Abenteuer:Mädchen mit Cello

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Maria Engstrand: Code Orestes. Aus dem Schwedischen von Cordula Setsman. Mit Illustrationen von Lotta Geffenblad. Mixtvision, München 2020. 384 Seiten, 16 Euro. (Foto: N/A)

In Code Orestes müssen Wissenschaft und Magie zusammenwirken, als zwei Kinder versuchen, hinter das Geheimnis eines mysteriösen Briefes zu kommen. Die Jagd nach der Lösung führt sie in die Vergangenheit.

Von Hubert Filser

Eine schwedische Kleinstadt nahe Göteborg in einer Winternacht. Die zwölfjährige Malin soll für ihre Mutter bei den Nachbarn gegenüber Zucker für den Kuchen borgen. Beim Zurückgehen springt plötzlich ein alter, hagerer Mann mit Pelzmütze und seltsamem Umhang aus dem Gebüsch und streckt ihr einen Brief entgegen. "Es geht um die Zukunft", sagt er kryptisch. "Es ist wichtig! Es geht um Leben und Tod." Den Brief solle sie in genau hundert Tagen einem Kind aus der Nachbarschaft übergeben, das dort einziehen wird. Und das Kind sei ein Rutenkind, ein auserwähltes Kind, und sie dürfe niemandem von dem Treffen erzählen.

So geheimnisvoll beginnt Maria Engstrands Buch "Code Orestes". Tatsächlich taucht in Malins Schule nach genau hundert Tagen ein neuer Mitschüler auf, Orestes, ein ziemlich merkwürdiger Typ. Mit Aktentasche und glatt gebügeltem weißem Hemd, Stoffhose mit Gürtel und sorgfältig gekämmtem Haar sieht er aus wie ein kleiner, langweiliger Erwachsener, findet Malin. Aber da er noch ins Haus gegenüber einzieht, wie der alte Mann gesagt hatte, muss er der Empfänger des Briefs sein. Doch als sie ihm den Brief gibt, zerreißt er ihn einfach.

Das Ende der Geschichte? Mitnichten. Denn von diesem Moment an beginnt eine rasant erzählte Abenteuergeschichte, in der Malin und Orestes das Rätsel hinter dem seltsamen alten Brief gemeinsam lösen. Die Botschaft im Brief ist nämlich einerseits verschlüsselt, was den Mathe-Nerd Orestes interessiert, andererseits enthält er, wie sich bald herausstellen wird, spannende Geschichten über einen Ingenieur, der einst in der Kleinstadt lebte, dort am Eisenbahnbau beteiligt war und sich in eine junge elfengleiche Cellistin verliebte. Da Malin auch Cello spielt und überhaupt alte, mystische Geschichten liebt, ist sie ebenfalls fasziniert vom geheimnisvollen Brief. Gut, dass sie eine Kopie gemacht hat.

Maria Engstrand schickt ihre beiden so unterschiedlichen Protagonisten gemeinsam auf eine turbulente Schnitzeljagd, bei der sie Verschlüsselungscodes knacken und kryptische Hinweise verstehen lernen müssen. Sie finden vergrabene Hinweise und uralte Geräte. Auf ihrer Suche stoßen die Jugendlichen dabei auf allerlei Ungereimtheiten und geheimnisvolle Machenschaften auch in ihrer Umgebung. Die Jagd nach der Lösung führt sie weit in die Vergangenheit.

Die schwedische Autorin entwirft dabei zwei Figuren, mit denen sich Kinder gut identifizieren können. Orestes ist eher der Typ kühler Denker, der sich nicht so schnell von anderen beeindrucken lässt, vermutlich ist er auch aufgrund seiner ziemlich abgedrehten Hippiemutter so abgebrüht geworden. Malin wiederum wirkt deutlich sensibler, liebt Musik, sie ist auch offen für Dinge, die sich schnellen Erklärungen entziehen. Jedes Kind bringt seine eigenen Themen und Probleme mit. Das Rätsel der verschlüsselten Botschaften schweißt sie zusammen, sie können es nur beide gemeinsam lösen. Im Miteinander dieser beiden Figuren, in ihrer Unterschiedlichkeit und ihrer allmählichen Annäherung, liegt der besondere Reiz dieses Buchs. Engstrand thematisiert so auch, ohne dass es allzu grob konstruiert wirkt, die Verbindung zweier Denkwelten, die wenig Berührungspunkte zu haben scheinen: der Welt der Wissenschaft und Technik, wo alles plan- und erklärbar ist, und der Welt des Mystischen und des Glaubens, in der wundersame Dinge passieren und Magie ihren Raum behält. Jede ihrer Figuren muss sich mit dem Kosmos des anderen beschäftigen und gewinnt dadurch etwas hinzu. "Code Orestes" ist der Auftakt einer Trilogie, in der ihre Helden eine Reihe kosmischer, manchmal auch sehr irdischer Probleme lösen müssen. (ab 11 Jahre)

© SZ vom 22.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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