25. Todestag von John Lennon:Leitfigur mit Widersprüchen

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Am 8. Dezember 1980 wurde John Lennon von einem Geisteskranken erschossen. Doch der Ex-Beatle war mehr als eine Pop-Ikone. Ein Gespräch mit Lennon-Biographin Corinne Ullrich über den politischsten Rock-Star seiner Zeit.

Bernd Oswald

Corinne Ullrich (41) arbeitet als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie hat 2000 die Biographie "John Lennon" verfasst.

Corinne Ullrich (Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: John Lennon trat anfangs als braver unbefleckter Junge auf, hatte aber schon Frau und Kind. Er schlug Frauen. Dann sang er: Give peace a chance. Er gab sich antikapitalistisch, war aber selbst Apple-Unternehmer und Millionär. War John Lennon der widersprüchlichste Star seiner Zeit?

Corinne Ullrich: Widersprüchlich war er auf jeden Fall. Aber jeder Mensch hat Widersprüche. Außerdem muss man allen Menschen Entwicklungen zugestehen. Geprügelt hat John Lennon, als er noch relativ jung war. Danach hat er ein anderes Bewusstsein von Frauenbild und Gewalt entwickelt. Zum Beispiel hat er mit woman is the nigger of the world eines der ersten feministischen Lieder geschrieben. Später hat er sehr stark Gewaltlosigkeit propagiert, nach dem Motto "Gewalt führt zu nichts". Das konnte er aus eigenen Erfahrungen belegen.

sueddeutsche.de: War er wegen oder trotz dieser Widersprüche eine Leitfigur seiner Zeit?

Ullrich: Wegen dieser Widersprüche. Viele Menschen konnten sich damit identifizieren, dass er eine Entwicklung durchmacht. Das ist auch eines der Erfolgsgeheimnisse der Beatles: Sie haben sich entwickelt: von einer Teenie-Band zu einer extrem innovativen ernstzunehmenden experimentellen Band. Die Beatles haben Sachen gemacht, die sich andere nie getraut hätten. Und John Lennon hat sich eben auch weiterentwickelt. Weil er das immer musikalisch reflektiert hat, fanden ihn die Leute extrem vorbildhaft und spannend.

sueddeutsche.de: Von den Beatles hat er sich aber mit zunehmender Dauer wegentwickelt. Man hatte das Gefühl, dass er sich als Gefangener fühlte.

Ullrich: Er hatte sicher das Gefühl, er sei nur noch John Beatle und nicht mehr John Lennon. Seine Identität verschwand hinter dem Image Beatles und hinter dem Anspruch der Fans, wie ein Beatle zu sein habe. Diese Übercharakterisierung hat ihm keinen Raum mehr gelassen, eigene Wege zu gehen. Indem er sich von den Beatles distanziert hat, hatte er wieder die Möglichkeit, eigene Wege zu gehen.

sueddeutsche.de: Wäre er diese eigenen Wege auch ohne Yoko Ono gegangen?

Ullrich: Sie hat sicherlich einen ganz starken Anteil daran gehabt. Sie war aber auch jemand, der für Lennon zur richtigen Zeit kam und den richtigen Nerv getroffen hat.

sueddeutsche.de: Welchen Nerv?

Ullrich: Über Grenzen zu gehen, Dinge auszuprobieren, sich jenseits von Konventionen zu bewegen. Andere Wege wäre er immer gegangen, aber er hat in Yoko Ono eine Partnerin gefunden, die das extrem unterstützt hat und selbst sehr unkonventionell, eigenwillig, auf eine ganz andere Art kreativ war, als er das bisher kannte.

sueddeutsche.de: Unkonventionell waren sicher die Bed-ins nach der Hochzeit mit Yoko Ono. Dabei ließ Lennon den Satz fallen: "Wir haben mehr für den Frieden getan als Queen Elisabeth jemals tun kann?" War John Lennon ein Narziss oder einfach nur ein hoffnungsloser Idealist?

Ullrich: Er war auf jeden Fall ein Idealist, wenn auch ein sehr hoffnungsvoller. Diese Aussage hat sich darauf bezogen, dass Großbritannien zu jener Zeit nicht besonders friedlebend war, sich in diverse Konflike eingemischt und dort auch Krieg geführt hat: zum Beispiel in Biafra. Das war für Lennon 1969 Anlass, seinen Orden Member of the British Empire an den Buckingham Palace zurückzuschicken. Insofern ist der Vergleich mit Queen Elisabeth richtig, denn sie hat nicht so viel für den Frieden getan. John Lennon ist nie mit dem Gewehr in der Hand rumgelaufen, außer im Film, und das war ein Anti-Kriegs-Film.

sueddeutsche.de: Man hat den Eindruck, dass viele von Lennons politischen Aktionen sehr spontan waren und aus einer Laune heraus entsprangen. Tiefer als die Schlagwörter "love and peace" ging es bei Lennon kaum. War John Lennon ein gefühlsbetonter Mensch, der in Wirklichkeit keine oder nur wenig Ahnung von Politik hatte?

