Aktionskunst-Retrospektive:Finger weg im Museum? Ach was!

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Handeln statt zusehen: Der Aktionskünstler Allan Kaprow forderte die Vermischung von Kunst und Alltag. Das wird nun konsequent umgesetzt - eine Preview mit Kreuz-und-Quer-Laufen durch die Werke.

Franziska Schwarz

Ein paar Tage vor der Eröffnung sieht das Foyer im Haus der Kunst nach Alltag aus - wie eine übergroße Abstellkammer. Mit Kunstwerken, deren Alarmsirenen beim Näherkommen läuten, hat das hier wenig zu tun. Ein Dutzend Menschen laufen kreuz und quer, auf dem Boden verstreut liegt quasi das komplette Angebot eines Baumarktes.

Drei Aktenvernichter an der Decke zerschreddern die aufgezeichneten Worte der Besucher - Sandra Filics Interpretation von "Words". (Foto: Foto: Franziska Schwarz)

Der Grund: Drei sogenannte "Environments" des Künstlers Allan Kaprow werden von drei Gruppen von Studenten der Münchner Kunstakademie neu interpretiert. Environments sind Übrigbleibsel von Happening-Aktionen. In Kaprows Happenings agierten Künstler und Besucher nach seinen Handlungsanweisungen und wurden somit Teil des Werkes. Alltägliche Handlungen wirkten plötzlich abstrakt, Alltag und Kunst verwoben.

Die drei Studenten der Klasse von Prof. Jetelova tragen weisse Ganzkörperanzüge mit der Rückenaufschrift "Words". Das ist auch der Titel des Happenings, welches sie gewählt haben.

Sandra Filic, 32, und der Physiker Tobias Schlüter, 27, hocken vor einem Computer. Hoch über ihnen hängen drei Aktenvernichter, die sich direkt aus einem Drucker speisen und surrend Papierschredder absondern. Die stetig wachsende Berg an Papierwolle lädt zum Hinlegen ein.

Die Blätter sind nicht leer: Sandra nimmt die Gespräche der Besucher beiläufig auf Tape auf, speist sie in den Computer mit Spracherkennungsprogramm ein und druckt das Ganze aus - um es gleich anschliessend wieder zu vernichten.

"Überspielen, übermalen, zerhackseln - so greifen unsere beiden Teile der Arbeit ineinander", sagt sie und deutet auf Miriam Schiran, 30, die Kaprows Original-Anweisungen auf die Säulen der Halle malt - ins Deutsche übersetzt. "Schlecht übersetzt allerdings", sagt sie.

Mitmachen schockt immer noch

So umgeht sie bewusst eine Vorgabe Kaprows: Die echten Anweisungen dürfen nur die lesen, die sich auch ausführen. So aber können die Besucher während der Ausstellung ebenfalls Wörter hinzu fügen. Den zweiten Teil der Arbeit übernimmt Timur Dizdar, 31: Er übermalt Teile des Textes wieder. Die Original-Anweisung für das Stück fordert schliesslich, dass sich die Umgebung permanent ändert.

Nicht viel geändert habe sich seit fast fünzig Jahren an der Macht von Aktionskunst, Denkanstöße zu geben, darin sind die Künstler sich einig. Im Museum gelte immer noch: "Nichts anfassen!". "Das Publikum heute ist zu verwöhnt - man darf ihm nicht zu viel zumuten. Man kann ja kaum noch Eintritt verlangen", sagt Timur. Ihre einzige Forderung: dass die Teilnehmer ebenfalls in "Words"-Schutzanzüge schlüpfen.

"Die Leute reagieren immer noch pikiert auf Happenings", sagt auch Anita Edenhofer, 24, Studentin bei Prof. Pitz. Sie sitzt inmitten eines dichten Sammelsurium aus Objekten, Einkaufswagen, Metallrohren, Lampen, vernagelten Sperrholzplatten.

Die insgesamt 15 Studenten interpretieren das Environment "Push and Pull". Im Grunde haben sie das Klassen-Atelier ins Haus der Kunst versetzt, sagt Donata Kataria, 26, und werden hier auch während der Ausstellung weiter arbeiten. Mit dem Unterschied, dass Besucher die Objekte - im Sinne des Titels - verschieben und verrücken dürfen.

Kaprow wirkt

"Eine einfache Wiederholung eines Happenings wäre keine echte Teilnahme", sagt Franz Wanner, 31, aus der Medienklasse von Prof. Römer. Die Beteiligung der Besucher sehen er und 6 weitere Studenten im Mitnehmen und Lesen ihrer Zeitung, welche sie in simplen Metallregalen auslegen werden. Das Environment "Stockroom", zu deutsch "Lager", übersetzten sie als "Camp", Flüchtlingslager, zurück.

Franz lehnt sich durch eines der Regale, welche eine Kammer bilden, als Symbol für Ausgrenzung. In ihnen stehen, teils noch verpackt, Fernseher. Die hier gezeigten Videoarbeiten der Studenten werden, ebenso wie ihre Zeitung, um das Thema Migrationspolitik kreisen werden.

Der Übersetzungsprozess sei das Eigentliche gewesen, findet Franz. Bei der Themenfindung habe man sich nicht sehr darum gekümmert, wie es tatsächlich zu Kaprow passt - doch gerade durch die Entfernung von Kaprow sei die Interpretation gelungen.

Kaprows Konzpet, Kunst und Leben zu vermengen, scheint aufzugehen: "Wir sind alle schon jetzt Darsteller Kaprows", sagt Miriam, bevor sie einen neuen Eimer schwarzer Dispersionsfarbe anbricht.

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