Russisches Kino:"Wir entwickeln einen ungeheuren Ehrgeiz"

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"Wanted"-Regisseur Timur Bekmambetov erklärt, warum Russlands Filmindustrie das Weltkino immer stärker beeinflussen wird.

Anke Sterneborg

Mit seiner massiven, bärig-bärtigen Erscheinung und dem schweren Akzent im brüchigen Englisch erfüllt Timur Bekmambetov geradezu die Klischeevorstellung eines russischen, präziser: kasachischen Regisseurs. Seine funkelnd wachen Augen lassen aber auch gleich den Geist seiner Filme ahnen, eine Mischung aus Geschäftssinn und subversivem Elan. Seit seinen russischen Welterfolgen "Wächter der Nacht" und "Wächter des Tages" vertraut ihm nun auch Hollywood große Budgets und große Stars an.

SZ: Wenn Sie jetzt für Hollywood arbeiten - soll das heißen, dass Russland Ihnen heute nichts mehr zu bieten hat?

Bekmambetov: Nein, es gibt unglaubliche Möglichkeiten dort. Russland ist eine expandierende Gesellschaft mit großen Ambitionen, und sehr vielen jungen, talentierten Menschen. Schauen Sie nur unseren Präsidenten an! Er ist gerade mal 42, im Grunde noch ein Junge. Es ist faszinierend, wie sich dieses Land in den letzten zehn Jahren verändert hat.

SZ: Auch das russische Kino?

Bekmambetov: Vor fünf Jahren lag der Marktanteil der russischen Filme bei nur fünf Prozent, heute sind es schon dreißig Prozent - das ist jeder dritte Film! Und ich bin sicher, in weiteren fünf Jahren wird es die Hälfte sein. Im vergangenen Winter haben wir eine russische Komödie gedreht, die Fortsetzung eines berühmten russischen Weihnachtsklassikers aus den siebziger Jahren. Das war ein unglaublicher Erfolg und hat mit 55 Millionen zweimal mehr eingespielt als der erfolgreichste amerikanische Film. Weil die Menschen in Russland lieber die eigenen Filme sehen wollen. Auch in Deutschland war "Lola rennt" ein Hit mit enormem Drive, solche Filme wollen die Leute sehen - und zwar von einheimischen Filmemachern.

SZ: Woran liegt es, dass Russland so resistent ist gegen die amerikanischen Filme?

Bekmambetov: Wir sind der Widerstand! Das hat mit dem Wesen der russischen Kultur zu tun. Das russische Volk hat sich sehr lange in Geduld geübt, und jetzt entwickeln wir einen ungeheuren Ehrgeiz. In Russland werden im Moment 250 Filme pro Jahr gedreht, natürlich sind neunzig Prozent davon fürchterlich schlecht - aber wenn zehn oder zwanzig Filme richtig gut sind, reicht das allemal um mit den amerikanischen Filmen zu konkurrieren. Wir werden das Weltkino in immer stärkerem Maße beeinflussen!

SZ: Wie stark sind Sie durch die große Tradition des sowjetischen Kinos beeinflusst?

Bekmambetov: Sehr stark, das habe ich im Blut. Ich habe all diese Filme seit meiner Kindheit gesehen. Ich habe sie nie analysiert, sondern einfach in mich aufgenommen, bis sie zu einem Teil von mir geworden sind. Wie man mit dem amerikanischen Publikum kommuniziert, muss ich erst lernen, aber Filme für ein russisches Publikum beherrsche ich im Schlaf. Ich erinnere mich an jeden Schnitt von Dziga Vertov oder Eisenstein und all den anderen großen Filmemachern, ich weiß, wie sie es gemacht haben. Schnitt ist für mich eine Hexenkunst, die auf völlig irrationale Weise in der östlichen Mentalität verwurzelt ist. In Büchern übers Filmemachen gibt es all diese exakten Regeln, wie eine Geschichte zu erzählen sei - aber ich denke, dass es keine wirklichen Regeln gibt. Filmemacher sind wie Schamanen, die das Publikum mit ihren Trommeln hypnotisieren.

SZ: Da spricht jetzt auch der ehemalige Werbefilmer in Ihnen, oder nicht?

Bekmambetov: Die Werbung war eine großartige Schule, weil man nur dreißig Sekunden hat, um eine Geschichte zu erzählen. Man muss das Publikum verhexen. Dann bekommt man die Energie, die man hineinsteckt, sofort zurück - und kann sie in den nächsten Film fließen lassen. Ich wäre gar nicht mehr in der Lage, einen Film zu machen, den nur eine Handvoll Leute sehen werden.

SZ: Im Vergleich dazu war Ihre Arbeit mit B-Picture-König Roger Corman vermutlich etwas ganz anderes?

Bekmambetov: Nein, im Grunde tickt er ganz genauso: Wir arbeiten für ein Publikum und sind darin wie ein Bäcker, der Brot macht, ohne sich die Frage zu stellen, warum und wie man das macht. Unser Geschäft ist es zu unterhalten, auch wir füttern das Publikum. Im Grunde ist das ganz einfach. Alles Wichtige ist einfach.

SZ: Wie sehr identifizieren Sie sich in unserer aus der Kontrolle geratenen Welt mit der Sehnsucht nach einer ordnenden Kraft?

Bekmambetov: Ich merke nur, dass ich immer wieder auf dieses Thema zurückkomme, dass es in all meinen Filmen um das Schicksal geht, das sich für den Helden erfüllt. In Russland habe ich einen Film gemacht, der "Ironie des Schicksals" heißt, und in "Wanted" gibt es den "Webstuhl des Schicksals". Obwohl ich das nicht bewusst mache, taucht es immer wieder auf. Und auch im wirklichen Leben glaube ich fest daran, dass unser Schicksal vorbestimmt ist.

© SZ vom 04.09.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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