Streik im öffentlichen Dienst:Muss das jetzt sein!

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Die Arbeitsniederlegung von Bediensteten im öffentlichen Nahverkehr hat Kunden hart getroffen. Einige Leserinnen und Leser haben zwar Verständnis für den Wunsch nach mehr Lohn, viele finden aber Zeitpunkt und Höhe der Forderungen unpassend.

"Ohne uns kein Verkehr": Mitarbeiter der Münchner Verkehrsgesellschaft mit Banner beim Warnstreik Mitte Oktober. (Foto: dpa)

Zu " Geld für die Corona-Helden" vom 26. Oktober, "Von wegen Solidarität" vom 22. Oktober und " Wir sind dran", 16. Oktober:

Überzogenes Muskelspiel

München hat jetzt den dritten "Warn"-Streik des öffentlichen Nahverkehrs in kürzester Zeit erlebt, und das noch vor Aufnahme konkreter Gespräche. Das zeigt vor allem das generelle Dilemma von Streiks im Öffentlichen Dienst: Er geht ausschließlich zu Lasten der Bevölkerung, die an den Beschäftigungsbedingungen nichts ändern kann und deshalb zwangsweise instrumentalisiert wird. Die Arbeitgeber, die etwas tun müssten, "leiden" unter dem Streik dagegen nicht.

Immer dabei ist auch München, denn da trifft es ja so richtig viele. Dieses Zeichen zu setzen, scheint den Streik-Organisatoren wichtiger zu sein, als an die getroffene Bevölkerung zu denken. Es geht ja um die Gewerkschaftsinteressen, da müssen öffentliche Interessen eben zurückstehen. Vom Ausmaß her war das schon beim ersten Mal kein "Warn"-Streik mehr, als meines Wissens alle U-Bahnen und praktisch alle Busse und Tramlinien von Betriebsbeginn bis 18 Uhr betroffen waren - und das, obwohl die eigentlichen Tarifgespräche nicht begonnen haben!

Ja ich weiß, es fehlte bislang das Angebot der Arbeitgeber - aber das sind wir MVV-Nutzer nicht. Das war und ist also von Anfang an ein verkappter regulärer Streik, der nicht mehr "warnt", sondern massiv (die Falschen) behindert und einschränkt. Die Einigung im Öffentlichen Dienst vom Sonntag gilt leider nicht für den ÖPNV, jedenfalls nicht bei uns. Also verursacht Verdi in München wieder wie angedroht Chaos.

Sinnvoll und mehr als nur eine gute Geste wäre gewesen, angesichts der Einigung für einige Sektoren diesen dritten Ausstand jetzt erst mal auszusetzen und lieber konkret auf eine gemeinsame Lösung hin zu arbeiten - aber nein, das kommt nicht in Frage. Das Verkehrschaos auf den Straßen kennen wir schon von den letzten Malen, Umwelt und andere Aspekte spielen für Verdi offensichtlich keine Rolle.

Mein Eindruck: Der neue Verdi-Chef Frank II. Werneke meint offenbar Muskeln zeigen zu müssen (weil er dafür Beifall aus eigenen Reihen bekommt) und will sich als noch härterer Hund als Frank I. Bsirske geben, zu Lasten der Allgemeinheit. Das erinnert mich an die egoistische Starrköpfigkeit von Claus Weselsky, der seine GDL beim Eisenbahnerstreik auch in erster Linie zum gewerkschaftseigenen Nutzen vor sich hertrieb. Welche Schäden und Verwerfungen das außerhalb von Verdi verursacht, ist für die Verantwortlichen offenbar nebensächlich. Ich dürfte längst nicht der Einzige sein, den dieses nicht mehr verständliche Verhalten massiv ärgert, und der den Sinn solcher Maßnahmen bezweifelt.

Friedrich-Karl Bruhns, München

Kunden werden bestraft

Vor 100 Jahren waren Gewerkschaften ganz sicher erforderlich, aber heutzutage nutzt vor allem Verdi nur ihre Macht zu Erpressungsversuchen. Aus meiner Sicht ist das Angebot der Arbeitgeber sehr fair, zumal man die sehr sicheren Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst berücksichtigen muss. Jedenfalls dürfen nicht wieder die Kunden bestraft werden, die das Ganze mit ihren Steuergeldern finanzieren!

Wolfgang Meyer, Memmingen

In Beschäftigte investieren

Die Gewerkschaft Verdi hatte den Arbeitgebern angeboten, die Tarifauseinandersetzung wegen der Corona-Belastungen um ein Jahr zu verschieben. Darauf sind die Arbeitgeber nicht eingegangen. In zwei Tarifrunden haben die Arbeitgeber kein Angebot für einen Tarifabschluss gemacht, mit dem sie den Tarifkampf hätten verkürzen können. Dass dann die Gewerkschaft ihre Beschäftigten zum Streik auffordert, gehört zur Tarifauseinandersetzung und ist nicht unsolidarisch. Die Arbeitgeber hatten es in der Hand, das durch ein vernünftiges Angebot zu verhindern.

