Landschaftsarchitektur:Unwiderstehlich

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Das Berliner Atelier Loidl gestaltet Parks, die Menschen anlocken. Um gutes Design oder originelle Themen geht es dabei gerade nicht. Auf die Atmosphäre kommt es an.

Von Till Briegleb

Natur in der Stadt ist eine sehr disziplinierte Angelegenheit, für die meistens ein Amt verantwortlich ist. Schon was dieses Amt sich für Bezeichnungen ausdenkt für Gruppen verwurzelter Lebewesen, die mit Fotosynthese unsere Atemluft herstellen, erzählt viel über die Degradierung der Pflanzen zum reinen Zweck: Grünzug, Außenanlage, Verkehrsinsel oder Distanzgrün, Begleitgehölz, Böschungsfläche, gestalteter Freiraum oder Erlebnispark - die ganze Flora ist in ihrem Nutzen strikt definiert. Jedes Grün, dass sich gegen behördliche Gängelung versamt, heißt Unkraut und wird ausgerottet.

Der Erfolg von Natur in der Stadt folgt aber merkwürdigerweise ganz anderen Regeln. Grüner Zwischenraum in der steinernen Ordnung braucht eigentlich nur zwei Parameter, um als gelungen erkannt zu werden: Viele Menschen und wenige Verbotsschilder. Dann hat man in der Regel einen Volkspark, diese Schnittmenge aus Wohnzimmer und Urlaub, in dem sich das Sozialgefüge eines Quartiers in seiner ganzen Selbstverständlichkeit abbildet. Und diese selbstverständliche Attraktion eines Ortes für die ganze Gemeinschaft, die kann man - trotz Distanzgrün-Philosophie in den Planungsämtern - dennoch gut planen, das sagen jedenfalls die Landschaftsarchitekten Leonard Grosch, Felix Schwarz und Bernd Joosten.

Ihr Büro, Atelier Loidl, benannt nach ihrem Universitätsprofessor Hans Loidl, der bis zu einem Gehirnschlag 2004 mit Studenten eine offene Planungsgemeinschaft in seiner Charlottenburger Altbauwohnung führte, ist eines der gefragtesten deutschen Architekturbüros, die sich nur mit dem Raum zwischen den Häusern beschäftigen. Von Stars kann man im Grünbereich der Baukultur bis heute nicht sprechen, denn Landschaftsarchitekten entwerfen Flachware, die sich einfach nicht magazintauglich abbilden lässt. Also kennt sie niemand. Aber die Loidls haben von den letzten drei Deutschen Landschaftsarchitekturpreisen zwei gewonnen, für den Bürgerpark Gleisdreieck in Berlin und für die Baakeninsel in der HafenCity in Hamburg. Das macht zumindest in der Branche ein bisschen prominent.

Für die Gestaltung des Baakenparks in der HafenCity in Hamburg hat das Atelier Loidl den Deutschen Landschaftsarchitekturpreis bekommen. (Foto: Leonard Grosch)

Das Interessante an diesem Berliner Büro, das auf zwei Etagen eines Industriehofs in Kreuzberg arbeitet, ist aber gerade nicht das, wofür der Hochbau-Architekt seine Preise gewinnt: das Design. Leonard Grosch, der Entwerfer des Trios, findet, dass es beim Gestalten von Parks nicht "in erster Linie um Fragen der Ästhetik, sondern um die soziale Leistungsfähigkeit von Freiräumen" gehen müsse. Im Gespräch kann er sich sehr spitz über Kollegen äußern, die "krampfhaft" nach "Themen" und "originellen Designs" für ihre Entwürfe suchen, um Wettbewerbe zu gewinnen. Stattdessen formuliert Grosch einen "performativen Ansatz" mit dem Ziel, "städtische Räume voller Leben zu schaffen."

