Amerikanische Tochter:Schlaflos im Sweatshop

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Es blüht das Laster am Strand: Die Kunstmesse Art Basel ist in Miami ein so großer Erfolg, dass sie ihrem Mutterschiff bald Konkurrenz zu machen droht.

Holger Liebs

Es war ein milder Sommerabend in South Beach, vielleicht 25 Grad warm. An der Collins Avenue paradierten dicke Hummer-Geländewagen zwischen schmalen Hoteltürmen im Art-déco-Stil auf und ab.

Während in Key Biscayne die Kunstsammlerin Rosa de la Cruz in ihrer zum Museum verwandelten Villa zwischen Werken von Kippenberger, Polke und Felix González-Torres eine ihrer berühmten Partys für erschöpfte Messe-VIPs gab, trafen sich die beharrlichsten Kunstsüchtigen nach ihrem Messerundgang am Strand:

Dort stellen junge Künstler im Förderprogramm der Art Basel Miami Beach ihre Werke aus - und dort spielten auch, in einer grandiosen Disco-Travestieshow, die Scissor Sisters auf. Da fand man dann so manchen älteren Galeristen vor Glück erblasst im Sand hockend wieder.

Währenddessen nähten alte indische Frauen in einem der Kunstcontainer am Strand weiter auf engstem, überhitztem Raum im Akkord an modischen Kapuzenjacken - und wurden von Damen die Ferragamo-Schuhe und tiefe, chirurgisch veredelte Dekolletés trugen, angestarrt wie Affen im Zoo.

Die geniale Idee der Künstlerin Kader Attia, mitten im Glamour-Nukleus von Miami Beach, in der Koje der Galerie Kamel Mennour, einen originalgetreuen indischen Sweatshop aufzuziehen, brachte das mittelschwer schizophrene Gefühl dieser Tage während der derzeit aufregendsten Kunstmesse der Welt auf den Punkt: Hier, im Sunshine State, tummeln sich die reichsten Sammler der Welt, aber das Elend lauert gleich hinter den Lieferanteneingängen oder in den Seitenstraßen.

Was tut's: Die Messe, entstanden als amerikanische Tochter der Art Basel, ist ein so großer Erfolg, dass sie ihrem Mutterschiff bald Konkurrenz zu machen droht. Neunzehn Privatjets landeten an diesem Eröffnungstag in Miami - sonst sind es vielleicht zwei oder drei täglich -, und im Convention Center, wo die Messe stattfindet, schlurften Iggy Pop oder ¸¸Spiderman" Toby McGuire im ¸¸Ist-mir-doch-egal"-Outfit zwischen den Kunstkojen hindurch.

¸¸Irgendwo muss es doch Winter sein", wunderte sich scheinheilig die fabulöse Scissor Sisters-Leadsängerin Ana Matronic beim Konzert am Strand und erlaubte sich dann ein paar Pointen zum Paralleluniversum der Kunst: ¸¸Kunst ist großartig. Ich könnte jetzt sagen, Paris Hilton ist eine anorektische Nutte, die alles repräsentiert, was Amerika nicht sein darf, und ich würde damit durchkommen - ich muss meine Äußerung einfach nur ,Performance Piece" nennen."

Die Messe selbst pendelt wie alle Kunstmessen zwischen verhaltenen Experimenten der Zeitgenossen und etablierten Blue-Shots-Künstlern: Von der Klassischen Moderne bis zur platzraubenden und auch ansonsten schwer verdaulichen zeitgenössischen Installation ist alles vertreten. McGuire zum Beispiel, der inzwischen wohl nicht mehr in sein Spinnenmannkostüm passen dürfte, interessierte sich in der Galerie Deitch Projects für Barry McGees mechanisch bewegte Puppe eines Graffiti-Sprayers, neben der ein tonnenschwerer, umgestürzter Hippie-Bus lag.

