Musik: Placebo mit "Once more with Feeling":Konsequent zur Melancholie

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Vor zehn Jahren starteten sie die Gegenbewegung zum Britpop. Heute gehören Placebo zu den erfolgreichsten Exporten von der Insel. Das feiern sie mit einem herrlichen Best-of-Album.

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Ende des Jahres steht der Geburtstagstermin ins Haus. Und wenn man dieses Ereignis als Band für die Fans feiert, geht das gemeinhin per Best-of-Album über die Bühne (zumal ja auch bald wieder Weihnachten ist). Da machen auch Placebo keine Ausnahme - obwohl sie eigentlich seit Gründung vor zehn Jahren die wandelnde Ausnahme sind. Immer darauf aus, es ein bisschen anders zu machen als die anderen.

Sehen gelassen den nächsten 20 Jahren entgegen: Stefan Olsdal, Brian Molko und Steve Hewitt (v.l.n.r.). (Foto: N/A)

Bloß nicht dem Massentrend hinterher, sondern selbst den Ton angeben - und damit die Massen erreichen. Als alle Welt Mitte der Neunziger von Britpop und den dazugehörigen Gallagher-Brüdern oder Blur sprach, wollten Brian Molko, Steve Hewitt und Stefan Olsdal so ziemlich alles machen, nur keinen Britpop.

Und was passt da besser, als mit rockigem und rauen Sound im Stile von "36 Degrees" oder "Nancy Boy" sowie mit einem Frontmann wie Molko den genauen Gegenentwurf zu Topffrisur und "Wonderwall" zu starten?

Zumindest beim selbstbetitelten ersten Longplayer ließen es Placebo einerseits richtig krachen. Und zelebrierten gleichzeitig in Stücken wie "Teenage Angst" (mit der Eingangszeile "Since I was born I started to decay/ no, nothing ever ever goes my way") mit Molkos markanter Stimme fesselnde bis düstere Melancholie für die Generation der Grübler.

Dennoch schien sich die Aufmerksamkeit anfangs auf Molkos Hang zu Kajal und Lippenstift zu beschränken. Gold-Status wurde mit dem Erstling trotzdem oder gerade deswegen erreicht. Mittlerweile sind insgesamt fünf Millionen Placebo-Tonträger über den Ladentisch gegangen: Die anfangs skurrile Ausnahmeerscheinung ist zur gestandenen Rockeinrichtung mutiert, die sich musikalisch immer wieder neu erfindet.

Wen wundert's da, dass die britisch-schwedische Truppe schon mit ihren ersten Demo-Bändern einen treuen Fan im "Thin White Duke" David Bowie fand, der die drei nicht nur vom Fleck weg als Support für seine eigene Tour engagierte, sondern nun die Geburtstags-Platte beim neu eingespielten Titelstück des zweiten Albums ("Without you I'm nothing") mit seiner Teilnahme adelt.

Der Rückblick auf "Once more with Feeling" fällt streng chronologisch aus und trägt die größten Hits der bisherigen vier Studioalben zusammen. Sechzehn Tracks, die sich vom ungehobelten (Gitarren-) Rock der Gründerjahre, über schwermütige und nachdenkliche Balladen bis zum experimentierfreudigen und poppigen Elektronik-Sound der beiden letzten Alben "Black Market Music" (2000) und dem bisher erfolgreichsten Werk "Sleeping with Ghosts" (2003) erstrecken.

Die musikalische Veränderung in zehn Jahren Placebo ist dabei offensichtlicher als die im Songwriting von Molkos oft sehr emotionalen Texten. "So etwas wie ein Erfolgsrezept oder eine stilistische Vorgabe hatten wir nie. Wer das Album von Anfang bis Ende durchhört, erlebt das Erwachsenwerden von Placebo", erklärt der charismatische Sänger.

Pünktlich zum Bandjubiläum dann auch ein überraschendes Experiment: Ein Liebeslied mit positiver Grundstimmung. So forsch und frisch nach vorn, so voller Lebensfreude, dass man es nach all den Molko-Melancholien kaum glauben mag. Das Stück heißt passender Weise "I do" ("Ich will") - und gerade weil im Placebo-Repertoire bisher so ein Song nicht zu finden war, passt er nun umso besser aufs Geburtstags-Album.

Molko: "Wir haben all die Jahre immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt, so einen Song zu schreiben - jetzt ist es eben amtlich. Bezeichnen wir das Stück musikalisch ruhig als kaputt. Eigentlich kann sowas gar nicht funktionieren. Irgendwie würde ich es fast antidepressive Fahrstuhlmusik nennen. Es kommt mir so vor, als bräuchte man dafür ein Rezept."

Naja, der Ausflug in ungewohntes Terrain währt nicht mal zweieinhalb Minuten (was eigentlich schade ist) und wird auch gleich vom zweiten neuen Track abgelöst ("Twenty Years"), einem "Essay zum Thema Sterblichkeit und Vergänglichkeit" (Molko). Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel. Doch wenn man genau hinhört, dann das: "There are twenty years to go/ best of all I hope/ enjoy the ride".

Wie hieß es schon im Rolling Stone: "Sie sind clever, sexy, gerissen, antreibend und konsequent unmodern."

Placebo, "Once more with feeling" Singles from 1996-2004 (Virgin/EMI)

1. 36 Degrees 2. Teenage Angst 3. Nancy Boy 4. Bruise Pristine 5. Pure Morning 6. You don't care about us 7. Every you and every me 8. Without you I'm nothing (featuring David Bowie) 9. Taste in Men 10. Slave to the wage 11. Special K 12. Black Eyed 13. The Bitter End 14. This Picture 15. Special Needs 16. English Summer Rain 17. Protège moi 18. I do 19. Twenty Years

Die limitierte Auflage der Geburtstags-Sammlung umfasst zudem zehn Remixe von "Special K" über "Slave to the Wage" zu "English Summer Rain". Zehn Jahre Placebo in Bildern gibt es bei der gleichnamige DVD mit jeder Menge Videos und Live-Auftritten. Ihren letzten Live-Auftritt bis zum Jahr 2006 geben Placebo am 5. November in der Wembley Arena in London.

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