INF-Vertrag:Angst vor einem neuen Wettrüsten

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Wo bleibt die Friedensbewegung? Viele SZ-Leser können kaum fassen, dass die Aufkündigung der Abrüstungsverträge der USA mit Russland keine größeren Proteste in der Bevölkerung auslösen. Die Schuldfrage sehen sie unterschiedlich.

Protest in den Masken der Mächtigen, der Präsidenten Putin und Trump: Demonstranten gegen die Auflösung des INF-Pakts in Berlin. Foto: Paul Zinken/AFP

Zu "Eine neue Bewegung" vom 9. Februar, "Die nukleare Unvernunft" vom 5. Februar und "Anlauf zu neuem Wettrüsten" vom 2. Februar:

Genug vom Größenwahn

Man kann es kaum für wahr halten, dass "reife" Männer und politische Staatsführer wie Donald Trump und Wladimir Putin sich gegen alle Gebote von Vernunft verhalten und in der Aufkündigung des INF-Vertrages ein atomares Wettrüsten für zukunftserhaltend erachten. Was geht in ihren Gehirnen vor? Der Kampf ums Prestige und das Recht des Stärkeren würde auf dem Rücken Europas und aller Völker ausgetragen, ja, diese beiden Politiker fühlen sich offenbar beflügelt zur Verantwortungslosigkeit. Der schlimmste Ausgang, so muss man folgern, was beide offenbar auch in Kauf nähmen, wäre Völkermord. Das nennt man "weltpolitisches Profil".

Es ist höchste Zeit, dass sie in ihrer Hybris ausgebremst werden und sie von den übrigen Regierenden an die Rückkehr zu vernünftigem und humanitärem Denken als einzig zukunftsfähiger Alternative erinnert werden. Wir haben es satt, von politischen Abenteurern regiert zu werden, die dem Größenwahn verfallen sind. Davon haben wir schon zu viele gehabt. Deshalb der mehr als dringende Aufruf an unsere europäischen und auch sonstigen Regierungen auf unserem Globus, sich vehement gegen diese fatale Entwicklung zu stemmen. Mit vollem Recht erinnert Ferdos Forudastan in ihrem Leitartikel an die Wiederbelebung der Friedensbewegung. Gehen wir auf die Straße gegen den Wahnsinn.

Hansjörg Decker, Bernau

Abrüstungsdebatte 2.0

Ferdos Forudastan hat durchaus recht mit ihrer Analyse des nicht beziehungsweise wenig ausgeprägten Bedrohungsbewusstseins der deutschen Bevölkerung. Aber: Vor allem Russland hat kein Interesse, den INF-Vertrag zu verlängern, da China, Indien, Pakistan, Iran und einige weitere Staaten genau über diese landgestützten Mittelstreckenraketen verfügen, die auch russisches Territorium erreichen können. Diese Staaten sind wohl nicht willens, ihre Mittelstreckensysteme einem neuen INF-Vertragsregime zu unterwerfen. Dazu sind ihnen ihre eigenen sicherheitspolitischen Interessen zu wichtig. Auch aus diesem Grunde sind friedensbewegte Proteste in Deutschland gegen ein "neues Wettrüsten" reine Symbolpolitik, die zu nichts führen. Es wäre viel wichtiger, dass sich die europäischen Nato-Staaten auf eine gemeinsame Linie verständigen, mit einer Stimme sprechen und handeln, wie sie einer russischen Beeinflussung beziehungsweise einem möglichen russischen Bedrohungspotenzial, das sich sehr schnell zu einem Erpressungspotenzial wandeln kann, begegnen wollen. Darüber sollten sie ihre Bürger informieren und mit ihren Bevölkerungen Konsens erzielen. Wir Europäer werden wohl um eine "Nachrüstungsdebatte 2.0" nicht umhinkommen.