Natürlich gibt es in den ausgezeichneten Projekten von Atelier Loidl auch "Design". Ziegelrote Stahlrohrbegrenzungen etwa, farbige Tartanflächen oder Tribünen aus Cortenstahl-Platten am Gleisdreieck oder einen steilen romantischen Hügel auf der Insel im Hamburger Hafenbecken mit Namen "Himmelsberg". Aber diese Parkmotive folgen keinem Zeitgeschmack im Sinne künstlerischer Selbstverwirklichung. Sie dienen dazu, Menschen anzulocken und mit Fremden in Kontakt zu bringen. Denn, so Grosch: "Öffentliche Räume, die nicht ausdrücklich mit dem Ziel entworfen werden, Menschen anzuziehen und im Alltag intensiv nutzbar zu sein, bleiben öde und leer." Deswegen verfolgt Atelier Loidl eine Form des sozialen Park-Designs, das Wünsche der Besucher erfüllen soll.

Es gibt kein funktionales oder ästhetisches Ideal des Büros. Die Vielfalt ist das Ideal

Das ist nicht immer ganz einfach, wie die schmerzvolle Entwicklung des Parks am Gleisdreieck sie gelehrt hat, wo die aktiven Leute vor Ort das lange verwilderte Gelände des ehemaligen Potsdamer Güterbahnhofs am liebsten ohne jeden Eingriff erhalten hätten. Bei der Kompromissfindung über die zukünftige Gestalt gab es dann auch "Weinen, Schreien, Türenschlagen", wie Felix Schwarz erinnert. "Das hat wehgetan", aber die abwechslungsreiche Anlage zwischen großen Wiesenflächen und weiterhin verwilderten Bereichen ist heute, fünf Jahre nach Eröffnung des letzten Abschnitts, ein echter Volkspark. So einer mit Müttertreff und Brennnesseln, Pollenflug und Graffitis, Skatern, Brombeerhecken, Schmetterlingen, Vandalismus, Lieferando auf die Liegewiesen und babylonischem Sprachgewirr. Und immer voll.

Leonard Grosch hat nach der Fertigstellung des Parks Gleisdreieck ein Buch geschrieben, um sich selbst seiner Prinzipien klar zu werden. Es ist ein Baukastensystem geworden, dass strukturell und soziologisch über das Entwerfen von schönen und lebenswerten Freiräumen nachdenkt. Darin geht es um das "Bedürfnis nach Geschichte", um das "Gerüst" und das "Variable" eines lebendigen Parks, um "Geborgenheit" und "Freiheit" oder die "Mehrfachkodierung" von Orten, also Eingriffe, deren Zweckbestimmung teilweise offen bleibt, sodass Nutzer sich die Verwendung selbst erobern müssen. Kein einziges Bildschmankerl gibt es darin über den guten Gestaltungsgeschmack des Autors.

Denn wie bei der Stadtplanung ist es auch in der Landschaftsarchitektur wichtiger, die sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren einer lebendigen Atmosphäre zu kennen, als schicke Fassaden oder Parkbänke zu zeichnen. Das ist zwar für Auftraggeber nicht immer leicht zu verstehen. Aber die bisherigen Ergebnisse des Ateliers Loidl haben sich als so belebend für die Städte erwiesen, dass sie inzwischen auch die ganze restliche Freiraumplanung der HafenCity entwerfen, große Parks in Leipzig, Lindau und Shenzen, für eine linke Baugenossenschaft in Zürich ebenso ihre Prinzipien anwenden wie beim neuen Hannover Hauptquartier von Continental.

Es existiert eben kein funktionales oder ästhetisches Ideal bei Hans Loidls Erben. Die Vielfalt ist das Ideal, die Organisation eines großen Landschaftsraums in kombinierte Angebote und attraktive Gegensätze. Stille und Extravaganz, Masse und Vereinzelung, Wildes und Übersichtliches, Chaos im Aufräumen zum Zweck gefühlter Freiheit und möglicher Kommunikation. Dieses Büros fühlt sich für die Lyrik verantwortlich in der Stadtprosa, für die Wirkung, die nicht demonstrativ auftritt. Und deswegen muss vor dieser Naturdisziplin auch keiner Angst haben, weder als Baum noch als Mensch. Höchstens vor dem Erfolg dieser Parkidee. Aber das ist das Problem mit aller guten Verführung. Widerstand ist zwecklos.

© SZ vom 16.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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