Jüdisches Museum:Die Vergangenheit wird immer mitgedacht

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Über Boykottforderungen der BDS könne, ja müsse man diskutieren Jedoch dürfe man sie nicht mit Naziparolen vergleichen, findet ein Leser. Es sei schwer zu definieren, was genau Jüdisch sei, ein anderer.

Zu " Was bin ich?" vom 8. Juli:

Man sollte darüber streiten

In dem Artikel über das Jüdische Museum Berlin geht es auch um die Einschätzung, die Boykottforderungen des BDS erinnerten viele Deutsche unweigerlich an die Naziparole "Kauft nicht bei Juden". Diese Naziparole zielte auf Existenzvernichtung und richtete sich gegen Juden, weil sie Juden waren. Die Boykottforderungen der Kampagne Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) indes richten sich gegen Israels "Siedlungsbau, die Politik in Westjordanland und Gazastreifen" und "die Rechte der Nichtjuden im Staat Israel". Man kann - und sollte - über diese Forderungen streiten. Mit der Naziparole verwechseln kann man sie nicht.

Fro Tinnappel, Berlin

Die Gedanken sind frei

Der Bericht über das Jüdische Museum in Berlin, über diesen "Ort eines Eklats", ließ in mir alte Gedanken hochkommen: Als ich um das Jahr 2000 dieses Museum zum ersten Mal entdeckte, war ich fasziniert, ich war begeistert. Das Besondere: Das Museum war noch leer.

Meine Gedanken zu dieser fürchterlichen Vergangenheit wurden nicht mit Ausstellungsstücken irritiert, sie wurden in dieser spannenden Architektur überraschend aufgefangen. Die noch unverstellte, klar erkennbare Raumfolge, die unterschiedlichen Fensterformate, die Treppen-, die Weg- und die Lichtführungen, alles passte irgendwie zu einer völlig überraschenden, aber doch bedrückenden Einheit zusammen.

Ich hatte damals schon Sorge, dass irgendeine nicht nachvollziehbare Präsentationsform unkontrollierbare Reaktionen fördert und das Museumserlebnis verfärbt. Dem Architekten Daniel Libeskind und wohl auch jedem anderen Interessierten dürfte klar sein: Bei diesem Thema kann eine zufriedenstellende Harmonie nie entstehen.

Und tatsächlich: Bei allen meinen späteren Besuchen wünschte ich mir jedes Mal das Erlebnis des ersten Besuchs zurück. Als das Holocaustdenkmal circa fünf Jahre später eröffnet wurde, da holten mich meine damaligen Gedanken wieder ein: Dieser Ort ist in meinen Augen genauso genial: Diese schwingende Gräberlandschaft, dieses Fehlen jeder konkreten Aussage gibt dieser Gedenkstätte das eigentlich Besondere.

Meine Gedanken werden jedes Mal in unsere Vergangenheit geführt. Und jedes Mal, je nach aktueller Lage, sind diese Gedanken auch immer anders. Immer aber sind sie frei. Das Ergebnis: Bei diesem immer noch problematischen Thema kann keiner zufriedengestellt werden. Ich wünsche mir deshalb, dass dieses Thema noch lange lebendig bleibt.

Stephan Hansen, Ergolding-Piflas

Zerrbilder, Idealbilder

Im Grunde geht der Streit meiner Meinung nach letztlich um die Frage, was das Jüdische an sich ist. Michael Wolffsohn hat vor einiger Zeit in einem Artikel in der Zeitung Die Zeit versucht, genau diese Frage zu beantworten. Man erfährt in besagtem Artikel, dass es Zerr- und Idealbilder des Jüdischen gibt und es daher notwendig sei, ein Realbild des Jüdischen zu entwerfen. Dass der Artikel dann aber kein solches Realbild enthielt, hat mich nicht gewundert.

Denn meiner Meinung nach kann man nicht Dinge an sich definieren, also auch nicht das Jüdische an sich. Definieren heißt abgrenzen, und zum Abgrenzen braucht man etwas, was das Abzugrenzende nicht sein soll. In diesem Fall also die Vorstellung von etwas Nichtjüdischem - und diese Vorstellung fehlt.

Dr. Jens Lipski, München

© SZ vom 01.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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