Reinhard E. Unruh, Schleswig

Von Willy Brandt lernen

Wer Sicherheit durch Aufrüstung verspricht, sollte auch erwähnen, dass jeder neue Raketenstandort zum Zielort wird. Bei Mittelstreckenraketen kann bereits ein Fehlalarm eine fatale Kettenreaktion auslösen. Die Vorwarnzeiten sind für Klarstellungen und eine Unterscheidung zwischen atomaren oder konventionellen Sprengköpfen zu kurz. Nicht nur autoritäre Regime neigen zu Aufrüstung und Feindbildern, um von innenpolitischen oder wirtschaftlichen Problemen abzulenken. "Der Russe" ist nicht unser Feind! Vorzugehen ist gegen Menschenrechtsverletzungen, Armut und Korruption, die Umwelt ist zu schützen. Mehr Austausch in Kultur, Sport oder Wissenschaft und ein europäisches Jugendwerk mit Russland wären Investitionen in Völkerverständigung. Willy Brandt hat mit seiner damals heftig umstrittenen Ostpolitik Wandel durch Annäherung erreicht. Mister President, wo bleibt Ihre gerühmte Kompetenz als Dealmaker?

Rolf Sintram, Lübeck

Wo bleibt der Aufschrei?

Nun zündeln sie wieder, und nur wenige schreien Feurio. Wir alle hören das Säbelrasseln aus Washington und Moskau und ahnen einen - kalten oder heißen - Cyber-krieg. Doch wir haben ja andere Sorgen, die zwar ebenfalls gewichtig sind; Brexit, Bienen, Braunkohle, Braunes rundum. Es gab Zeiten, da war es das Wettrüsten, das zahllose Bürger, nicht zuletzt die besten, alarmiert und mobilisiert hat. Unser aller Parole stammte noch aus dem Jahr 1945: Nie wieder Krieg! Bereits gegen die Wiederaufrüstung der Republik unter Konrad Adenauer stand Erich Kästner, kettenrauchend, mit anderen Prominenten als Mahnwache vor der Feldherrnhalle. Heinrich Böll beteiligte sich später am Sitzstreik gegen importierte Atomwaffen und wurde von der Polizei weggeschleppt. Nicht weniger als 1,3 Millionen Bundesbürger gingen am 22. Oktober 1983 gegen die neuesten Anti-Raketen-Raketen demonstrativ auf die Straße. Ja, damals gab es aktiven Widerstand. Es gab große Aufmärsche nicht nur zu Ostern, Protestkundgebungen, Camps, Bundestagsgefechte, Kirchentagsreden und mehr. Ein Volk stand auf gegen strategische Pläne, gegen das Wettrüsten, gegen den Nato-Doppelbeschluss, gegen die hiesige Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen, gegen sogenannte Sondermunitionslager im Westen und ähnliche Verstecke im Osten Deutschlands. Das Schreckgespenst "Atomtod" ging um in Europa, noch lange.

Wo aber bleibt jetzt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der allgemeine Aufschrei gegen die Aufkündigung des 30 Jahre alten Vertrags zwischen Russland und den USA zum Verbot von Mittelstreckenraketen, was wohl zu neuer atomarer Bewaffnung führen würde? Soll das brandheiße Thema allein - örtliche Protestaktionen werden kaum wahrgenommen - hohen Politikern und Generälen und sonstigen "Experten" der Sicherheitskonferenz überlassen bleiben? Muss wieder einmal Widerstand sein im Wählervolk? Wann, wenn nicht jetzt?

Karl Stankiewitz, München

Die Waffen des Westens

Wenn die USA durch den Bruch des Vertrages erreichen wollen, dass Russland Druck auf China ausübt, damit ein neuer Vertrag unter Einschluss Chinas zustande kommt, kann dieses Kalkül verhängnisvoll schiefgehen. Erfreulich ist diese Entwicklung nur für die militanten und faschistischen Kräfte in allen Ländern und für die Rüstungsindustrie. Bei den Militärausgaben, der Zahl der Waffensysteme und der Zahl der militärischen Konflikte indes liegt der Schwerpunkt eindeutig im Westen.

Hans Oette, Neuenstadt

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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