Kieferorthopädie:Generation Spange

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Sind die vielen kieferorthopädischen Behandlungen in Deutschland tatsächlich in erster Linie kosmetischer Natur und bringen aus medizinischer Sicht gar nichts oder nur sehr wenig? Diese Leser bezweifeln das - aus verschiedenen Gründen.

Ist Kieferorthopädie Luxus oder medizinisch notwendig? Ein Junge auf dem Behandlungsstuhl. (Foto: imago stock&people)

" Zwischen Schönheit und Schaden" und " Stufe um Stufe" vom 4. Januar:

Schöner und gesünder

Mit Interesse und etwas Verzweiflung habe ich Ihren Artikel über die Kieferorthopädie gelesen und möchte hierzu als nicht kieferorthopädisch tätiger Zahnarzt eine fachlich-objektive Stellungnahme abgeben: Es ist richtig, dass das Sozialgesetzbuch V eine kieferorthopädische Behandlung von Kindern und Jugendlichen nur dann vorsieht, wenn der Ausgangszustand das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Dies wird heute bereits durch Anwendung sogenannter kieferorthopädischer Indikationsgruppen (KIG) relativ streng bewertet, und hierdurch werden vielfach Behandlungen auch von der gesetzlichen Kasse abgelehnt. Allerdings hat der Gesetzgeber bislang außer Acht gelassen, dass die gerade Stellung der Zähne und ihr physiologischer Zusammengriff einen wichtigen Faktor der Prophylaxe darstellt, da gerade Zähne ein Leben lang einfacher gepflegt werden können und somit später erheblich weniger Kosten verursachen werden. Die "Generation Spange" wird die Kassen in Zukunft wenig Geld kosten, und die resultierenden schöneren Zähne sind nur ein angenehmer, aber unwichtiger Nebeneffekt.

Dr. Ralph Bitter, Lichtenau

Die falschen Schuldigen

Er wolle nicht, so Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom März 2003, dass "man den sozialen Status von Menschen an den Zähnen ablesen kann". Wahr ist, dass in den allermeisten Fällen einer kieferorthopädischen Behandlung rein kosmetische Aspekte im Vordergrund stehen. In diesem Zusammenhang zwei Ausnahmen wie Franck Ribéry oder Fernandel aufzuführen, ist ethisch bedenklich. Die beiden Faktoren gutes Aussehen und Erfolg im Job korrelieren (leider) miteinander. Die Frage, die sich folglich stellt, ist: Muss es Kassenleistung sein? Nur jeder 30. kieferorthopädische Behandlungsplan - hier sind die Kosten jeweils vierstellig - wird gutachterlich auf Notwendigkeit beurteilt. Zum Vergleich: Jede Neuverordnung von Cannabis bei schwer kranken Patienten auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen durchläuft einen in meinen Augen absurden Beurteilungsprozess, hier belaufen sich die Kosten pro Rezept auf etwa 300 Euro. Werner Bartens sucht in seinem Kommentar meines Erachtens die Schuldigen an der falschen Stelle, möge er sich doch in Zukunft an den Gemeinsamen Bundesausschuss wenden, anstatt eine Facharztdisziplin in Misskredit zu bringen.

Dr. Ulf Weymann, Gunzenhausen

Bewertungsschema überarbeiten

Das erhöhte Bedürfnis nach geraden und schönen Zähnen hat sich in der Bevölkerung vielfach auf die Gestaltung der sechs Frontzähne konzentriert. Wesentliche medizinische Aspekte erscheinen nachrangig, begünstigt auch durch den fehlenden Nachweis des Nutzens, bekannt seit Jahrzehnten, nicht erst durch die IGES-Mitteilung. Es ist keine Frage, dass sich die Hochschulen längst dieser Thematik angenommen hätten, wenn es denn möglich wäre, eine "experimentelle" Anordnung zu konzipieren. Von zwei Gruppen wird eine kieferorthopädisch therapiert, die andere placeboartig geführt - ethisch absolut inakzeptabel. Ergebnisse der Art, welche Gruppe weniger "Zahnausfall" etc. haben wird, sind erst nach Jahrzehnten zu erheben, aber nicht belastbar wegen der vielen Variablen (Ernährung, Mundhygiene, Krankheiten etc.). Allein praktikabel und vermutlich hilfreich ist eine Überarbeitung des von den GKV eingeführten Bewertungsschemas KIG (Kieferorthopädische Indikationsgruppen) zur Ausgrenzung von Fällen der Social-Six-Kieferorthopädie.

Prof. Rolf Endris, Reckenroth

© SZ vom 15.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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