Meisterschaft:Familientreffen der Dichter und Denker

Lesezeit: 5 min

Die besten Poetry-Slammer Bayerns ermitteln am Wochenende in Erlangen ihre Meister - die SZ stellt fünf Titelanwärter vor

Von Janna Wolf, Erlangen

Die Zeit läuft, sobald das erste Wort auf der Bühne gesprochen ist. Genau sechs Minuten hat der Poet Zeit, um mit Worten zu verzaubern und jene Wörterschlacht zu führen, die beim Poetry Slam schon im Namen steckt. Ist die Zeit abgelaufen, wird dem Künstler das Mikrofon abgenommen, ganz egal, ob das Stück fertig ist oder nicht. So streng werden die Regeln im Poetry Slam nicht immer verfolgt, wohl aber bei den Bayerischen Meisterschaften, dem Bayernslam, der dieses Jahr in Erlangen ausgetragen wird. Für ein Wochenende wird die mittelfränkische Universitätsstadt zum Slam-Zentrum. Im E-Werk und in der Heinrich-Lades-Halle finden neun Veranstaltungen statt, neben der regulären Meisterschaft auch ein Wettbewerb für U 20-Poetry-Slammer. "Im Prinzip ist es ein Festival", sagt Katharina Mock, die den Wettbewerb gemeinsam mit Lucas Fassnacht organisiert.

27 Poetry Slammer kämpfen um den Meistertitel. Am Freitag gehen zunächst drei Halbfinalrunden über die Bühne. Jeweils die drei Bestplatzierten schaffen es ins Finale am Samstag. Die Veranstalter erwarten allein an diesem Abend 900 Zuschauer. Wer gewinnt, darf sich Bayerischer Meister im Poetry Slam nennen und an den Deutschen Meisterschaften in Berlin teilnehmen. Trotzdem möchte Katharina Mock nicht von einem Konkurrenzkampf reden - sie nennt den Wettbewerb "Familientreffen". Passend dazu bezeichnet sich die Slam-Szene in Deutschland selbst als "Slamily". "Es gibt keinen Verein oder Verband, wir sind ganz stark persönlich vernetzt und befreundet", sagt Mock.

Und obwohl eigentlich alle im selben Boot sitzen, versucht doch jeder, sich von den anderen abzugrenzen und alles irgendwie anders zu machen: neue Themen, neue Stilmittel, neue Gesten, neue Pointen. Bei aller Vielfalt und Individualität gibt es dennoch bestimmte Typen, die immer wieder erkennbar werden:

Die Sinnpredigerin

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Liebe, Freundschaft, Familie - Sinnprediger sprechen die ernsten Themen an. Es sind traurige Geschichten oder wütende Appelle, doch in diesen Texten steckt mehr - Botschaften, die berühren, und Stoff, der nachdenken lässt, noch lange nach der Veranstaltung. Solche Stücke schreibt Ezgi Zengin. Emotional, vor allem jedoch schonungslos ehrlich. Authentizität ist der jungen Künstlerin wichtig. Sie ist Sinnpredigerin aus Überzeugung. "Ich glaube, wenn wir auf der Bühne stehen und dieses Sprachrohr haben, dann können wir auch ernstere Themen anschlagen. Nur zum Lachen, da können die Leute auch in einen Comedy-Club gehen", sagt die 23-Jährige. In Wettbewerben sei es allerdings oft schwer, sich gegen lustige Texte durchzusetzen. Selbst ein solches Stück zu schreiben, kam ihr trotzdem nie in den Sinn: "Das wäre einfach nicht ich." Auch so besitzt Ezgi Zengin eine große Bandbreite an Texten und Themen, beschäftigt sich mit Frauenrechten und Rassismus. Nur selten trägt sie zweimal das gleiche Stück vor. Mit welchem Werk die Lehramtsstudentin aus Augsburg beim Bayernslam auftritt, ist noch nicht entschieden. "Ich überlege, ob ich einen bereits vorhandenen Text nehme oder ob ich vielleicht noch eine neue Idee habe", sagt Zengin. Sie nimmt zum zweiten Mal am Bayernslam teil. Gerne denkt sie an das Vorjahr zurück: "Da war ich schon aufgeregt, aber es war ein schönes Aufgeregtsein."

Der Alltagspoet

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Nach dem Rezept für seine Linsensuppe, die Name und Inhalt eines Textes ist, wurde Steven Mularczyk, der sich auf der Bühne nur Steven nennt, schon öfter gefragt. Das Problem: Dieses Rezept gibt es gar nicht, sondern fällt unter die lyrische Dichtung. Inspiriert wurde der Text jedoch von wahren Begebenheiten. Von einem Geburtstag, bei dem es eben jenes Gericht gab, und dem Kommentar einer Freundin: "Von Linsensuppe muss man doch den ganzen Abend furzen." Von einer alltäglichen Situation zu einem Text - so funktioniert das bei Poetry-Slammern wie Steven. Alltagspoeten betrachten das Bekannte aus einer neuen Perspektive oder würzen es einfach mit einer Prise Humor. Schlussendlich ist das extrem unterhaltsam, denn als Zuhörer ist es leicht, sich mit den Themen zu identifizieren. Neben seinen lustigen Texten zeichnet Steven eine "gewisse Rotzigkeit", wie er es bezeichnet, aus. Sein Humor ist speziell und lässt als dreckig bezeichnen. "Manchmal gibt man alles auf der Bühne, und das Publikum weiß irgendwie nichts mit dir anzufangen", sagt Steven. Oft komme das zum Glück nicht vor. Der Werbetexter aus Bayreuth ist zum zweiten Mal beim Bayernslam dabei. Seine Auftritte sind ungeplant, denn vom Einstudieren hält der 31-Jährige wenig: "Wenn ich allein im Zimmer steh' und meinen Text lese, fühle ich mich immer so dämlich." Zum Üben nutze er einfach seine vielen Auftritte.