Ullrich: Es ging John Lennon nicht um die Lösung der Weltprobleme mit politischen Mitteln. Er hat sich immer für Dinge begeistert und mit Haut und Haaren reingestürzt. Er hat nicht nur "love and peace" gepredigt. Bei den Bed-Ins hat er zehn Stunden im Bett gesessen und den Leuten erzählt, was Frieden heißt und wie er funktionieren kann. Er hat sich selbst als Werbekampgange bezeichnet. "Yoko und ich haben Medienmacht und benutzen diese Macht, um eine Botschaft rüberzubringen." John und Yoko wollten den Leuten klarmachen, dass sie selbst die Macht in den Händen haben und dass der einzelne Mensch in der Lage ist, die Welt zu verändern. Es ging Lennon darum, dass sich der einzelne ändern müsse, um die Welt zu ändern. Ein Ansatz, der sich deckt mit Martin Luther-King und Mahatma Gandhi.

sueddeutsche.de: Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger nahm Lennon viele Drogen. War er gar kein echter Revolutionär oder Revoluzzer, sondern redete unter dem Einfluss von Drogen einfach viel wirres Zeug, wie es das FBI behauptete?

Ullrich: Er hat schon einiges an Drogen genommen, mal mehr, mal weniger. Er war aber nicht permanent zugedröhnt. Wenn die FBI-Leute nicht das Gefühl gehabt hätten, Lennon kann gefährlich werden, die Leute nehmen ihn ernst und er nimmt auch ernst, was er tut, dann hätten sie keinen Grund gehabt, ihn so stark zu überwachen.

sueddeutsche.de: Die Beobachtung durch das FBI provozierte Lennon auch durch sein Engagement gegen den Vietnam-Krieg, auch im Wahljahr 1972. Forderte Lennon mit seinem Anti-Vietnam-Engagement die Regierung Nixon absichtlich heraus oder war er einfach nur naiv?

Ullrich: Beides. 1972 war er in New York und hat sich mit Linksradikalen getroffen und mit denen politische Aktionen gemacht, was nicht ganz zu seinem Friedensengagement passte, weil diese Kreise sich zum Teil auch für Gewalt ausgesprochen haben. Lennon war von diesen Leuten begeistert und hat sich da einspannen lassen. Später hat er diese Phase aber distanzierter betrachtet. Dass ihm das FBI auf die Pelle rückte, ist ihm wohl egal gewesen, auch wenn er anfangs nicht absehen konnte, dass es auch deswegen so schwierig für ihn werden konnte, die Green Card zu bekommen.

sueddeutsche.de: Warum protestierte Lennon meistens im Bett, aber kaum auf der Straße?

Ullrich: Es hat sicher viel mehr Wirkung gehabt, im Bett zu demonstrieren. Das war eine völlig einzigartige Aktion, die viel mehr Aufmerksamkeit erregte, als wenn wieder mal jemand irgendwo auf die Straße gegangen wäre. Im Bett zu demonstrieren ist auch eine extrem friedfertige Art. Wenn alle Leute einen Tag im Bett bleiben würden, gäbe es zumindest einen Tag lang keinen Krieg. In seiner radikaleren Phase 1972/73 hat John Lennon aber auch auf der Straße demonstriert. Power to the people war ein Schlachtruf, den er für Demonstrationen geschrieben hat.

sueddeutsche.de: Wie hat sich sein Image in den 25 Jahren seit seiner Ermordung verändert?

Ullrich: Eine gewisse Art von Mythos entsteht wohl immer, wenn jemand so früh, so plötzlich stirbt. Das Image hat sich gar nicht so verändert. John Lennon war eine facettenreiche Persönlichkeit. Es wurde immer wieder mal der eine, mal der andere Bereich rausgegriffen.

sueddeutsche.de: Taugt John Lennon noch heute als Leitfigur?

Ullrich: Er taugt nach wie vor als Leitfigur. Politisch gesehen, weil er sich eingemischt hat, Position bezogen hat, sehr wach an seiner Umgebung teilgenommen hat. Musikalisch, weil er es sehr gut verstanden hat, sich selbst durch Musik auszudrücken sowohl was politische als auch persönliche Erkenntnisse angeht.

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