Vermögensabgabe:Über Solidarität nachdenken

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Könnten nicht diejenigen, die gut durch die Corona-Pandemie kommen und die ein auskömmliches Leben haben, etwas abgeben für diejenigen, die unter den Folgen hart zu leiden haben?

SZ-Zeichnung: Karin Mihm (Foto: N/A)

Zu "Was gerecht wäre" vom 16./17. Januar:

Fass ohne Boden

Nikolaus Piper schreibt in seinem Beitrag, es gäbe keine Gerechtigkeitslücke, und es gäbe den jahrelang behaupteten Abbau der Sozialleistungen nicht, und von daher bräuchte man keine Vermögensteuer. Stattdessen solle man lieber Google, Amazon und Co. zur Steuer bitten.

Dazu ist Folgendes zu bemerken. Die Sozialleistungsausgaben sind tatsächlich gestiegen, aber man sollte sich ansehen, was das im Einzelnen bedeutet, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Wohnungssektor, wo ich mich ein bisschen auskenne, ist an die Stelle des früheren sozialen Wohnungsbaus die individuelle Wohngeldförderung getreten. Das heißt, statt der Förderung im sozialen Wohnungsbau, die nachhaltig Wohnraum zu akzeptablen Preisen zur Verfügung stellte, wird mein Steuergeld nun einzelnen Wohnungseigentümern in Form von Wohngeld überwiesen, es entsteht kein nachhaltiger Wohnungsbau, und hier übersteigen die Ausgaben tatsächlich alles, was früher in den sozialen Wohnungsbau investiert wurde. Besser aus Sicht der Betroffenen und der Steuerzahler ist dies keineswegs, im Gegenteil, dies ist ein Fass ohne Boden und direkte Folge der marktradikalen Ideologie. Insofern kann man schon von einem Sozialabbau sprechen und davon, dass meine Steuergelder sehr verschwenderisch ausgegeben werden.

Nun zu Google und Co. Ganz klar, eine Besteuerung dieser Giganten wünschen sich alle. Aber wer verhindert denn seit Jahr und Tag, dass da endlich mal gesetzliche Grundlagen geschaffen werden? Verhindern das etwa die Lobbyorganisationen der "Armen"?

Ulrike Capezzone, Geretsried

Gerechtigkeit gibt's nicht

Es ist kein Mythos, dass die aktuelle Pandemie nicht gerecht ist: Es trifft Familien im Homeoffice, mit Homeschooling und Kurzarbeitergeld sicher härter als viele der vom Autor so bedauerten "Reichen". Eine Gerechtigkeit für alle ist nirgendwo erreichbar, und der alte Klassenkampf mit Begriffen wie "Krisengewinner" wird genauso wenig weiterhelfen wie "Neidsteuer". Es hilft auch nicht weiter, wenn statische Zahlen nachweisen sollen, dass Sozialabbau und Ungerechtigkeit in Deutschland nicht zugenommen hätten. Es ist toll, wenn die Wohnung nicht gekündigt werden kann, weil jemand vom Kurzarbeitergeld die Miete nicht bezahlen kann, aber er wird die ausstehende Miete vom Mindestlohn auch nicht nachzahlen können, wenn die Kurzarbeit beendet ist.

Wenn es schon keine Gerechtigkeit geben kann, dann sollte man mal über Solidarität nachdenken. Ich denke, dass der Wirt, der seine Kneipe nicht öffnen darf, oder der Künstler, der nicht auftreten darf, große Solidaritätsbeiträge leisten, weil sie wesentlich dazu beitragen, (egal ob freiwillig oder unfreiwillig), dass das Virus nicht weiter verbreitet wird. Und hinterher sind sie pleite. Wäre es dann nicht fair, wenn sich die, die durch diese Pandemie außer ein paar Komforteinschränkungen keine wesentlichen Nachteile haben, finanziell solidarisch zeigen würden?

Ich würde mir einen Fonds vorstellen, in den alle von einer auskömmlichen Einkommensgrenze an einen angemessenen Zuschlag auf ihre Einkommensteuer einzahlen, der dann den von der Pandemie besonders hart betroffenen Mitmenschen hilft. Ein wesentlicher Zuschlag dazu könnte dabei auch noch von Google, Amazon und Co. kommen. Ich bin davon überzeugt, dass eine lebenswerte Gesellschaft Solidarität und sozialen Ausgleich benötigt.