Wenn die Bundesregierung als ein Teil der Arbeitgeber in der aktuellen Tarifauseinandersetzung Milliarden an Unternehmen zu zahlen bereit ist, die mit diesem Geld ihre Unternehmen rationalisieren und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen (siehe Lufthansa), wäre es da nicht sinnvoller, weil nachhaltiger, in die eigenen Beschäftigten zu investieren, um über eine deutliche Lohnerhöhung die Kaufkraft zu stärken und damit der Wirtschaft und ihrem Umsatz zu dienen?

Fritz Junkers, Moers

Spaltung der Arbeitnehmer

Ich halte es für einen großen Skandal, dass die Gewerkschaft Verdi mit Arbeitskämpfen Steuergelder für ihre Klientel abzweigt. Das Einkommen anderer Arbeitnehmer muss voll erwirtschaftet werden. Sie sind in diesen Zeiten von Kurzarbeit und Kündigungen bedroht. Der Öffentliche Dienst hat sichere Arbeitsplätze und sichere Einkommen. Verdi hätte meinen Respekt, wenn sie für die Einkommen der Gesundheits- und Pflegedienst-Mitarbeiter streiten würde und ansonsten eine andere Verwendung der Steuergelder unterstützen würde, etwa für Schulen und Lehrmaterial. So setzt Verdi ihre Macht ein, um Arbeitnehmer in zwei Kategorien zu spalten und die immer verbal so bemühte Solidarität zu verraten.

Alfred Preuß, Lychen

Montagsstreiks sind Zumutung

Ich bin niedergelassene Frauenärztin in München und mein Team und ich halten seit dem Frühjahr unseren Kopf hin und riskieren täglich unsere Gesundheit, um alle, aber auch die Kollegen im Öffentlichen Dienst, insbesondere auch die schwangeren Kolleginnen und deren ungeborene Kinder, optimal zu versorgen. Und auch ich muss voraussichtlich herbe Einkommenseinbußen hinnehmen durch Lockdown etc. bei gleichbleibenden Kosten. Trotzdem sperren wir jeden Tag auf. Durch den Streik zur Unzeit (!) machen die Arbeitnehmer im öffentlichen Nahverkehr mir dies aber fast unmöglich, da meine Mitarbeiterinnen auf den MVV angewiesen sind. Ich fand schon den ersten Streik in München hinterfragenswert, aber das erneute komplette Lahmlegen an einem Montag empfinde ich als bodenlose Zumutung. Montags kommen die Patienten mit Beschwerden am Wochenende - das verhindert der Streik.

Dr. Eva Jung, München

Anerkennung ist Verdienst

Ich möchte Herrn Piper zu seinem Kommentar "Von wegen Solidarität" schon fragen, wann die Zeiten jemals gut genug waren, den Beschäftigten in den Pflegeberufen und anderen im Öffentlichen Dienst Beschäftigten die Anerkennung und die Bezahlung zu gewähren, die sie verdienen. Geradezu lachhaft finde ich, dass er von mangelnder Solidarität redet, wo in den vergangenen 30 Jahren die Entsolidarisierung der Gesellschaft auch unter kräftiger Mithilfe der Wirtschaft vorangetrieben wurde!

Ulrike Capezzone, Geretsried

Kein Lohnplus bei null Teuerung

Die gegenwärtige Forderung der Gewerkschaft nach mehr Geld ist ungerechtfertigt. Die Teuerung ist null, so dass eine Lohnerhöhung höchstens mit dauerhaft erhöhter, verbesserter oder sonstwie qualifizierterer Arbeitsleistung begründet werden könnte. Die liegt aber nicht vor. Die Arbeitnehmer haben also kein Recht, ihre Vermögenslage im Gesamtgefüge der Löhne, Verdienste und Einkommen aller abhängig Beschäftigten zu Lasten der Allgemeinheit aufzubessern.

Claus Plantiko, Bonn

Ein Streik muss wehtun

Es ist ja schon Standard, dass man, wenn man darauf hinweisen will, dass eine Forderung unbequem ist, unfairerweise an die Moral appelliert. Aber selbstverständlich macht ein Streik nur dann Sinn, wenn er "wehtut". Die Demonstranten von "Fridays for Future" etwa wären auch nicht beachtet worden, wenn sie am Wochenende gestreikt hätten. Das Traurige ist, dass offensichtlich die "Helden" von Corona wie zum Beispiel die Krankenschwestern mit wenig mehr als billigem Applaus abgespeist werden sollen, obwohl damals beteuert wurde, wie "wertvoll ihre Hilfe" und wie systemrelevant sie doch als Berufsstand seien.

Ich, der ich während meines Berufslebens davon profitiert habe, dass Gewerkschaften Forderungen durchgesetzt haben - auch gegen den Willen der Arbeitgeber - verstehe sehr gut, dass auch andere Berufsgruppen ihre Forderungen durchsetzen wollen. Wenn dadurch mal wieder auffällt, dass das Gesundheitswesen nicht gewinnorientiert aufgestellt werden kann, umso besser.

Erich Würth, München

© SZ vom 30.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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