Afrikanische Flüchtlinge vor Europas Toren:"East, west - home is pest"

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Die Todesverachtung, mit der afrikanische Flüchtlinge gegen die Zäune der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla anrennen, beunruhigt Europa. Der afrikanische Schriftsteller Moses Isegawa, selber einnmal ein Flüchtling, erörtert, was die Menschen dazu treibt, diese Zäune zu stürmen.

Moses Isegawa

Der Schriftsteller Moses Isegawa, der auf Deutsch zuletzt den Roman "Die Schlangengrube" (Karl Blessing Verlag) veröffentlichte, wurde 1963 in Kawempe, Uganda, geboren. Von 1990 an lebte er fast fünfzehn Jahre in Amsterdam, zog aber vor wenigen Wochen zurück nach Uganda. Um ein Haar, so schreibt er in diesem Beitrag, wäre er selbst einer dieser Flüchtlinge geworden.

Ich dachte, ich würde verrückt werden. (Foto: Foto: AFP)

Die Szenen jener Flüchtlinge, die über einen sechs Meter hohen Stacheldraht-Zaun zu klettern versuchen oder in einem hochdramatischen Spiel in der Wüste ausgesetzt werden, haben mich tief getroffen. Ich hätte einer von ihnen sein können, wenn ich nur ein bisschen weniger Glück gehabt hätte, und mich schaudert, wenn ich daran denke.

Die Bilder erinnern mich an jene Zeit vor dem Jahr 1990, als ich mich selbst um ein Visum bemühte und so verzweifelt war, dass ich sogar daran dachte, die Grenzen notfalls illegal zu überqueren.

Ich war Mitte zwanzig, ich fühlte mich voller Kraft und Energie, ich war bereit, jede Chance zu nutzen, um mich als Schriftsteller zu beweisen. Ich wollte die Welt sehen, ja die Welt erobern. Ich war klug genug, um zu wissen, dass ich es in Uganda niemals schaffen würde, wo es keine Verleger gab und im Fernsehen fast nur Propaganda lief.

Ich hungerte nach echtem Wissen, um Afrika und Europa besser zu verstehen. Westeuropa war mein Ziel. Wenn ich Europa nicht sehen könnte, so glaubte ich, würde mein ganzes Leben sinnlos sein, ein endloser Schwebezustand, schlimmer als der Tod.

Zwanzig Dollar pro Monat

Ich war bereit, schlimmstenfalls gefälschte Dokumente zu kaufen. Ich war bereit, mir notfalls eine neue Identität zuzulegen, mit einem fremden Pass zu reisen. Ich war bereit, jeden Preis zu zahlen, um meinen Traum zu verwirklichen.

Damals lehrte ich an einer Oberschule, verdiente zwanzig Dollar im Monat, und das Geld kam meist zu spät. Ich lebte in ständiger Angst vor neuen Rechnungen und dem Bewusstsein, dass ich eigentlich niemandem einen Dienst erwies, wenn ich weiter unterrichtete. Ich dachte, ich würde verrückt werden.

Das Risiko einer legalen oder illegalen Ausreise war bekannt, denn Ugandas Hauptstadt Kampala war voller Männer und Frauen, die in Europa gewesen waren. Aber dieses Risiko brachte ehrgeizige Menschen nicht dazu, ihre Pläne aufzugeben.

Unter der Herrschaft von Tyrannen

Ich wollte Uganda verlassen, wo die Wirtschaft nach Jahren unter der Herrschaft von Tyrannen wie Idi Amin und Milton Obote am Boden lag, wo die Infrastruktur marode bis ins Mark war und niemand mehr Romane veröffentlichte.

Vor mir lag die Aussicht, in einem verhassten Leben gefangen zu bleiben, während meine Träume in meinem Kopf verrotteten: Ich hätte alles versucht, um fortzukommen. Die Gefahr des Scheiterns war sehr real, aber ich wollte scheitern, nachdem ich es versucht hatte.

Ewige Träume, brennende Wut

In den Neunzigern gab es ein Sprichwort in Kampala: "East, west, home is pest" - Osten, Westen, zu Hause ist die Pest. So wie ich wollten viele junge Leute ausreisen. Sie hassten Uganda dafür, dass es ihre Träume zerstört hatte, dass das Land sie in ihrer Verzweiflung einschloss, sie waren moderne Abenteurer und Entdecker, die eher auf der Reise sterben wollten als zu Hause zu verfaulen.

Die meisten hatten keine Familie, aber einige hatten doch Frauen und Kinder, die sie in ihre neue Heimat mitnehmen wollten, sobald sie es geschafft hatten. Einige stammten aus wohlhabenden Familien, aber viele waren arm und hofften, sie würden eines Tages ruhmbedeckt nach Hause zurückkehren.

Ich brauchte fünf Jahre, um ein Visum für die Niederlande zu bekommen, und als ich abreiste, war ich euphorisch. Als ich nun die Szenen in Ceuta sah, stellte ich mir die Gefahren vor, denen diese Menschen sich ausgesetzt hatten, das Geld, das sie gezahlt hatten, und ihre Sehnsucht, sich neu zu erfinden - um jeden Preis.

Vielleicht waren Schriftsteller darunter und der Zaun trennte sie von ihren künftigen Verlegern. Wir werden es nie erfahren. Aber wir wissen, dass wir in Zukunft noch mehr solcher Szenen sehen werden, denn die Gründe, warum Menschen versuchen, gegen diese Mauer anzurennen, bestehen weiterhin, die Träume in ihren Köpfen sind unverändert geblieben, und die brennende Wut in ihren Herzen ist heiß.

Menschen wandern seit dem Anbeginn aller Zeiten, und sie werden weiter wandern, denn die Welt ist kleiner geworden, und sie hat heute gläserne Mauern. Jeder weiß, was im Wohnzimmer seines Nachbarn geschieht. Und wir sollten uns bewusst sein, dass wir nur die Spitze eines Eisberges sehen, der ununterbrochen weiterschwimmt, unaufhaltsam.

Deutsch von Sonja Zekri

© SZ vom 13.102005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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