Inobhutnahme:Trennung der Kinder von Eltern als letztes Mittel

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Ein Bericht über vermehrte Vorstöße von Jugendämtern und Gerichten, Kinder wegen symbiotischer Beziehungen zur Mutter von ihr zu trennen, hat einige kritische Leserreaktionen hervorgerufen.

Illustration: Shutterstock, SZ (Foto: N/A)

Zu " Fehler im System", 31. Dezember / 1. Januar sowie " Zerrissen" vom 19. Dezember:

Dilemma der Jugendämter

Im Artikel "Zerrissen" berichtet die SZ über Entwicklungen in der Kinder- und Jugendhilfe, die man noch vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Anstelle notwendiger Unterstützung und Hilfen wird ein Kind aufgrund einer äußerst fragwürdigen Diagnose von der Mutter getrennt. Gesetzlich sind die Jugendämter verpflichtet, in familiären Problemlagen Unterstützung und Hilfe zu leisten. Erst wenn Hilfeangebote nicht mehr ausreichen oder nicht angezeigt sind, kann eine Trennung des Kindes von seinen Eltern infrage kommen. Der dargestellte Fall zeigt, dass hier Jugendämter nach Methoden wie vor hundert Jahren handeln.

Jugendämter haben insgesamt eine schwierige Aufgabe zu leisten. Es ist ein Dilemma, wenn Jugendamtsmitarbeiter unter Druck stehen und so ihr Handeln mitbestimmen. Anstelle fachlich angezeigter Hilfen wird dann womöglich leichter ein Zwangsmittel wie die Trennung der Kinder von den Eltern gewählt. Nicht selten werden notwendige, auf das System Familie ausgerichtete Hilfen nicht gewährt, weil diese von den Kommunen finanziert werden müssen. Manche Jugendämter lassen sich deshalb dazu verleiten, auf andere Hilfesysteme zu verweisen. Sei es die Sozialhilfe - das Kind erhält in diesem Fall den Status "von einer seelischen Behinderung bedroht" - oder die Kinder- und Jugendpsychiatrie, die von den Krankenkassen finanziert wird. Es gibt Einrichtungen, die familiensystemisch arbeiten, Eltern und Kinder als Einheit sehen. Mit solchen Ansätzen lässt sich meist eine Trennung von Kind und Eltern vermeiden. Um diese Hilfen flächendeckend bereitzuhalten, bedarf das Kinder- und Jugendhilfesystem einer Anpassung an die Bedarfslagen einer gewandelten Lebenswelt von Familien.

Georg Aschauer, München

Oft fehlen eindeutige Beweise

Väter heißen Kinderschänder, Alkoholiker, Schläger. Und Mütter heißen Borderlinerin, und sie sind tablettenabhängig und leben mit ihren Kindern in einer symbiotischen Beziehung. Wer sich mit den betroffenen Eltern unterhält, stellt fest, wie leicht es in Deutschland ist, dass Kindern ihre Eltern weggenommen werden. Und was wäre, wenn an diesen Verdächtigungen etwas dran ist? Das Problem ist oft, es gibt keine eindeutigen Beweise. Und bei strittigen Scheidungen fallen die hier aufgelisteten Vorwürfe besonders häufig.

Wo sich Probleme zeigen, muss Eltern mit sozialen Beziehungen durch die staatlichen Einrichtungen geholfen werden. Das hilft den Kindern, die in schwierigen Familienverhältnissen aufwachsen. Und dafür braucht es nicht mehr Personal, mehr Geld oder noch mehr Studien. Sondern einfach deren Umsetzung.

Christian Peters, Hamburg

Einstellung der Mutter oft wichtig

Ich stimme den Überlegungen zur Verbesserung des Entscheidungsverfahrens für eine Inobhutnahme weitgehend zu, halte aber dennoch Ergänzungen für dringend geboten. Trennungen sind nur dann erträglich, wenn sie in Übereinkunft vollzogen werden. Das ist schon bei einer Partnerschaft nur schwer zu vollziehen. Bei einer Eltern-Kind-Beziehung ist das nahezu unmöglich, solange die Kinder noch klein sind. Also bevor sie in der Pubertät möglicherweise ihre eigene Lösung betreiben.

Sie werden bemerken, dass ich nicht nur von Mutter-Kind-Beziehungen spreche. Jahrzehntelang hat die Rechtsprechung die Trennung Vater/Kind betrieben und vielen Vätern die Erfahrung zugemutet, die eine Mutter heute erlebt, wenn ihr das Kind wegen des symbiotischen Charakters ihrer Beziehung zum Kind abgenommen wird. Dieser blinden Automatik ist Gott sei Dank ein Ende gesetzt worden.

Aber es gibt noch mehr Unausgewogenheiten in der zwischen den Zeilen doch meiner Meinung nach einseitigen Kommentierung des Themas. Ich kenne in meinem Freundes- und Bekanntenkreis deutlich mehr Fälle, in denen sich die Mütter von den Vätern getrennt haben, als umgekehrt. Die Mehrzahl beansprucht einen Opferstatus für sich und fordert die volle finanzielle und rechtliche Verantwortung des Vaters. Und huldigt nicht selten einer konfrontativen Feminismus-Auffassung, die sie emotional und weltanschaulich in die grundsätzliche Opposition zu Männern bringt. Manchmal sogar zu der schlimmen, weil Leid erzeugenden Einstellung, in einer Partnerschaft alleine über die Schwangerschaft entscheiden zu dürfen.

Da ist es kein Wunder, wenn die Beziehung zu "ihrem" Kind symbiotisch wird, weil es als Unterpfand ihrer "Befreiung" gesehen wird. Für wen soll das gut sein? Angebracht wären also nicht nur die von der Autorin zu Recht angemahnten Verbesserungen, sondern auch eine Auseinandersetzung der Mütter mit ihrer eigenen Einstellung.

Axel Boldt, Bremen

Marginalisierung von Vätern

Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit "Hochkonflikt-Familien". Vor diesem Hintergrund war ich über den Beitrag "Zerrissen" verwundert. Ist in den angesprochenen Fällen tatsächlich immer und nur die zu enge Beziehung zwischen Müttern und Kindern der Ausgangspunkt von Interventionen des Jugendamtes? Oder geht es dabei häufig auch um einen anderen kritischen Aspekt im Leben des Kindes? Häufig ist mit einer symbiotischen Beziehung zur Mutter die Marginalisierung von Vätern und ein Beziehungsabbruch der Kinder zu ihnen verbunden. Oder: Die enge Beziehung zur Mutter steht im Dienste einer Entfremdung des Vaters. Kinder fühlen (und sagen) dann häufig, sie wollten bei der Mama sein und tun, was die ihnen sagt - und den Papa möchten sie nicht sehen.

Wenn dies dann einerseits als "geäußerter Wille" des Kindes gesehen wird, der richtungsweisend für die Lebensgestaltung ist, bestehen schlechte Bedingungen für eine gesunde Entwicklung. Dass andererseits eine solche Konstellation nicht unmittelbar zu einer Fremdunterbringung führen sollte, dem ist sicherlich beizupflichten, aber Jugendhilfe und Gerichte sollten von allen Interventionsmöglichkeiten Gebrauch machen, um fürs Kind bessere Entwicklungsbedingungen zu schaffen.

Dipl.-Psych. Matthias Weber, Melsbach

© SZ vom 14.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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