"Air" mit neuem Album:Im Weltschmerzgeschäft

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Eine ganze Generation heutiger Mittdreißiger hat zu ihrer Musik miteinander geschlafen: Nun besinnt sich das französische Elektropop-Duo "Air" endlich wieder auf seine alten Stärken.

Dirk Peitz

Jean-Benoît Dunckel der zusammen mit Nicolas Godin das Pop-Duo Air bildet, sitzt allein in einem Zimmer des Kölner Hotel Intercontinental. Es ist kühl in dem Zimmer, und die gefühlte Raumtemperatur wird in der nächsten Stunde unerbittlich weiter fallen.

Der Raum ist nach den Regeln der zeitgenössischen Businesshotelmoderne ausgestattet, die Grundfarben sind Grau und Beige, das Mobiliar ist schlicht, nichts soll schreien, alles soll flüstern.

Dieses Zimmer ist als Transitraum für Weltgeschäftsreisende gestaltet, die sich überall gleich zuhause fühlen sollen und doch einsam bleiben, so wie Bill Murray und Scarlett Johansson in Sofia Coppolas Film ,,Lost in Translation'', für den Air einen Song geschrieben haben, nur dass da draußen vor dem Fenster nicht das melancholische Tokio, sondern das verregnete Köln liegt.

Jean-Benoît Dunckel ist müde. Es ist die Müdigkeit des Popstars am Ende einer Interviewreise. Dunckels Stimme klingt jetzt noch schwächer, verlispelter, der französische Akzent seines Englisch noch dicker aufgetragen als in den Songs, die er immer öfter selbst singt und die einem den Spaß an den letzten beiden Air-Alben ,,10000 Hz Legend'' und ,,Talkie-Walkie'' verdorben haben.

Dunckels Gesang ist nämlich von der Sorte, die eigentlich nur funktioniert, wenn er ihn wie auf Airs erstem Album ,,Moon Safari'' durch eine Batterie von Filtern jagt, bis aus seiner Stimme ein künstlicher Effekt geworden ist, der an den ,,Vocoder'' erinnert, mit dem Rockgruppen in den siebziger Jahren versuchten, Stimmen zu Elektroinstrumenten zu verfremden. Das klingt heute ähnlich ironisch, wie die Elektroklaviere und Moog-Synthesizer, mit denen Air ihren Retrofuturismus zelebrieren.

Dunckel singt auch auf dem neuen Air-Album ,,Pocket Symphony'' einige Lieder. Es sind die Stücke, die nicht ganz so gelungen sind, obwohl das Album das Beste geworden ist, das Dunckel und Godin seit dem Debüt ,,Moon Safari'' im Jahr 1998 eingespielt haben.

Damals erschufen Air zwar die passende oberflächlich-retrofuturistische Musik für die Hotelzimmer, in denen sie heute Interviews geben müssen, aber ihre Musik besaß doch so etwas wie Seele, Wärme, Tiefe, wenn etwa die Gastsängerin Beth Hirsch ,,All I Need'' und ,,You Make It Easy'' sang, zwei der perfektesten Liebeslieder der Popgeschichte. Man konnte sich in die Melancholie ergeben, ohne sich für seinen Weltschmerz schämen zu müssen, ,,Moon Safari'' luxusveredelte ihn sogar.

Und da war dieser gepflegte Erotikeffekt: Eine ganze Generation heutiger Mittdreißiger muss zu ,,Moon Safari'' miteinander geschlafen haben, das ergibt jede nichtrepräsentative Party-Umfrage. ,,Moon Safari'' half dabei, dass sich dieser Sex besser anfühlte, als er eigentlich war. Darüber muss man nochmal mit Air reden. Später, wenn das Gespräch endgültig gestrandet ist.

Jean-Benoît Dunckel antwortet auf Fragen kurz, zögerlich, ausweichend. Manchmal grinst er, bevor er einen Satz beginnt, und wenn er das tut, weiß man: Was jetzt kommt, muss man nicht unbedingt glauben.

Dunckel, der in seinem grauen Pullover und seiner grauen Hose geradezu in der Zimmereinrichtung verschwindet, tut dann so, als verliere er sich für einen Moment gedanklich in einer jener Traumlandschaften, die Air so wundervoll musikalisch herzustellen vermögen - mit allerweichsten Drumsounds, verhallenden synthetischen Streicherflächen, erratischem Gitarrenzupfen, verlorenen, unaufgelösten Moll-Akkorden. Air-Musik ist am besten, wenn sie im Verwehen begriffen scheint, sparsam mit ihren stets in akuter Kitschgefahr schwebenden Mitteln umgeht.

