Peter Scholze:Wie ein Alien aus dem All

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Dem Fields-Preisträger Peter Scholze schlug so viel Bewunderung entgegen, als sei er ein Außerirdischer. Das zeigt: Viele Menschen haben Berührungsängste mit Mathematik. Auch die Leser fragen sich, warum das noch immer so ist.

Der Dresdner Peter Scholze bekam die Fields-Medaille. Die Auszeichnung gilt als „Nobelpreis für Mathematik". (Foto: Volker Lannert/AFP)

" Durchblick im Zahlendschungel" vom 2. August, " Sinus und Sinnlichkeit" vom 4./5. August sowie weitere Artikel, die sich mit dem Mathematiker Peter Scholze befassen:

Manche lernen es nie

Der Hinweis auf die angeblich hoch gebildeten Mitmenschen, die stolz darauf sind, von Mathematik nichts zu verstehen, ist nur zu berechtigt, und zwar, seit es Mathematik gibt. Ich hatte öfter Gelegenheit, diese lächerliche Hochnäsigkeit an Juristen zu beobachten; diese pflegen ihr berufsbedingt selbstverständlich messerscharflogisches Denkvermögen darauf zurückzuführen, dass sie in der Schule Latein gelernt haben. Den zu diesem Phänomen passenden Kommentar hat Christian Morgenstern geliefert: "... weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf". Mit der Mathematik ist es halt schon in hohem Maße so wie mit dem Klavierspielen: Manche können es von klein auf, andere lernen es nie. Es kann nicht nur an den Lehrern liegen, wenn Mathe für manche Schüler ein Albtraum ist. Aber die meisten "Mathe-Ignoranten" sind klug genug, auf ihr Unvermögen nicht auch noch stolz zu sein. Wer imstande ist, wirklich logisch zu denken, wird sich darauf berufen, dass Mathe eben Tücken hat, die nicht jedermanns Sache sind. Letztere Tatsache demonstriert Patrick Illinger in seinem Artikel versehentlich selbst: Das Beispiel mit der Wurzel aus a ist nur zur Hälfte richtig, weil die Zahl, deren Quadrat die (positive) Zahl a ergibt, natürlich sowohl positiv als auch negativ sein kann.

Prof. Ernst Terhardt, München

Etwas Faszination

Dieser Kommentar trifft den Nagel auf den Kopf - schließlich ist Mathematik keine in sich abgekapselte Geheimwissenschaft, sondern tangiert nahezu sämtliche Lebensbereiche, ohne dass sich die meisten Menschen dessen bewusst sind. Das gilt natürlich auch für die Kultur und insbesondere die Musik, die letztendlich nichts anderes ist als angewandte Trigonometrie. Länge der Gegenkathete geteilt durch Länge der Hypotenuse gleich Sinus: Auf dieser simplen mathematischen Formel basieren sämtliche Schallereignisse und somit auch sämtliche Musikwerke, die die Menschheit je hervorgebracht hat. Auch die Malerei wäre ohne die Sinusformel undenkbar, nur dass hier ein subtraktives Prinzip zugrunde liegt (Absorption) und kein additives. Ich selber war nie sonderlich gut in Mathe, aber solche und andere Zusammenhänge haben schon etwas Faszinierendes.

Jürgen Ahrens, München

Nicht angeboren

Ich teile Ihre Euphorie über die beeindruckenden akademischen Leistungen des zweiten Deutschen Field-Medaillisten Peter Scholze. In Ihren Artikeln sprechen Sie von einem "Mathematik-Genie", der in den Vorlesungen nicht mitschreiben musste, weil er den Stoff sofort durchdrang. Sein Doktorvater attestiert ihm das "Mathematik-Gen", womit man Mathematik scheinbar mühelos versteht. Mit Ihrer Berichterstattung über den Bonner Mathematiker setzen Sie leider eine lange Geschichte fort, in der mathematische Fähigkeiten als angeboren dargestellt werden, in der Durchhaltevermögen und Frustrationstoleranz keine merkliche Rolle spielen. Am besten wird dieser Mythos durch den Film "Good Will Hunting" auf den Punkt gebracht. Der Protagonist, gespielt von Matt Damon, löst praktisch ohne mathematische Vorkenntnisse komplexe Probleme im Vorbeigehen, während es für den Rest hoffnungslos ist. Selbstverständlich zeigen schon Kleinkinder unterschiedliche Begabungen für mathematisches Denken. Jedoch wird man mit der Reduktion der Leistung auf "Talent", "Genie" und "Gen" - eine Art biologische Begründung der Leistung die Unabhängigkeit von harter Arbeit - weder Peter Scholze noch der Realität akademischer Errungenschaften gerecht. Das ist tragisch, denn sie bestärkt diejenigen, die eh schon glauben, "Mathematik verstehen sie einfach nicht".

Peter Scholzes großes Jugendvorbild war der Brite Andrew Wiles, der Fermats letzten Satz 1994 bewies. Wiles schrieb, dass der Feind, gegen den er am stärksten kämpft, "die Art von Botschaft ist, die zum Beispiel durch den Film 'Good Will Hunting' verbreitet wird. Denn Mathematik sei hart, egal für wen - selbst für das "Mathematik-Genie" Peter Scholze.

