Nobelpreisträger Pinter tot:Der Abgrund unter dem Geschwätz

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Den Literatur-Nobelpreis bekam er erst 2005 - vier Jahrzehnte nach seiner Entdeckung. Jetzt ist der Brite Harold Pinter im Alter von 78 Jahren gestorben.

Hans-Jürgen Jakobs

Er war in der Welt der Bücher ein vergessener Held früherer Tage. Doch dann bekam Harold Pinter im Oktober 2005 überraschend den Literatur-Nobelpreis - und man erinnerte sich wieder der Bühnenstücke, mit denen er in den sechziger Jahren für Furore gesorgt hatte.

Den Abgrund im Alltag freigelegt: Der Autor Harold Pinter ist am Mittwoch im Alter von 78 Jahren gestorben (Archivbild von 1979). (Foto: Foto: Getty)

Zur Nobelpreisverleihung konnte der schwer an Krebs erkrankte britische Autor nicht mehr kommen; er ließ ein Video mit der am Vortag aufgezeichneten Dankesrede zeigen. Pinter äußerte frank und frei, was er von führenden Politikern hielt: Der US-Präsident George W. Bush war für ihn wegen des Irakkriegs ein "Massenmörder", und den Briten Tony Blair nannte er einen "armen Irren" ("deluded idiot").

Da mischte sich Harold Pinter mit Verve in die Politik ein, der 1930 in London als Sohn eines sephardischen Damenschneiders geborene Schriftsteller, der viele Jahre lang als "David Baron" selbst auf Bühnen gespielt sowie Gedichte veröffentlichte hatte.

1957 hat er dann sein erstes Theaterstück geschrieben - "The Room" ("Das Zimmer"); im selben Jahr begann er mit "The Birthday Party" ("Die Geburtstagsfeier"). Der große Durchbruch kam 1960 mit dem Stück "The Caretaker" ("Der Hausmeister").

Insgesamt 29 Dramen hat Pinter geschrieben, er war aber auch als Drehbuchautor großer Spielfilme wie "The French Lieutenants's Woman" ("Die Geliebte des französischen Leutnants") oder als TV-Regisseur erfolgreich.

In seinen Theaterstücken bildete Pinter die komplizierte Beziehungswelt der Menschen ab, die unter absurden Umständen leiden und in ihrer Existenz nicht glücklich werden. Sie leiden an sich und den anderen. Pinters Figuren sind Suchende, keine Helden. Es sind Personen wie der alte Davies in "Hausmeister", der sich in die Heimeligkeit eines fremden Zimmers drängt. "Was soll ich machen? Wo soll ich hin?", fragt er.

Das Theater reduzierte Pintzer wieder auf einen geschlossenen Raum, in dem sich Menschen begegnen und entlarven. Fassaden bröckeln, es bleibt die hilflose Existenz. Hier kamen Menschen auf die Bühne, die woanders verschwiegen, verdrängt wurden: Penner, Schläger, raufende Paare, plappernde Selbstdarsteller.

Dann wieder setzte der Autor bewußt Elemente wie Pausen ein - Pinter-Pausen. So wie er erst einmal lange schwieg, als er die Nachricht vom Erhalt des Nobelpreises erfuhr: "Ich bin sprachlos."

Politisch wurde Harold Pinter erst im Alter. Da reiste er mit dem amerikanischen Dramatiker Arthur Miller in die Türkei (1985) - beide redeten mit Opfern der politischen Unterdrückung. Er erfuhr von der Unterdrückung der kurdischen Sprache, was ihn 1988 zum Theaterstück "Mountain Language" ("Berg-Sprache") brachte. Dass er den jugoslawischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic öffentlich verteidigte, sorgte weltweit für Kritik.

Die Massenmorde in aller Welt ließen dem Engländer keine Ruhe, dessen Familie vor Pogromen in Russland und Polen nach Portugal geflohen war und von da nach Großbritannien. "Es lässt mich nicht los. Die barbarischen Akte um mich herum quälen mich, wo immer ich hingehe, verfolgen sie mich", sagte Pinter. Das brachte ihn gegen Bush und Bellizisten in Stellung.

Den Nobelpreis erhielt er, weil er "in seinen Dramen den Abgrund unter dem alltäglichen Geschwätz freilegt und in den geschlossenen Raum der Unterdrückung einbricht", so die offizielle Begründung. "Eine gute, richtige Entscheidung", befand damals Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki, während die Kritikerkollegin Sigrid Löffler meinte, der Preisträger sei aus der Mode. Drei Jahrzehnte liege das Werk zurück, mit dem er Theaterfurore gemacht hat.

Zwei Jahre später erhielt Pinter auch die höchste Auszeichnung der französischen Republik, den Orden der Ehrenlegion (Légion d'honneur).

Nach der Zuerkennung des Nobelpreises wurden Pinters Stücke vor allem in Großbritannien erneut auf den Bühnen gespielt. Im Oktober 2006 stand er selbst im Londoner Royal Court Theatre in Samuel Becketts "Das letzte Band" wieder einmal als Schauspieler auf der Bühne. Die neun Vorstellungen waren innerhalb weniger Stunden ausverkauft.

Das ganze umfangreiche Archiv Pinters ist bereits vor einem Jahr von der British Library für 1,1 Millionen Pfund angekauft worden. Darunter befindet sich auch sein erstes publiziertes Werk, ein Gedicht über das Leben in der Kneipe. Es handelt sich um Material aus 150 Kisten, die einen spektakulären Einblick geben in die englische Theater- und Literaturwelt der fünfziger und sechziger Jahre.

Pinter, der Unbeugsame, hatte dem Krebs mit vielen Operationen den Kampf angesagt - und begründete seinen Spaß an Restaurantbesuchen etwa mit dem Sätzchen, "weil ich lebe, statt tot zu sein". Den Kampf gegen die Krankheit hat der schrullige alte Mann dann doch verloren: An Heiligabend ist Harold Pinter im Alter von 78 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben.

© sueddeutsche.de/jja/AP/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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