Die Bildermalerin

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"Die Welt ist ein Nachtfalter. Wir schlagen die Lider, wir wirbeln nur Staub auf, hier landen wir nicht." Diese Verse von Pauline Füg zeigen, weshalb man sie als Königin der Metaphern bezeichnen kann. Mit ihren Texten malt sie Bilder, fängt Gefühle ein und rührt die Zuhörer so manchmal sogar zu Tränen. Metaphern verwenden viele im Poetry Slam, doch nur Metaphernmeister wie Füg wissen sie richtig einzusetzen. Dabei muss es nicht immer ernst und sinnlich zugehen. Auch in lustigen Stücken können Metaphern eine tolle Wirkung haben: "Ich bin unkonzentrierter als eine Packung Ahoi Brause auf zehn Liter Wasser", reimt beispielsweise Peter Parkster, ebenfalls Starter beim Bayernslam. Füg hält sich lieber an komplexere Themen, beschreibt in ihren Texten besondere Momente und Erlebnisse, oft geht es um zwischenmenschliche Beziehungen. "Ich möchte mit Lyrik zeigen, wie schön Sprache ist, und dadurch die Leute zum Nachdenken bringen", sagt die 35-Jährige. Im vergangenen Jahr hat sie den Bayernslam veranstaltet, dieses Jahr macht sie selbst mit. Die hauptberufliche Künstlerin aus Fürth arbeitet derzeit an mehreren lyrischen Projekten und gibt Workshops für junge Poetry-Slammer. Eine Antwort darauf, woher sie ihre Ideen für die Sprachbilder nimmt, hat sie nicht: "Das passiert einfach, wenn ich schreibe. Das ist wirklich total absurd, ich kann das gar nicht genau erklären."

Der Allrounder

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Bei ihnen weiß man nie, was kommt: Allrounder sind wahre Wundertüten - sie können ernste und lustige Texte, Prosa und Lyrik. Am liebsten wechseln sie noch während eines Abends das Genre, um für maximale Abwechslung und Verwirrung zu sorgen. Doch die Gruppe der Allrounder ist klein - die meisten Poetry-Slammer bleiben lieber bei dem Genre, das ihnen vertraut ist und bei dem sie davon ausgehen, dass sie es gut können. Nicht so Pascal Simon: "Nur auf die Bühne gehen und ein Clown sein möchte ich nicht. Ich möchte aber auch nicht nur ernste Sachen vortragen, sondern eine Mischung aus allem bieten." Bei der Auswahl seiner Texte achtet der 26-Jährige auf die Zuhörer. Er trägt nicht nur vor, was ihnen am ehesten gefallen könnte, sondern auch, was sie gerade vermutlich nicht hören wollen. Denn Kunst muss seiner Meinung nach auch mal provozieren. Zudem spielen die Konkurrenten bei der Textauswahl eine Rolle. "Wenn in meiner Runde fünf lustige Leute sind, dann mach' ich keinen sechsten lustigen Text", sagt Simon. Bei seiner siebten Teilnahme am Bayernslam wird der hauptberufliche Poetry-Slammer aus Erlangen vermutlich ein Prosastück vortragen, denn das ist in letzter Zeit seine bevorzugte Textform: "Bei Lyrik ist es oft so, dass man den indirekten Weg wählt um etwas zu erzählen. In letzter Zeit möchte ich viele klare Botschaften senden, und das geht mit Prosa einfach besser."

Die Performerin

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Mit großen Gesten stehen sie auf der Bühne. In einem Moment brüllen sie ins Mikrofon, im nächsten imitieren sie die brechende Stimme einer alten Frau. Ein Text ist nur so gut wie die Performance dazu - das ist das Motto vieler Bühnenkünstler, und es scheint zu funktionieren. Poetry-Slammer wie Yannik Sellmann haben mit dieser Strategie viele Wettbewerbe gewonnen. Die 22-jährige Teresa Reichl kann trotz ihres jungen Alters schon auf einige Erfolge zurückblicken. 2016 gewann sie die bayerische U 20-Meisterschaft, seitdem hat sie zwei Mal am Bayernslam teilgenommen. "Es gibt Künstler, die Texte schreiben, die gelesen genausogut funktionieren, wie wenn sie vorgetragen werden. Das bewundere ich sehr, aber das kann ich nicht", sagt Reichl. "Ich fuchtel gern rum." Dabei wird das ihrem Auftritt kaum gerecht. Die Regensburgerin studiert ihre Performance vor dem Spiegel ein, und das merkt man. Nichts wirkt übertrieben, jede Geste ist an der richtigen Stelle und verstärkt die Wirkung des Textes - meistens werden ihre Geschichten dadurch noch lustiger. "Ich sehe mich eher als Unterhalterin, statt als großartige Künstlerin", sagt die Studentin. Mit dem Stück beim Bayernslam möchte Reichl ihren Zuhörern allerdings auch etwas zum Nachdenken mitgeben: "Das ist mein erster Text, der nicht durchgängig witzig ist und der etwas mit mir als Person zu tun hat, was mich noch nervöser macht."

Bayernslam , Freitag und Sa mstag, 17. und 18. Mai, Erlangen, E-Werk und Heinrich-Lades-Halle, mehr Infos unter www.bayernslam2019.de

© SZ vom 17.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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