60 Jahre LSD:Alles so bunt hier

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60 Jahre LSD: der Stoff, der Cary Grant und Michel Foucault glücklich machte, hatte entschieden zu viel Schwung für seinen Erfinder.

OLIVER FUCHS

Der 16. April 1943 ist ein ruhiger Tag für den Chemiker Albert Hofmann, ein Tag wie immer, Labor-Routine. In der Mittagspause geht der fleißige junge Mann nicht mit den Kollegen in die Kantine, er verzehrt nur eben schnell im Stehen ein Honigbrot, dann macht er sich wieder an die Arbeit. Doch am Nachmittag befällt ihn eine merkwürdige Unruhe. "17 Uhr: Beginnender Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz", notiert er in seinem Laborjournal. Die letzten Worte kann er nur noch mit großer Mühe hinschreiben. Dann setzt er sich auf sein Fahrrad. Die Fahrt zu seiner Wohnung wird zu einem Trip, dem ersten LSD-Trip in der Geschichte. "Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel", erinnert er sich später. Zu Hause angekommen, geht die Party in seinem Kopf erst richtig los. "Alles im Raum drehte sich, und die vertrauten Gegenstände nahmen groteske, meist bedrohliche Formen an. Die Nachbarsfrau, die mir Milch brachte, erkannte ich kaum wieder. Das war nicht mehr Frau R., sondern eine bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze."

G.W. Bush - wie ihn das Kartenset "Psychedelic Republicans" sieht. (LINK!) (Foto: SZ v. 16.04.2003)

Es gibt eine Menge lustiger und verrückter Geschichten über das Lysergsäure-diäthylamid, kurz LSD, aber am verrücktesten ist wohl die Geschichte seiner Entdeckung. Ausgerechnet einen akkuraten, wohlanständigen und bedächtigen Schweizer Wissenschaftler hat sich die Droge als Geburtshelfer ausgesucht. Hofmann hatte in seiner Doktorarbeit den Magendarmsaft der Weinbergschnecke untersucht, jetzt forschte er nach einem Mittel, das den menschlichen Blutkreislauf in Schwung bringen sollte - doch schon ein winziger Tropfen jener Substanz, der versehentlich auf seinen Finger tropfte, hatte genügt, ihn in eine Sphäre außerhalb von Raum und Zeit zu katapultieren. Das war entschieden zu viel Schwung für jemanden wie Hofmann. Im Kölner Supposé- Verlag erscheint nun zum 60. Jahrestag der LSD-Erstbenutzung eine CD mit Tonbandmitschnitten von Vorträgen und Interviews Hofmanns, "Erinnerungen eines Psychonauten". Die Droge war sein ungewolltes Baby, als "mein Sorgenkind" hat er sie in seinem bekanntesten Buch bezeichnet und ihren Werdegang dann doch wie ein wohlwollender Vater begleitet. Wenn man ihm zuhört, wie er im murmelnden Tonfall eines Märchenerzählers die LSD-Geschichte rekapituliert, dann wird klar, dass da auch Stolz mitschwingt, ein Auserwähltheitspathos und viel Trauer darüber, dass die psychedelische Erfahrung irgendwann zum billigen Hippie-Volksvergnügen verkam.

Anfangs belieferte Hofmann nur handverlesene Wissenschaftler und Künstler mit dem Stoff - Psychoanalytiker, die verstockte Patienten zum Reden bringen wollten, Literaten wie Aldous Huxley und Ernst Jünger, der in seinem Haus in Wilflingen mit weihevollem Ernst LSD-Zeremonien anführte . Am Ende kochte Jüngers Frau Liselotte für die Absolventen Linsen mit Spätzle, und bei Tisch wurden die Grenzerfahrungen wie Gedichte interpretiert.

Der Islamwissenschaftler Dr. Rudolf Gelpke bemerkte bei einem dieser Treffen, er habe sich gefühlt wie auf einer "Fahrt in den Weltraum der Seele". Der Satz wurde zum Klassiker der LSD-Literatur. Er schien ein Erlebnis zu beschreiben, für das es eigentlich keine Worte gibt: die komplette Verflüssigung der Alltagswirklichkeit, die Auflösung der abendländischen Ich- Welt-Dualität. Die frühen Psychonauten ahnten aber bereits, dass jeder Versuch, einen LSD-Trip in Worte zu fassen, ungefähr so sinnvoll war wie eine Orgasmus-Nachbesprechung. Und auch später, als zehn Millionen Amerikaner zu den gewohnheitsmäßigen Konsumenten zählten, blieb die Droge von einem Schatten der Unsagbarkeit umgeben, der den Redefluss erstaunlicherweise aber erst recht anzukurbeln schien. Die vielen Erfahrungsberichte sind durchsetzt von einer aus heutiger Sicht ziemlich unerträglichen "Ich habe Gott gesehen"-Stammelei. Offenbar wirkt die Substanz auch auf den Teil des menschlichen Gehirns, in dem die Fähigkeit zum Schwadronieren und Bramarbasieren lokalisiert ist.

Spätestens als Timothy Leary, der angehende Hohepriester der Gegenkultur, im Jahr 1961 gleich eine Million Trips bei Hofmann bestellte, war es vorbei mit den elitären LSD-Zirkeln. Und Hofmann muss die Hände überm Kopf zusammen geschlagen haben, als dann der Anarchist Ken Kesey mit einem Bus voller durchgedrehter Freaks übers Land fuhr, wie wild Prominente missionierte und drohte, das Trinkwasser mit LSD zu versetzen. Das Programm hieß: Zwangsbeglückung der ganzen Menschheit. "Ich mag eigentlich keine Drogen", sagte Cary Grant, "aber LSD hat mir sehr gut getan. Ich finde, alle Politiker sollten LSD nehmen."

Doch da war die Sache schon aus dem Ruder gelaufen, da fühlten sich bereits zu viele Bürger durch Hippies auf Horrortrips belästigt. Im Jahr 1966 wurde LSD verboten. Die amerikanische Regierung hoffte, die aufkeimende Gegenkultur trockenlegen zu können, indem sie ihre Lieblingsdroge kriminalisierte - natürlich vergeblich. Denn danach ging die Party erst richtig los.Hofmann kämpft bis heute für die partielle Freigabe von LSD zu psychiatrischen Zwecken, schafft es aber nicht, eine größere Öffentlichkeit zu mobilisieren. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass man sich vor allem an die unangenehmen kulturellen Folgen erinnert: langatmige Gitarrensoli, geschwätzig ausufernde Bücher.

Die Droge, die heute auch in den Polizeiberichten praktisch keine Rolle mehr spielt, hätte ein besseres Andenken verdient. Sie ist allemal eine Antithese zum Vorurteil, dass Drogen dumm machen. Es kann jedenfalls sehr lehrreich sein, wenn man von Zeit zu Zeit für ein paar Stunden seine Welt dekonstruiert. "Ich bin sehr glücklich", rief der französische Philosoph Michel Foucault aus, als er in der Wüste LSD geschluckt hatte. Dann weinte er.

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