Benedict Probst, Cambridge/Großbritannien

Mehr Aufklärungsbedarf

Herzlichen Glückwunsch an das Genie Peter Scholze! Trotzdem bleiben Fragen. Wie so viele verfüge ich leider nur über ein mathematisches Halbwissen. Ich meine zu wissen, dass Fortschritte in der Mathematik auf Basis der natürlichen, rationalen, reellen und komplexen Zahlen unerlässlich sind. Algebra, Geometrie, Funktionentheorie, Differentialgleichungen in ihrer komplexen Form, Vektoranalysis, Differentialgeometrie, Gruppentheorie und vieles andere mehr sind notwendige und förderungswürdige Forschungsgebiete. Die Verleihung der Fields-Medaille für Fortschritte in der Forschung über partielle Differentialgleichungen habe ich sofort verstanden. Die Entwicklung der natürlichen Zahlen in eine Potenzreihe oder Laurentreihe auf Basis Primzahlen entwickeln und darüber eine Mathematik entwerfen, was ist das? Kann man Primzahlen vielleicht als Glückszahlen ansehen? Ist das nicht Esoterik? Was steckt dahinter ? Hier besteht aus meiner Sicht Aufklärungsbedarf, jedenfalls für mich. In der Physik gilt: Theorien, die durch das Experiment weder belegt noch widerlegt werden können, gehören nicht zur Wissenschaft der Physik. Peter Scholze sagt, die Mathematik existiere unabhängig vom Menschen und kann durch Nachdenken erforscht werden. Wenn ich jedoch die natürlichen Zahlen durch eine Reihenentwicklung auf Basis Primzahlen darstelle und darüber eine Mathematik mache, vielleicht ist diese Mathematik doch menschengemacht, vielleicht auf Basis Glückszahlen? Ich bin sicher, ich habe es nicht verstanden. Wer hilft mir?

Dr. Lothar Sowa , Rohrenfels

Definitionssache

Die Würdigung von Peter Scholze ist aus mehreren Gründen sehr ärgerlich. Zum einen erschöpfen sich beide Artikel im "Atmosphärischen", soll heißen, sie erzählen viel über den netten Menschen, aber nur sehr wenig über die geleistete Arbeit. Zum anderen wird das Wort "Rechenkünstler" beziehungsweise "Rechenzauberer" benutzt. Wenn Mathematik eines nicht ist, dann ist es Rechnen! Sie hätten eine gute Gelegenheit gehabt, hier dem interessierten Leser, auch dem Mathematiklaien, ein spannendes Gebiet vorzustellen. Leider wurde das verpasst. "Ach, mit Zahlen habe ich es nicht so!" Wie oft gab es darüber Artikel, dass "die Deutschen" es sich so einfach machen, wenn sie nichts mit Mathematik zu tun haben wollen. Vielleicht liegt es ja auch an derartigen "Würdigungen", wenn man damit hausieren gehen kann.

Peter Siemon , Dortmund

Offene Fragen

In Mathematik-Kreisen wurde schon erwartet, dass Peter Scholze die Fields-Medaille gewinnt. Der Autor hat nicht erwähnt, dass die Medaille nur Mathematikern, die nicht älter als 40 Jahre sind, verliehen wird. Bis jetzt haben sie nur zwei Deutsche bekommen, aber es ist auffallend, dass viele Russen und auch Franzosen Gewinner waren. Gibt es dort besondere Lernmethoden? Die andere Frage wäre, wieso es so wenige Frauen gibt? Die im vergangenen Jahr verstorbene Maryam Mirzrakhani war die erste und bis jetzt die einzige Frau, die die Fields-Medaille 2014 gewonnen hat. Es gibt zwei Frauen, die 2012 den Henri-Poincare-Preis gewonnen haben: Sylvia Serfaty und Nalini Anantharaman, Claire Voisin, die 2017 den Shaw-Preis und Laure Saint-Raymond, die den Fermat-Preis 2015 gewonnen hat. Nicht alle Mathematiker sind an den Universitäten tätig. Wer weiß, dass zum Beispiel Michael Freedman, der die Fields-Medaille 1986 gewonnen hat, die Microsoft- Station Q leitet? Cédric Villani ist als Abgeordneter im Parlament politisch aktiv und gleichzeitig berät er Präsident Emmanuel Macron. Pierre-Louis Lions (Fields-Medaille 1994) ist Präsident des Wissenschaftsrates von France Telecom. Mathematik ist normalerweise an sich ziemlich ereignislos, läuft unspektakulär im Hintergrund vor sich hin, bis ein Mathematiker wie Grigori Perelman eine "Bombe" platzen lässt. Eine solche "Sensation" passiert natürlich nicht sehr oft, dass ein Mathematiker wie er die Fields-Medaille ablehnt und einfach aus der Öffentlichkeit verschwindet.

Igor Fodor, München

© SZ vom 16.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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