Heilige Drei Könige:Vom richtigen Maß

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War es richtig, eine klischeehaft dargestellte Melchior-Figur im Ulmer Münster zu entfernen? Leser zweifeln, ob man Rassismus heute durch solche Rückgriffe in die Vergangenheit bekämpft. Dennoch gibt es Zuspruch für eine neue Skulptur.

Tausende Kinder und Jugendliche bereiten sich jedes Jahr als Caspar, Melchior oder Balthasar verkleidet aufs Sternsingen am 6. Januar vor. (Foto: dpa)

Zu " Melchior" vom 24./25. Oktober und " Korrekte Krippe" vom 15. Oktober:

Cancel Culture statt Weitsicht

Ja, die Entscheidung in Ulm war richtig, unzeitgemäße Königsfiguren nach fast einhundert Jahren zu entfernen ... und nein, es war falsch, wegen einer einzelnen missliebigen Figur die Heiligen Drei Könige ganz zu verbannen. Das ist de facto keine "Quarantäne", sondern eiskalte Abschiebung. Mit etwas Umsicht und auch Weitsicht hätten sich die veralteten Kunstfiguren leicht und ganz ohne Aufsehen gegen eine gefällige Gruppe von drei sympathischen Weisen aus dem Morgenland eintauschen lassen.

So wurde übereifrig das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und der weltbekannte Ulmer Kirchturm zum Zeigefinger für provokanten Antirassismus. Es mag nicht so gedacht gewesen sein, doch hat man die Wirkung nicht bedacht. Ganz offensichtlich diente diese Figurengruppe seit knapp hundert Jahren bis ins Jahr 2020 als "Museum" für einen Künstler, dessen Werk respektiert wurde. Er war damals 1923 mutmaßlich kein Rassist. Doch heute haben wir "Cancel Culture", übersetzt eine Kultur des Auslöschens, eine Kultur des Verschwindenlassens. Auch im Morgenland, in Syrien, kam es zu solchen Vorkommnissen gegen weltbekannte Kulturgüter. Was missionarischen Meinungsführern nicht gefällt, fällt dann medienwirksam der Tagespolitik zum Opfer: Das zeugt nicht nur von modernem Geist, sondern zugleich von mangelndem Respekt und Geschichtsbewusstsein.

Johannes Zink, Norderstedt

Kunstwerk auf Zeit?

Der Künstler Scheible schuf die Gruppe "Hl. 3 Könige" 1923. Ist die Vermutung abwegig, dass die Kunst 1923 sich der Wahrnehmung der damaligen Bevölkerung anpasste? Man kannte die Weißen, dagegen die Andersfarbigen nur aus der Sicht der Kolonialherren. Dem entsprach Anfang des 20. Jahrhunderts die Skulptur. Seitdem ist ein Jahrhundert vergangen, und die Auffassung in der Kunst ist heute ganz anders.

Daher: Warum heute kein schwarzäugiger Jesus, warum keine schwarzhaarige Maria oder eine ganz dunkelhäutige? Christus gehört allen Menschen, gleich welcher Farbe. In Südamerika sieht man solche Darstellungen entsprechend dem Aussehen der dortigen Bevölkerung schon lange.

Die Ulmer Frage ist aber doch anders: Stellt die Gruppe der Heiligen Drei Könige ein Kunstwerk dar oder ist es wegen des historisch hässlichen Melchior eben keines? Niemand würde doch heute auf die Idee kommen, das Gemälde "Las Meninas" von Velázquez abzuhängen, weil dort verkrüppelte Hofzwerge mit abgebildet sind. Warum ist der Melchior hässlich? Ist er wirklich so hässlich oder wird unsere fatale Geschichte ihm zum Verhängnis?

Dr. Bernhardt-Drissl, Raisting

Rassismus moderner bekämpfen

Auch ohne Kenntnis der Entscheidungswege, die in Ulm zur Quarantäne der Heiligen Drei Könige geführt haben, frage ich mich, wie weit die verzagte Eilfertigkeit vorgeblich antirassistischer Maßnahmen noch führen soll. Die Figur des Melchior erfüllt die schlimmsten geistlosen Klischees, keine Frage. Doch bekämpft man den heutigen Rassismus, indem man Belege von historischem, in diesem Fall kirchlichem Rassismus aus der Öffentlichkeit verbannt? Das erinnert an magische Praktiken und ihre Anhänger. Glaubt man allen Ernstes, die dauererregten Kreuzzügler guten Gewissens ließen sich durch solch eine Maßnahme beeindrucken? Eher dürften sie sich ermutigt fühlen, ihrem Furor weiter die Sporen zu geben.

Auch Heribert Prantl scheint zwischen den Zeilen seines Kommentars das Verhalten der Kirchengemeinde nicht ganz geheuer zu sein. Seine Interpretation der Könige als Bild der gemeinsamen Grundlagen der monotheistischen Religionen spricht nicht die Sprache der politischen Korrektheit, sondern wird von gebildeter Toleranz getragen.

Warum hat man in Ulm eigentlich nicht darüber nachgedacht, die alte abstoßende Figur durch eine neue zu ersetzen und damit der alten, weisen Erzählung und dem aufgeklärten Bewusstsein gerecht zu werden? Es gibt genügend weltweit verehrte Menschen mit schwarzer oder brauner Haut, die Vorbild für eine neue künstlerisch gestaltete Figur hätten sein können.

Gisbert Horn, Korschenbroich

Legenden um Krippengeschichte

Wenn einer der drei "Könige" in der Krippe des Ulmer Münsters eine skandalöse schwarze Figur ist, mag man ihn entsorgen. Aber damit ist das eigentliche Problem doch nicht gelöst. Ebenso wenig mit dem Austausch des blonden Jesus-Knaben durch ein jüdisches Baby. So wichtig das theoretisch auch wäre. Wie sollte das aussehen? Wollen wir wieder anfangen, Juden über äußere Merkmale zu definieren? Die legendenhafte Geschichte aus dem Matthäus-Evangelium spricht weder von Königen noch von Heiligen, sie nennt weder ihre Anzahl noch ihre Namen. Alles späte Ausschmückungen, aus Anzahl und Charakter ihrer Gaben konstruiert.

Es sind Magier, astrologische Gelehrte aus dem Osten. Die Zielsetzung der Legende: Die Christgeburt krempelt die Welt um. Während die Hoftheologen noch zusammengetrommelt werden, sind heidnische Gelehrte mithilfe des gestirnten Himmels schon fast am Ziel. Weihnachten ist kein trautes Familienfest, sondern ein Geschehen kosmischer Dimension. Christen kümmern sich zu viel um die weite Welt statt um die eigene Seele? Sie können nicht anders. Der erste Weihrauch, der dem Kind geduftet hat, kam aus keiner christlichen Sakristei, sondern aus dem Gepäck fremder Magier. Jede Krippendarstellung, so lieb sie gemeint ist, muss das zwangsläufig verniedlichen und verharmlosen.

Hans Dieter Osenberg, Saarbrücken

© SZ vom 14.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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