Nach 20 Minuten ausverkauft

Die nicht immer kitschfreie Flachware jüngerer deutscher Maler wie Neo Rauch, Martin Eder oder Dirk Skreber verkauft sich trotz des starken Euros wie verrückt, und wer gewichtigere Meister wie Martin Kippenberger im Depot hat, stellt sie auch aus.

Der Galerist Christian Nagel etwa zeigt eine doppelseitige Gemeinschaftsarbeit von Albert Oehlen und Kippenberger aus dem Jahr 1981, auf der man den schönen Satz lesen kann: ¸¸Doris hat das Ficken satt." Das Werk kostet immerhin 1,1 Millionen Euro. Der Stand von Eigen + Art, in dem fünf süßlich-pornografische Gemälde von Martin Eder hängen, war 20 Minuten nach der Eröffnung ausverkauft.

Überhaupt, die Malerei: Im Gefolge der boomenden Ölarbeiten von Rauch & Co. kommen jetzt auch wieder fast schon vergessene Malerhelden der achtziger Jahre wie Mark Tansey oder Peter Halley zum Vorschein. Dagegen scheint der Fotografieboom der letzten Jahre seinen Zenit überschritten zu haben. Auch in bedeutenden Sammlungen wie der Rubell Collection oder im Haus von de la Cruz: Öl auf Leinwand, wohin man blickt.

Rosa de la Cruz hat aber außerdem eine exquisite, kompromisslose Sammlung mit raumfüllenden Installationen zusammengetragen, mal explodierend bunt (die psychedelischen Farborgien von ¸¸assume vivid astro focus") oder kontemplativ-kühl (die Schöpfung einer virtuellen Manga-Heldin namens ¸¸Ann Lee", an der sich mehrere Künstler abarbeiten).

Um Ann Lee kennenzulernen, muss man die Schuhe ausziehen und auf Strümpfen in ein großzügiges Neon-Kabinett auf flauschigem Teppich eintauchen - alles in einem Eigenheim. Wobei angesichts dieser komplett umgewidmeten Privatgemächer die Frage auftaucht: Wo schläft Frau De la Cruz eigentlich?

An Schlaf war dieser Tage ohnehin nicht zu denken. Das heißt, man hangelte sich von Hotelparty zu Dinner, von ¸¸Delano" über ¸¸Shore Club" zu ¸¸Raleigh", wenn man zum Club der Superbetuchten oder -wichtigen der Kunstwelt gehört.

Aber eigentlich gab es immer Schlupflöcher, um auch als Dropout irgendwie zum nächsten Event mit Porno-Chic-Fotograf Terry Richardson oder Smashing Pumpkins-Sänger Billy Corgan vorzustoßen. Auch Wolf D. Prix von den Architekten Coop Himmelb(l)au war unterwegs, um seine biomorphe BMW-Verkaufsmeile in München vorzustellen.

Nahe den Hoteltürmen von South Beach und unweit der 99-Meter-mal-x-Wolkenkratzer von Miami Downtown sagte er dann, dass man doch den Hochhausbauern einfach vorschreiben müsse, ihre Foyers der Öffentlichkeit zurückzugeben, statt sie zu plumpen Niedrigbauten zu zwingen.

Der Höhepunkt der Messe, wo wir schon mal davon reden, war aber fraglos die von Francesca von Habsburg organisierte Aufführung des Bühnenstücks ¸¸Art Loves Puppet Rock" von Dan Graham, Tony Oursler und Rodney Graham, ein virtuoses Puppentheater mit Live-Punkmusik über die alte Frage, ob die Jugend die politische Macht übernehmen darf. Da wird dann ein 24-jähriger Hippie Präsident - um dann seinerseits von seinem 10-jährigen Adoptivsohn gestürzt zu werden.

Kinder an die Macht! Die Künstler Amerikas hoffen auf die nächste Generation - und das war dann, zwischen Hummerparade, Sweatshopkunst und ¸¸Money-Is-A-Major-Issue"-Miami, in dem ganzen schizophrenen Trubel, am Ende eine so selbstironische wie schöne Utopie.

© Süddeutsche Zeitung vom 4. Dezember 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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