38. Filmschoolfest:Tränen, Timing und Talente

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"Simon cries" von Sergio Guataquira Sarmiento wurde als originellster Film gewürdigt. (Foto: Sergio Guataquira Sarmiento)

Das Programm lotet gekonnt den schmalen Grat zwischen Lachen und Weinen aus

Von Anna Steinbauer, München

Simons Körper ist ein einziger Quell unaufhörlich sprudelnder Tränen. Seit seine Freundin ihn verlassen hat, kann er überhaupt nicht mehr aufhören zu weinen. Denkt er an seine Geliebte, dann schießt dem jungen Mann das Wasser buchstäblich aus allen Poren. Mit Plastikfolie und Klebeband, die er notdürftig um seinen Körper gebunden hat, versucht Simon die Sturzbäche einzudämmen und möglichst wenig nasse Spuren zu hinterlassen. Nur im Schwimmbad fühlt sich der Protagonist aus Sergio Guataquira Sarmientos Kurzfilm "Simon cries" wohl. Dabei ist der junge Heuler doch Teilzeit-Komödiant.

Der 13-Minuten-Film, der auf dem gerade zu Ende gegangen 38. Münchner Filmschoolfest zu sehen war, zählt zu den originellsten Festivalbeiträgen in diesem Jahr und wurde mit dem Wolfgang-Längsfeld-Preis ausgezeichnet. Mit einem sensiblen Gespür für die Komik des Alltags spielt der belgische Film mit skurriler Metaphorik in Wes Anderson-Ästhetik. Die Tragikomödie zeigt, wie nahe Ernst und Witz beieinanderliegen, ist absurd komisch, unendlich traurig und zutiefst romantisch.

Den schmalen Grat zwischen Lachen und Weinen lotete das diesjährige Programm in sämtlichen Facetten aus. Für eine Woche beherbergte das Filmmuseum wieder junge Filmemacher aus aller Welt, die sich vernetzten, feierten und Filme schauten. Auch der Gewinner des diesjährigen Hauptpreises, der mit 10 000 Euro dotierte VFF Young Talent Award, ist eine schräge Komödie, in der der Protagonist gleich zu Beginn des Films von seiner Freundin in einer bizarren Wellness-Hotelwelt mitten in den Alpen verlassen wird. "Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin" heißt der Beitrag des Österreichers Bernhard Wenger, der im vergangenen Jahr bereits eine steile Festivalkarriere hingelegt hat. Die Kombination aus exaktem Timing, Sprachverwirrung und dem Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer löst treffsicher den ein oder anderen peinlich berührten Lacher aus.

Die Frage nach einer guten Pointe beschäftigte auch den Regisseur Marcus H. Rosenmüller und den Filmkomponisten Gerd Baumann, die eine Masterclass in der HFF hielten. Mit vielen Filmbeispielen gaben die beiden einen sehr amüsanten Einblick in ihre enge Zusammenarbeit, die mit "Wer früher stirbt ist länger tot" begonnen hatte. Über Tabubrüche und das Wesen von Sprachwitzen wurde ebenso gesprochen wie über das richtige Timing und den Einsatz von Filmmusik. Witze dürfen man auf keinen Fall wiederholen, sagte Rosenmüller. "Das ist eben das Schwierige bei einer Komödie, ständig neue Witze zu erfinden." Den Übergang zwischen Lachen und Weinen veranschaulichte kein Film besser als der mit dem "zweiB-Award" für die beste Animation ausgezeichnete "Facing it" von Sam Gainsborough. Darin passen sich die Knetmassegesichter der Figuren ihren jeweiligen Stimmungen und Gefühlen sekundenschnell an.

Auch der israelische Sechzehn-Minüter "Portrait of my Family in my 13th Year", der zu den stärksten Beiträgen dieses Jahres zählt, schlägt schnell in eine ernste Selbstreflexion über kindliche Erinnerung und das Filmemachen um. Regisseur Omri Dekel-Kadosh lässt seinen Vater eine Szene aus seiner Kindheit nachspielen, bei der ihm und allen Beteiligten am Ende die Tränen kommen. Zwei Filme, die sich mit der Kindheit unterschiedlich aufwachsender Jungen auseinandersetzen und auf ihre eigene Art tief berühren, sind "Son of Wind" von David Noblet (Arri-Preis für den besten Dokumentarfilm) und "Schoolyard Blues" von Maria Eriksson Hecht (Arte-Kurzfilmpreis). In ersterem ist es das naiv-kindliche Gemüt des kleinen Chinesen, der bei seinem Großvater lebt, in letzterem die Fürsorglichkeit des verstoßenen Bruders, die dem Zuschauer die Tränen in die Augen treiben.

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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