Peter Baumann, Laufen

Einseitiges Plädoyer

Nie ging es den Menschen besser als den Nachkriegsgenerationen: kein Krieg, keine Katastrophen, wirtschaftlicher Wohlstand, gesicherter Rechtsstaat. Corona ist die erste echte Herausforderung. Nun werden Vorschläge laut, die wirtschaftlich Starken sollten deshalb einmalig die Schwächeren entlasten. Hat etwas mit Solidarität, Gemeinsinn und Zusammenleben zu tun. Wie die "Reichen" darüber denken, weiß man nicht. Sicher kann man jedoch sein, dass immer dann, wenn es an die Töpfe der Milliardäre geht, sofort Nikolaus Piper mit einem einseitigen Plädoyer diese Forderungen geißelt: Das würde uns alle ruinieren, denn reflexhafte Feindbilder schaffen durch Denunziation der Reichen zwangsläufig Kapitalflucht, Krisenverschärfung, Verluste, Risiko für Arbeitsplätze, und so weiter.

Dass die Milliardäre in einem Jahr um 95 Milliarden reicher wurden, sei durch deren vorausschauende Investitionen gerechtfertigt. Warum der weitaus ärmere Bevölkerungsanteil dies nicht einmal versuchen kann, hat Piper nie beschäftigt. Ebenso wenig, warum das Immobilienvermögen nicht breit gestreut ist. Ebenso wenig steht in naher Zukunft die internationale Einigung, die Steuerlöcher für Amazon & Co. zu schließen.

Udo Fiedler, Waldmünchen

Für eine andere Normalität

In sich mag die Argumentation ja schlüssig wirken. Sie offenbart aber eine sehr beschränkte, klassisch neoliberale Sichtweise. Mit den klassischen Totschlagargumenten "Kapitalflucht", "in der Rezession erhöht man keine Abgaben", "man muss nur richtig investieren" wird ein fröhliches "Weiter so" propagiert. Warum wohl muss der Staat mit immer mehr Sozialleistungen die wachsende Kluft abfedern? Warum wohl ist die Theorie, wonach der Reichtum oben auch nach unten in die breite Masse tröpfelt, nur in einer kurzen Phase wirkungsvoll? Schlichtweg, weil das Sieb verstopft durch allzu menschliche Eigenschaften: Machtgier, Egoismen, Selbstbetrug, um nicht zu sagen Dummheit. Müssen Hybrid-SUVs mit mehr als 200 PS gefördert werden? Ich habe noch nie gesehen, dass Kapital arbeitet - aber viele arbeitende Menschen. Warum haben so wenige Immobilienbesitz? Weil sie von vorneherein keine Chance haben, ohne Erbe oder fundierte Bildungsunterstützung oder auch das berühmte Vitamin B.

Es gibt viele kluge Leute, auch lebenskluge Menschen, die Antworten und Konzepte haben. Innerhalb der Zivilgesellschaft zum Beispiel die Gemeinwohlökonomie, die Jugend in "Fridays for future", in den NGOs. Soll es denn weiter so gehen, dass das Risiko der Staat trägt, die Gewinne aber vom Kapital eingefahren werden? Der Staat muss als Grundlage jedes Wirtschaftens die Kontrolle bewahren können. Der Markt regelt sich keineswegs selbst, sondern ist auch parasitär. Denn die wahren Kosten werden nicht kalkuliert: Was kostet es an Ressourcen und Natur, was kostet es an menschlichem Kapital, was kostet es an Reparaturleistungen? Diese muss ja nicht ich tragen, das machen schon die anderen: andere Schichten, andere Kontinente, andere Generationen. Also nutzen wir die große Krise, um nicht zurück zu einer Zombie-Normalität zu gehen, sondern eine neue zu gestalten. Und dazu gehört auch, dass Risiken und Lasten fairer verteilt werden.

Dr. Bernd Magenau, Ruhpolding

Neue Ideen fehlen

Die ökonomischen Argumente des Ifo-Instituts gegen eine Vermögensabgabe kann ich nachvollziehen, auch die Problematik, was "gerecht" ist, wie sie der Autor darstellt. Was aber bleibt, ist, dass wir in einer Gesellschaft leben mit sehr wohlhabenden Menschen, mit Unternehmen, die kaum Steuern zahlen auf der einen Seite, und andererseits Menschen, die lediglich einen Mindestlohn erhalten, einem 450- Euro-Job nachgehen oder Harz IV erhalten. Was mir in diesem Beitrag fehlt, sind Ideen, vielleicht auch nur in kleinen Schritten, die dazu beitragen, wie alle Menschen, ob reich oder arm, mit ihren Möglichkeiten helfen können, eine bessere Welt zu gestalten.

Peter Lindlacher, Staudach/Chiemgau

© SZ vom 06.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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