British Library in London übertroffen). Unfassbare Schätze lagern in ihren Gebäuden, darunter eine Gutenberg-Bibel. Und eben auch Milliarden Tweets.

Diese werden fortan nach strengen Kriterien archiviert. Es sollen nur noch "sehr ausgewählte" Tweets gesammelt werden. Die Auswahl soll sich an bedeutsamen Ereignissen wie zum Beispiel Wahlen oder sonstigen Themen von nationalem Interesse orientieren. Dazu dürften Albaner-Witze auf Deutsch eher nicht gehören. Eine interessante Frage wäre, ob all die Tweets des Präsidenten Donald Trump gesammelt werden, die dieser in die Welt jagt, während er mal wieder stundenlang seinen Lieblingssender Fox News im Fernsehen schaut. Oder wenigstens jene, in denen er die Medien diffamiert oder amerikanische Sicherheitsbehörden unterminiert. Was genau aufbewahrt wird, obliegt allein den Archivaren.

In ihrer Begründung erläutert die Bibliothek, dass die Zahl der Tweets zu groß geworden sei (aktuell rund 6000 pro Sekunde) und auch die Masse an Themen, die verhandelt werden. Das ist zurückhaltend formuliert, bedeutet aber natürlich, dass mittlerweile zu viele Menschen jeden Mist in ihre Handys tippen und es wirklich keinen Grund gibt, diesen Wust für künftige Generationen zu bewahren. Die Nichtaufbewahrung entspricht wohl auch eher dem Geist von Twitter: Es ist nicht nur, aber doch vor allem ein flüchtiges Medium für unruhige Geister, und was heute getweetet wird, ist morgen vergessen.

Dass sie die ersten zwölf Jahre von Twitter komplett gesammelt hat, hält die Bibliothek trotzdem für richtig. Man habe damit einen "einzigartigen Moment der menschlichen Geschichte" dokumentiert. Schon immer habe man sich bemüht, Schnappschüsse der Geschichte zu sammeln und für die Nachwelt greifbar zu machen. Diese Schnappschüsse gäben vor allem jenen eine Stimme, die sonst im öffentlichen Diskurs kaum zu Wort kämen: einfachen Leuten. Die Bibliothek vergleicht die Twitter-Kollektion mit ihrer Sammlung von Interviews, die in den Stunden nach dem Angriff auf Pearl Harbour im Jahr 1941 geführt wurden, oder mit den Filmaufnahmen, die San Francisco kurz vor dem großen Erdbeben im Jahr 1906 zeigen.

Bis zum 31. Dezember gilt noch die alte Regel des Alles-Sammelns. Wer also künftigen Generationen etwas mitteilen möchte, hat noch eine kurze Weile Zeit, in maximal 280 Zeichen einen legendär schlauen Tweet zu verfassen, der bis in alle Ewigkeit in Washington aufbewahrt wird.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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