Elfen in Versailles

Der Schwerelosigkeit von ,,Moon Safari'' entflohen Air jedoch bald in eine künstlerische Bedeutsamkeitsphase. Sie schrieben nun vor allem bombastische, düstere Lieder. Air wurden demonstrativ kunstbeflissen. Zu dieser Musik hatte man keinen Sex mehr, sie verkaufte sich auch nicht so millionenfach wie die von ,,Moon Safari''.

Freundlicherweise besinnen sich Air mit ,,Pocket Symphony'' nun wieder auf die tagträumerischen Qualitäten ihres Debüts. Nicht ohne aber eine Schattenseite hinzuzufügen, kurze Momente der Ernüchterung nach ,,One Hell Of A Party'', wie das Schönste der neuen Lieder heißt.

,,In Versailles waren wir wie Elfen, wir tanzten um Blumen.'' Das ist so einer dieser sinnfreien Grinse-Sätze, die Jean-Benoît Dunckel sagt. Dabei wollte man doch bloß wissen, ob der jüngst vollzogene Studio-Umzug aus einem einsamen Pavillon im Wald von Versailles mitten hinein nach Paris eine Rolle gespielt habe bei der musikalischen Umorientierung.

Da ist man froh, dass Nicolas Godin nun den Raum betritt. Und dass er einen knallroten Pullover trägt. Und dass er offenbar vernunftbegabter ist als sein musikalischer Partner. Godin also sagt, dass die Ausgangsidee für ,,Pocket Symphony'' Airs Soundtrackbeitrag zu ,,Lost in Translation'' gewesen sei, ein Instrumentalstück namens ,,Alone In Kyoto''.

In der Filmszene, die mit der Nummer unterlegt ist, verlässt Scarlett Johansson den so schützenden wie deprimierenden Weltgeschäftsreisenden-Kokon des Park Hyatt Tokyo und läuft allein durch Kyoto. Diese Atmosphäre der Verlorenheit, sagt Dunckel in einem Anflug von Nichtgrinsen, hätten Air noch einmal für die Strecke eines Albums wiederherstellen wollen. Godin habe dafür sogar eigens gelernt, die traditionellen japanischen Zupfinstrumente Koto und Shamisen zu spielen.

Womit die Einswerdung von Hotelzimmerambiente, Musik und Lebensentwurf endgültig ist, dem bei Air schon immer geflüsterten ,,retrofuturistisch'' noch plakativ ,,japanisch'' hinzugefügt wird. Es wäre nun aber falsch, ,,Pocket Symphony'' als Hommage an die französische Spielart des Japonismus zu verstehen.

Air sind nicht an der Exotik des Klangs von Koto und Shamisen interessiert; der scheint bloß eine Musikmetapher zu sein für die reale Erfahrung der Weltmusikreisenden Air, wenn sie losgelöst von Raum und Zeit im somnambulen Nirgendwo zwischen Tag und Nacht schweben.

,,Somewhere Between Waking And Sleeping'' heißt das zweitschönste Lied auf ,,Pocket Symphony'', und wieder sind da Reste von Seele, Wärme, Tiefe, die in den Stimmen der Gastsänger Jarvis Cocker und Neil Hannon aufscheinen.

Godin und Dunckel darf man aber bloß nicht danach fragen, da bekommt man entweder einen Grinse-Satz von Dunckel oder eine dieser Antworten von Godin, die einem Thema den Garaus machen sollen. ,,Ein Lied ist ein Lied, fertig'', sagt Godin dann zum Beispiel. Und die letzten zehn Jahre Air resümiert er mit einem barschen: ,,Ein paar Alben, drei Welttourneen, fünf Kinder, fünf Umzüge, ein Haufen Ex-Freundinnen, zwei Manager, ein Studiokauf.''

Nun gut - wie ist das also mit dem Sex? ,,Es ist wahr, dass Leute uns mittlerweile ihre Kinder zeigen und sagen: Das wurde zu ,Moon Safari' gezeugt. Schon merkwürdig.''

Draußen, jenseits der alles Außen abschottenden Wände des Hotel Intercontinental, schüttet der Regen jetzt aus allen Kübeln auf Köln, der Feierabendverkehr drängt sich durch die Stadt, der Tag neigt sich, und Air fahren weiter nach Nirgendwo, ins nächste Hotelzimmer ohne Aussicht.

© SZ vom 5.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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